Narwale: Wo kann man die „Einhörner des Meeres“ sehen?

Narwale sind enorm scheu und halten sich in den kalten Gewässern des dünn besiedelten Nordens auf. Auch deshalb weiß man bis heute nur sehr wenig über sie.

Von Jason Bittel
Veröffentlicht am 7. Apr. 2020, 11:53 MESZ
In der Nähe des kanadischen Admiralty Inlet zeigen Narwale ihre Stoßzähne, die bis zu zweieinhalb Meter ...

In der Nähe des kanadischen Admiralty Inlet zeigen Narwale ihre Stoßzähne, die bis zu zweieinhalb Meter lang werden können.

Foto von Paul Nicklin, National Geographic Image Collection

Heutzutage muss man nicht lange suchen, um einen Narwal zu finden. Die sogenannten „Einhörner des Meeres“ scheinen fast allgegenwärtig: Sie zieren Kinderschlafanzüge und Brotdosen oder sind in Form von Kuscheltieren und LEGO-Sets zu erwerben. Um einen echten Narwal in der Wildnis zu sehen, müsste man aber weit Reisen – und Glück haben.

Als waschechter Arktisbewohner ist der Narwal hauptsächlich in den sehr kalten Gewässern an der kanadischen und grönländischen Küste anzutreffen. Die Männchen verfügen über bis zu 2,5 Meter lange Stoßzähne und damit eine Gesamtkörperlänge von stattliches 7,5 Metern. Trotz ihrer imposanten Erscheinung stehen sie nicht gern im Rampenlicht.

Rätsel um legendäre Narwal-Stoßzähne gelüftet

„Das sind sehr scheue Wale“, sagt Kristin Laidre, Arktisökologin der University of Washington, die Narwale seit 20 Jahren erforscht. „Sie sind ziemlich nervös und ich würde sagen: raffiniert. Sie erschrecken leicht. Das sind also keine Wale, die um Boote herumschwimmen und sich leicht beobachten lassen.“

Eines der Tiere in seinem natürlichen Lebensraum zu entdecken, ist deshalb schwierig, aber nicht unmöglich – wenn man weiß, wo man nachsehen muss.

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    Leben am Rande des Eises

    Narwale sind wie alle anderen Wale auch Säugetiere und müssen deshalb regelmäßig an die Wasseroberfläche zurückkehren, um zu atmen. Obwohl sie tief unter das Packeis tauchen können, um Schwarzen Heilbutt, Kabeljau, Krebse und Tintenfische zu jagen, ist ihr Radius durch die Anzahl der Öffnungen im Eis begrenzt.

    Der Rand des Treibeises ist deshalb der ideale Ort, um Narwale zu beobachten, sagt David Briggs. Er ist ein Expeditionsleiter für das Reiseunternehmen Arctic Kingdom, das auf Arktissafaris, private Polarexpeditionen und Logistik spezialisiert ist.

    „Ihre Wanderroute wird durch dieses Eis unterbrochen“, erzählt Briggs, der seit einem Jahrzehnt in der Region arbeitet. „Während wir uns an diesem Rand aufhalten, gehen sie dort weiter auf Nahrungssuche und warten darauf, dass das Eis aufbricht, damit sie in die Meeresarme gelangen können, in denen sie ihre Kälber zur Welt bringen.“

    Narwale ruhen sich in einem Loch im Meereis von Lancaster Sound im kanadischen Territorium Nunavut aus.

    Foto von Paul Nicklin, National Geographic Image Collection

    Um einen Narwal zu sehen, muss man deshalb mit dem Schneemobil bis an den Rand des Eises fahren und es sich dort mit einem Feldstecher in einem Stuhl gemütlich machen. Dann heißt es Warten – stunden- oder tagelang. Langweilig wird einem dabei aber nicht: Es gibt zahlreiche andere Arten, die am Rand des Eises unterwegs sind. Besucher können beispielsweise Dickschnabellummen, Dreizehenmöwen, Eissturmvögel, Belugas, Eisbären, Walrosse und drei Robbenarten sehen.

    Ein einzigartiger Klang

    Jene, die sich auf diese Reise begeben und die entsprechende Geduld mitbringen, können Zeuge einer einzigartigen Begegnung werden.
    Laut Briggs lässt sich nichts auf der Welt damit vergleichen, zum ersten Mal das „pschhh“ zu hören, das die Wale von sich geben, wenn sie nach einem langen Tauchgang an der Oberfläche ausatmen.

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    Manchmal erzeugen sie dabei kleine Fontänen aus Wassertröpfchen und Nebelschwaden, die dann über der kalten Wasseroberfläche sichtbar sind. An einem wirklich guten Tag kann man sogar eine Schule aus 50 bis 100 Narwalen sehen, die zusammen zum Luftholen auftauchen, sagt er.

    Sobald sich die Wale dem Rand des Eises bis auf etwa 100 Meter genähert haben, führen sie laut Briggs eine Reihe von lauten, surrenden Atemübungen durch. Als er versucht, das Geräusch am Telefon zu imitieren, klingt es ein wenig wie eine Konferenzschaltung mit Darth Vader.

    „Es ist unglaublich, einfach dazusitzen und dieses Geräusch zu hören“, sagt er.

    Schwimmen und Paddeln mit Walen

    Wenn die gefleckten Wale näher an den Rand des Eises kommen, gibt es auch die Möglichkeit, sich im Kajak oder mit Schnorchelausrüstung zu ihnen ins Wasser zu begeben. Von einer Tauchausrüstung ist laut Briggs abzuraten, weil die Tiere die Luftblasen nicht mögen, die damit einhergehen.

    „Das ist ziemlich magisch“, erzählt Todd Mintz. Der Buch- und Rechnungsprüfer ist auf Expeditionen mit Arctic Kingdom schon mehrfach mit Narwalen geschwommen. 

    Mintz ist in seiner Freizeit Naturfotograf und erzählt, dass es einfach ein besonderes Gefühl sei, wenn sich die Wale ihm im Vorbeischwimmen zuwenden und ihn beäugen. „Ein Tier, das einen fast auf die gleiche Weise ansieht, wie man es selbst ansieht“, sagt er. „Das ist wirklich bemerkenswert.“

    Weil Narwale Menschen gegenüber ohne schon misstrauisch sind, muss alles unternommen werden, um die Tiere bei solchen Begegnungen nicht zu erschrecken – und sie damit aus ihren ergiebigen Jagdgründen zu vertreiben oder ihre Wanderungen zu stören.

    Beim Stoßzahn des Narwals handelt es sich um einen Eckzahn des Oberkiefers. Welche Zwecke er erfüllt, ist bis heute nicht abschließend geklärt.

    Foto von Paul Nicklin, National Geographic Image Collection

    Der Umweltschutz reist mit

    Wer eine Reise in die Arktis plant, sollte aber noch etwas anderes berücksichtigen: die Auswirkungen, die das auf die Tiere, die Umwelt und den Planeten haben könnte. Von seriösen und verantwortungsvoll geplanten Expeditionen – und den Einnahmen, die sie generieren – können die Gemeinden vor Ort aber ebenso profitieren wie Nationalparks und die Wildtiere. Vor der Buchung sollten sich Interessenten deshalb beim Veranstalter erkundigen, mit welchen Maßnahmen er die Auswirkungen der Arktisreisen ausgleicht und was er für die lokalen Gemeinden tut. Darüber hinaus sollte man sich Bewertungen und Berichte von früheren Reisenden durchlesen, um herauszufinden, ob diese Behauptungen auch stimmen.

    Erster Film von Nat Geo dokumentierte chaotische Arktis-Expedition 1902
    Diese Aufnahmen von 1902 stammen aus dem ersten Film der National Geographic Society. Sie fingen Szenen einer schlecht organisierten und verhängnisvollen Expedition in der Arktis ein.

    Beide Experten merken allerdings an, dass Reisende realistische Erwartungen haben sollten, was mögliche Begegnungen mit Narwalen angeht. „Ich war einen ganzen Monat draußen unterwegs. Ich habe an den Orten an der Küste gecampt, von denen wir wissen, dass die Narwale dort leben. Und ich habe trotzdem keinen gesehen“, sagt Laidre. „Man hat wirklich Glück, wenn man einen zu Gesicht bekommt.“

    Aufgrund der globalen Coronavirus-Pandemie hat das kanadische Territorium Nunavut, in dem Arctic Expeditions seine Expeditionen vorbereitet, vorsichtshalber den Notstand erklärt. Der Reiseveranstalter hat daher alle Expeditionen bis Juni 2020 abgesagt und bereits gekaufte Vorräte an die örtlichen Tafeln gespendet.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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