Underground Twitter: Wie Maikäfer-Larven kommunizieren

Eine Frankfurter Agrarökologin belauscht Maikäferlarven im Boden. Der Lauschangriff nach unten untersucht die Rolle von Insekten auf die Treibhausemissionen des Bodens und will Landwirten helfen.

Von Julia Graven
Veröffentlicht am 19. Juni 2020, 15:31 MESZ
Maikäferlarve unter der Grasnarbe

Die Bodenkundlerin Carolyn Görres hört nicht nur die Regenwürmer, sondern auch die Maikäferlarven husten: Mit Mikrofonen ist sie den gefräßigen Bodenbewohnern akustisch auf der Spur.

Foto von freshidea, Stock.adobe.com

Ist das nur seltsam oder schon verrückt? Wer Carolyn Görres im Wald in der Nähe des Frankfurter Flughafens sieht, könnte ins Zweifeln geraten. Eine junge Frau vergräbt mit einem Spaten Mikrofone in der Erde. Was gibt es da unten zu hören?

Treibhausemissionen aus dem Boden sind bisher wenig erforscht

Görres ist Agrarökologin und belauscht Maikäferlarven. „Manche Leute denken, das sei ein Aprilscherz“, sagt die Forscherin. Dabei hat der unterirdische Lauschangriff einen ernsten Hintergrund: Seit zehn Jahren versucht sie zu verstehen, welche Rolle die Treibhausemissionen des Bodens auf das Klima haben. Methan aus der Erde spielt eine große Rolle, doch die Forscher wissen bisher wenig darüber, wie Insekten unter der Grasnarbe dazu beitragen. „Wenn wir die natürlichen Prozesse verstehen, können wir den menschlichen Einfluss besser einschätzen und eventuell auch regulieren“, sagt Görres. Aufwendiges Graben würde aber genau das Ökosystem zerstören, das sie untersuchen will. Daher die Idee mit den Mikrofonen. Sie erfassen kontinuierlich, einfach und in Echtzeit den Insektenbestand im ungestörten Boden.

Kommunikation unter der Erde

Noch bis Mitte Juli dieses Jahres werden die Untersuchungen der 38-Jährigen mit einem Stipendium der National Geographic Society gefördert. Als sie im Frühjahr 2016 die ersten Aufnahmen aus dem Erdreich auswertet, erkennt sie eindeutige Geräusche: ein Scharren und Kratzen, wenn die Larven sich fortbewegen. Wenn sie in eine Wurzel beißen, gibt es ein herzhaftes Knacken. Doch da sind noch andere Töne, rhythmische Laute, die Görres nicht einordnen kann. Sie sucht Hilfe bei einem Experten für Bioakustik in England. Auch David Chesmore von der Universität York hat diese Geräusche noch nie gehört. Aber immerhin kann er sie einordnen. Insekten oder Spinnen verursachen sie, wenn sie ihre Körperteile aneinanderreiben, um mit ihren Artgenossen zu kommunizieren. Das Zirpen der Grillen ist so ein Beispiel. Dass auch die Maikäferlarven miteinander „sprechen“, haben Forscher zwar vermutet. Carolyn Görres aber hat es bewiesen und Laute vernommen, die niemand vor ihr je gehört hat.

Maikäfer sind bereits als Larven ein großes Ärgernis für Landwirte und Förster. Denn während ihres gesamten Lebenszyklus´ richten sie enormen Schaden an.

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Unerwünschte Schädlinge

Als sie ihrem Mann davon erzählte, war der nur mäßig beeindruckt. „Für mich war das aber sehr aufregend und ich kann es heute manchmal immer noch nicht glauben“, sagt sie. Auch Kollegen sind begeistert. Für Landwirte und Förster sind die Larven ein großes Ärgernis. „Die sind glücklich über jede einzelne Larve, die ich auf ihrem Land ausgrabe“, sagt Görres Die Maikäferlarven brächten ganze Streuobstwiesen zum Absterben und machten Wälder bei Dürre noch anfälliger, als sie es schon sind.

Drei bis vier Jahre lang lebt der Maikäfer im Boden und ernährt sich von Wurzeln. Er richtet enormen Schaden bei Gräsern und jungen Bäumen an. Erst nach der langwierigen Wandlung der Larve zum Käfer kommt er im Frühling aus der Erde und stürzt sich sechs bis acht Wochen lang auf alles, was frisch und grün ist. Besondere Leckerbissen sind junge Blätter, gerne von Eichen, ganze Buchenhecken, Obstbäume.

Während ihrer Zeit an der Oberfläche paaren sich die Maikäfer. Während die Männchen kurz danach sterben, graben sich die weiblichen Tiere wieder ein und legen ihre Eier ab. Nach einigen Wochen schlüpfen ihre Larven als sogenannte Engerlinge. Der Zyklus beginnt von Neuem.

Künstliche Intelligenz hilft bei der Auswertung

Die Geräusche der Larven hat Görres zuerst in ihrem Labor an der Hochschule Geisenheim untersucht. Es ging darum, die richtigen Mikrofone zu entwickeln, die Technik zu testen. Viele Stunden Tonaufnahmen hörte sie ab. Knackpunkt, das wurde ihr schnell klar, war die schiere Menge an Lauschdaten. Deswegen soll eine automatisierte Software die Auswertung übernehmen. Die Forscherin hat ein einfaches Programm geschrieben, das die Geräusche bewertet. Künstliche Intelligenz soll diese Software noch schneller und schlauer machen. Vorbild ist das Monitoring von Vögeln; dort setzen Wissenschaftler künstliche Intelligenz bereits ein.

Projekt „Underground Twitter“

Anfang April ist Görres mit dem Fahrrad Richtung Frankfurt gefahren, einen Spaten auf dem Gepäckträger und auf dem Rücken einen Trekkingrucksack mit selbst gebauten Mikrofonen, Kopfhörern, Teströhrchen und Bodensensoren. Zwölf Mikrofone hat die Wissenschaftlerin im Wald vergraben, zwölf weitere auf einer Streuobstwiese bei Ulm. „Underground Twitter“ nennt sie ihr Projekt.

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Doch worüber reden die Tiere eigentlich, wenn sie diese Geräusche machen? Görres kann nur mutmaßen. „Territorialverhalten“, lautet ihre Theorie: „Hier bin ich, also bleib du besser weg.“ Auch die Menschen können aus dem unterirdischen Geplapper ihre Schlüsse ziehen „Eventuell könnte man anhand der Geräusche nicht nur erkennen, welche Art von Larven im Boden ist, sondern auch, wie viele Tiere dort sind“, sagt Görres. Das würde Landwirten helfen, die Schädlinge gezielt zu bekämpfen.

In einer Obstplantage können schon zwei Larven pro Quadratmeter kritisch werden, während eine Wiese 40 Larven aushalten kann. Mit der neuen Methode könnten Forscher auch die Biodiversität im Boden beobachten und erfassen, ob diese unter der Erde so rasant abnimmt wie darüber. Görres träumt davon, ein Modell zu entwickeln, in dem der Sound der Larven dabei hilft, natürliche Treibhausgasemissionen zu untersuchen. „So könnten wir eine große Wissenslücke schließen“, erklärt sie. Und fügt hinzu: „Aber das ist im Moment nur eine verrückte Idee von mir.“

 

Der Artikel wurde ursprünglich in der Mai 2020-Ausgabe des deutschen National Geographic Magazins veröffentlicht. Keine Ausgabe mehr verpassen und jetzt ein Abo abschließen!

 

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