Schmuggel und Souvenirs gefährden die „schönsten Schnecken der Welt“

Durch ihre spektakulär gefärbten Schneckenhäuser sind die kubanischen Polymita-Schnecken vom Aussterben bedroht. Ein paar Forscher widmen ihr Leben dem Erhalt der Tiere.

Von Douglas Main
bilder von Bruno D'amicis
Veröffentlicht am 24. Juli 2020, 13:18 MESZ
Polymita-Schnecken

Eine Sammlung kubanischer Polymita-Schnecken (Polymita picta) im Labor des Biologen Bernado Reyes-Tur an der Universität von Oriente in Santiago de Cuba. Alle sechs Polymita-Schneckenarten, die nur entlang der Ostküste des Landes leben, sind vom Aussterben bedroht.

Foto von Bruno D'amicis

Ihre Schalen kommen in einer Vielzahl von Farben daher: Pastellgelb und Rosa, Zinnoberrot und Schwarz, Perlweiß und Ocker. Unabhängig vom Farbton akzentuieren die Markierungen der sechs Arten kubanischer Polymita-Schnecken die Form ihrer traubengroßen Schalen. Betrachtet man dieses Wunder der Natur, kann man sich in der Spiralform verlieren. Sie mutet an, als würde man eine farbenfrohe Treppe hinunterblicken, die sich ins Unendliche hinabwindet.

Kuba hat die weltweit größte Vielfalt an Schnecken zu bieten, aber keine andere Art hat Gehäuse mit einer solch bunten Farbgebung und so komplexen Mustern. Polymita-Schnecken aus der Gattung Polymita sind bei Sammlern seit Langem begehrt. Die Gehäuse werden an Touristen verkaufen oder in den Vereinigten Staaten und Europa gehandelt. Diese Nachfrage ist ein Grund dafür, dass Kuba alle sechs Arten als vom Aussterben bedroht einstuft – und dass es seit mehr als einem Jahrzehnt illegal ist, diese Schnecken aus der Natur zu entnehmen. Das Washingtoner Artenschutzübereinkommen, das den weltweiten Handel mit wildlebenden Tieren und Pflanzen regelt, verbietet den Handel mit den Tieren seit 2017.

Der Biologe Mario Gordillo hält im Labor von Reyes-Tur eine Polymita-Schnecke in der Hand. Über die Schnecken ist nur wenig bekannt – wie viele es in freier Wildbahn noch gibt, kann niemand sagen.

Foto von Bruno D'amicis

„Wegen ihres auffälligen Aussehens [...] gelten diese Schnecken als die schönsten auf dem Planeten“, sagt der Fotograf Bruno D'Amicis. Ihr Reiz zog ihn 2019 von seiner Heimatstadt in Italien nach Kuba, wo er Porträts der Schnecken schoss. Außerdem erstellte er ein Profil der kleinen Gruppe von Forschern und Naturschützern, die daran arbeiten, die Polymitas zu verstehen und zu schützen. Indem er die Schnecken in all ihrer Pracht zeigt, hofft D'Amicis, das Bewusstsein für die Gefahren zu schärfen, denen sie ausgesetzt sind. Dazu zählen nicht nur die illegale Entnahme aus der Natur, sondern auch Rodungen, invasive Fressfeinde und der Klimawandel.

Spezialisierte Schnecken

Die Polymita-Schnecken bewohnen ein dünnes Vegetationsband entlang der Ostküste Kubas. Sie sind nur in kleinen, ausgewählten Bereichen vorhanden, weil sie auf Mikrolebensräume mit genau der richtigen Pflanzenzusammensetzung angewiesen sind. Polymita sulphurosa, eine der am lebhaftesten gefärbten der sechs Arten, kommt nur auf wenigen Quadratkilometern in der Nähe des artenreichen Alexander-von-Humboldt-Nationalparks vor.

BELIEBT

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    Die Sonne geht über El Yunque auf, einem Berg nahe der Mündung des Flusses Toa im Osten Kubas. In dieser Region sind nicht nur Polymitas und anderen Schneckenarten zu Hause, sondern auch Papageien, Schlitzrüssler (Spitzmäusen ähnliche Säugetiere), Kolibris und seltenen Pflanzen.

    Foto von Bruno D'amicis

    Auf der Suche nach Polymita brocheri verbrachte D'Amicis einen ganzen Tag lang in der Nähe des Parks. Unterstützung erhielt er von Norvis Hernandez, einer Biologin, die für den Park arbeitet und in den letzten 20 Jahren Polymita-Schnecken studiert hat. Trotz stundenlanger Suche fanden sie nur ein einziges Exemplar – „wie eine Nadel im Heuhaufen“, sagt D'Amicis.

    Der Fotograf Bruno D'Amicis und die Biologin Norvis Hernandez mussten einen ganzen Tag lang suchen, um diese eine lebende Schnecke (Polymita brocheri) in einem Busch zu finden.

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    Wegen ihrer Farben und Muster zählt Polymita sulphurosa zu den auffälligsten der Polymita-Schnecken.

    Foto von Bruno D'amicis

    Meistens leben die Schnecken in Bäumen und Sträuchern und ernähren sich von Flechten und Moosen – das sind die Mineralquellen, die ihren Schalen die atemberaubenden Farben verleihen. Ob die Färbungen sie vor Fressfeinden schützen oder einen anderen Vorteil bieten, ist unbekannt, sagt Bernardo Reyes-Tur, Naturschutzbiologe und Schneckenexperte an der Universität Oriente in Santiago de Cuba. Die Schnecken sind ökologisch wichtig als Nahrungsquelle für einheimische und seltene Arten wie die vom Aussterben bedrohte Kuba-Schneckenweihe. Und indem sie Moose und Rindenpilze fressen, tragen sie auch zur Gesundheit der Bäume bei, zum Beispiel auf Kaffeeplantagen, erklärt Reyes-Tur.

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    Kaum zu glauben, aber wahr: Dieses Tier gehört einer der schönsten Familien des Tierreichs an.

    Eine Art, Polymita venusta, ist so sesshaft, dass laut dem Biologen „manche Individuen sechs Monate lang am selben Ort bleiben“. Die langsame Fortbewegung der Schnecken und ihre spezifischen Bedürfnisse an ihren Lebensraum machen sie anfällig für Störungen. Die Rodung von Land durch Kaffeebauern und andere Arten der Landwirtschaft haben ihr Verbreitungsgebiet stark eingeschränkt, sagt Reyes-Tur. Außerdem werden sie von einheimischen Arten wie Sperbern und invasiven Tieren wie Ratten gejagt, so Reyes-Tur.

    Die sechs Polymita-Schneckenarten gehören zur Gattung Polymita. Hier zu sehen ist eine Polymita picta – mit mehr als 2,5 Zentimetern Gehäusedurchmesser ist sie die größte Art.

    Foto von Bruno D'amicis

    Wärmere Temperaturen und intensivere Dürreperioden, die mit dem Klimawandel in Zusammenhang stehen, stellen eine weitere Bedrohung für die Weichtiere dar. Jene Bedingungen, die die Futterpflanzen der Schnecken zum Überleben brauchen, könnten dadurch verschwinden. Eine 2017 in der Fachzeitschrift „Tentacle“ veröffentlichte Studie deutet darauf hin, dass allein der Klimawandel bis 2050 den notwendigen Lebensraum für zwei der Arten praktisch eliminieren könnte.

    Schneckenhaus-Schmuggel

    Die kubanische Öffentlichkeit versteht zunehmend besser, welcher Schaden durch das Einsammeln der Schnecken und andere Bedrohungen entsteht. Hernandez erinnert sich an einen Schulausflug zu einer Kaffeeplantage vor 30 Jahren, als sie noch ein Teenager war. Ihre Gruppe entdeckte zahlreiche Polymita-Schnecken an einer Baumgruppe. Sie bestaunte die bunten Tiere. „Dann fingen die Jungen an, sie zu töten, um an ihre Häuser zu kommen. Die Mädchen töteten sie auch, mit Stöcken und Haarspangen. Ich fing an zu weinen und ging zu den Lehrern, um es ihnen zu sagen.“ Selbst die Lehrer hatten nichts dagegen, denn das Töten und Einsammeln der Schnecken war üblich, sagt Hernandez.

    Zwischen 2012 und 2016 hat die kubanische Zollbehörde in 15 Fällen insgesamt mehr als 23.000 Polymita-Schneckengehäuse beschlagnahmt, die für die USA bestimmt waren. Laut Adrián González Guillén, einem in Kuba ansässigen Schneckenexperten und Fotografen, hat das Washingtoner Artenschutzübereinkommen den illegalen Handel – vor allem in die USA und nach Spanien sowie in verschiedene asiatische Länder – aber nicht gestoppt.

    Laut González Guillén seien die Zollbeamten „sehr effektiv“, wenn es darum geht, Touristen daran zu hindern, kleine Mengen von Schneckenhäusern aus dem Land zu bringen. Aber es gelangen immer noch große Sendungen heraus. „Der wirklich ernsthafte illegale Handel für den Schwarzmarkt ist an ein gut organisiertes Team von Leuten gebunden“, sagt er.

    Bernardo Reyes-Tur nimmt in seinem Labor Messungen an dem Gehäuse einer Polymita picta vor. Er hofft, dass das Wissen über die seltenen Polymita-Schnecken zu ihrem Schutz beitragen wird.

    Foto von Bruno D'amicis

    Reynaldo Estrada ist ein Forscher Antonio Núñez Jiménez-Stiftung für Mensch und Natur (eine kubanische NGO), die sich auf kulturelle und wissenschaftliche Fragen konzentriert. Er stimmt dieser Einschätzung zu. „Es gibt in der Tat organisierte Schmugglernetzwerke in Kuba“, sagt er.

    Die kubanische Zollbehörde und das Innenministerium haben auf zahlreiche Bitten um Stellungnahme zum illegalen Schneckenhandel nicht reagiert.

    Eine Frau in einer Stadt bei Baracoa bietet Schmuck und Tausende von Schneckengehäusen zum Verkauf an. Das Sammeln der Schnecken zum Verkauf in Kuba oder für den Handel im Ausland ist verboten.

    Foto von Bruno D'amicis

    Gehäuse von Polymitas sind auf Websites in den USA, Spanien und Taiwan weithin verfügbar. Hunderte ihrer Schneckenhäuser waren auch bei eBay erhältlich. Als National Geographic die eBay-Sprecherin Ashley Settle zu diesen Angeboten befragte, antwortete sie, dass sie gegen die Regel des Unternehmens verstießen, keine Produkte aus der Tierwelt zu verkaufen, deren Handel laut dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen verboten ist. Innerhalb von 48 Stunden waren die meisten Angebote entfernt worden.

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    Das Sammeln und der Verkauf von Polymita-Schnecken in Kuba kann laut Reyes-Tur Geldstrafen von bis zu 20 Dollar pro Vorfall nach sich ziehen. Um zu sehen, wie wirksam diese Abschreckung ist, durchstöberte D'Amicis Touristenläden in der Nähe der Stadt Baracoa, unweit des Alexander-von-Humboldt-Nationalparks.

    Die Verkäufer boten die Polymita-Gehäuse nicht offen an, sagte er. Also beschloss er, den naiven Touristen auf der Suche nach etwas ganz Besonderem zu spielen. Bald lud ihn ein ortsansässiges Ehepaar zu sich nach Hause ein und zeigte ihm fünf große Müllsäcke, die mit Polymita-Schneckenhäusern gefüllt waren. Sie hatten „mindestens 30.000“, schätzt D'Amicis.

    Polymita sulphurosa, die nur in einigen Waldgebieten vorkommt, ist möglicherweise die am stärksten gefährdete der sechs Arten. Waldrodung, Klimawandel, illegales Einsammeln – all diese Bedrohungen lassen den Biologen Reyes-Tur um das langfristige Überleben der kubanischen Schnecken bangen.

    Foto von Bruno D'amicis

    Um Kubas Polymitas zu schützen, arbeiten Reyes-Tur, Hernandez und Kollegen daran, Kubaner und Besucher über die Seltenheit und Gefährdung der Tiere aufzuklären. Sie erforschen die Biologie der Schnecken mit dem Ziel, sie in Gefangenschaft zu züchten und in die Wildnis zu entlassen. Außerdem arbeiten sie auch mit Bauern im Osten Kubas zusammen, um sie zu ermutigen, sich um die Tiere auf ihrem Land zu kümmern. Für die Zukunft stellt sich Hernandez vor, dass Schneckenbeobachtungstouren organisiert werden könnten, die einen wirtschaftlichen Anreiz für ihren Erhalt bieten.

    „Dann würden sie sehen, dass es sich mehr lohnt, die lebenden Exemplare zu schützen als die toten zu verkaufen", sagt sie.

    Für Hernandez, die ihr Leben der Rettung der Polymita-Schnecken gewidmet hat, ist es eine intensive Berufung, die ihren Preis hat. „Ich habe weder Kinder noch einen Mann [...] Ich liebe einfach meine Polymitas“, sagt sie. „Ich denke, das Wichtigste ist es, diese edle Aufgabe fortzusetzen: sie zu erforschen, Entscheidungsträger auszubilden und Kindern und Jugendlichen, die die Zukunft der Gesellschaft sind, mehr über die Umwelt beizubringen. Wir müssen dieser Aufgabe viel Liebe widmen, und wir dürfen ihr niemals müde werden.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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