Demokratie bei Geierperlhühnern: Keine Macht dem Monopol

Die Vögel sorgen für einen sozialen und fairen Wettbewerb innerhalb ihrer Gruppe – und treffen obendrein noch demokratische Entscheidungen.

Von Deborah Roth
Veröffentlicht am 8. Dez. 2020, 14:17 MEZ
Wird der Chef zu egoistisch, bestimmt die Gruppe den Weg: Wenn es sein muss entscheiden Geierperlhühner ...

Wird der Chef zu egoistisch, bestimmt die Gruppe den Weg: Wenn es sein muss entscheiden Geierperlhühner im Kollektiv gegen ihre Anführer.

Foto von Danai Papageorgiou

Eine Horde schwarz schimmernder Geierperlhühner versammelt sich unter der siedenden Sonne der kenianischen Savanne. Die anmutigen Vögel fallen mit ihren roten Augen, die von blassblauen Schädeln umrahmt werden, und ihrem leuchtend kobaltfarbenen Gefieder schon von weitem auf. Aber nicht nur wegen ihres extravaganten Äußeren: Sie bewegen sich ausschließlich in großen Gruppen fort – mit bis zu sechzig Tieren. Innerhalb der Gruppen herrscht derweil eine klare Hackordnung: Wie bei Wölfen und Menschenaffen können die dominanten Gruppenmitglieder anderen den Zugang zu guten Futterquellen versperren oder sie vertreiben, wenn es um die Fortpflanzung geht. Mit dem Unterschied, dass hier Gruppenmitglieder das Alphatier durchaus in Frage stellen dürfen.

Laut einer aktuellen Studie leben die Tiere nicht nur in einer mehrschichtigen, großen Gesellschaft, sondern treffen Entscheidungen in der Gruppe demokratisch, auch gegen den Willen der Alphatiere. Das Konstanzer Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie hat gemeinsam mit dem Exzellenzclusters Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour an der Universität Konstanz in den vergangenen Jahren weitreichende Studien mit diesen Tieren durchgeführt, mit vielen Stunden Videomaterial und GPS-Tracking verschiedener Gruppen.

Demokratische Abstimmung per Flügelschlag

Seit vier Jahren arbeitet Danai Papageorgiou, Forscherin am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, an der Studie. „Wir haben nachts bis zu acht Gruppen beobachtet, die insgesamt über dreihundert Vögel zählten. Alle haben sich in einer einzigen Nacht auf nebenstehende Bäume verteilt, das waren beeindruckende Bilder“, so die Wissenschaftlerin.

In der Fachzeitung „Science Advances“ hat sie gemeinsam mit ihren Kollegen die neuesten Erkenntnisse veröffentlicht. Demokratische Entscheidungen spielen eine wesentliche Rolle bei der Entmachtung von Alphatieren, denn: Auf welchem Baum sich eine Gruppe niederlässt, darüber wird abgestimmt, per Flügelschlag. Wenn es um Flugrichtungen geht, hebt ein Teil der Gruppe demonstrativ die Flügel in die Richtung, in die geflogen werden soll. Wenn es andere Vögel eher in eine andere Richtung zieht, beispielsweise nach Norden, so zeigt der Flügel dorthin. Wer die Mehrheit auf seiner Seite hat, hat gewonnen – es ist eine demokratische Entscheidung.

BELIEBT

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    Geierperlhühner pflegen eine – für Vogel ungewöhnlich – vielschichtige Sozialstruktur.

    Foto von Damien Farine

    Mehrheit sticht Alphatier

    Während lange angenommen wurde, dass Alphatiere in solchen Gemeinschaften immer den Weg weisen, haben Studien in den letzten zehn Jahren gezeigt, dass es auch durchaus anders laufen kann – bei Menschenaffen zum Beispiel. Die neuen Erkenntnisse offenbaren nun: Die Entscheidung, wohin die Gruppe als nächstes zieht, ist davon abhängig, wie sich die dominanten Gruppenmitglieder vorher verhalten haben.

    Wenn Alphatiere ihre Macht zum Selbstzweck missbrauchen, können die übrigen Tiere die Kontrolle zurückgewinnen, indem sie Gruppenentscheidungen anberaumen. Darüber hinaus halten sie zusammen, auch wenn der Zugang zu Ressourcen zwischen den Einzelnen sehr ungleich verteilt ist, heißt: Versucht ein Alphatier, eine Nahrungsquelle für sich zu vereinnahmen, zwingt die Gruppe es zum Verlassen dieser Nahrungsquelle.

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    Loyale Teamplayer

    Auch sonst sind diese Vögel sehr sozial. Wenn sich ein Perlhuhn einmal für eine Gruppe entschieden hat, bleibt es dieser ein Leben lang zugehörig und wechselt nicht etwa in eine andere Gruppe. Die Tiere synchronisieren sogar jede Bewegung innerhalb ihrer Gemeinschaft. Die Nahrungssuche, Pflege, Paarung und Flüge zu ihren Nachtquartieren sind ebenfalls zeitlich abgestimmt.

    Eine weitere Form des Sozialverhaltens hat Danai Papageorgiou 2018 zum ersten Mal beobachtet: Als ein Weibchen ein einwöchiges Küken nach dem Schlüpfen in die Gruppe einführte, begannen männliche Tiere unverzüglich, nach Nahrung für den Nachkommen der Gruppe zu suchen und es zu füttern. Dabei war keiner dieser Vögel der Vater. „Die Männchen bedeckten sogar fremde Küken mit ihren Flügeln, um sie darunter warm zu halten“, sagt Papageorgiou. Ein solcher Zusammenhalt sei eine Seltenheit, vor allem dann, wenn Männchen fremde Küken mit aufziehen.

    Untergeordnete Geierperlhühner können das dominante Tier ihrer Gruppe dazu zwingen, ihnen zu folgen.

    Foto von Damien Farine

    Systematischer Aufstand der Schwächeren

    Um zu verstehen, wie die Gruppen funktionieren, zeichneten die Forscher zunächst Streitigkeiten zwischen einzelnen Vögeln auf, um jedem einzelnen einen Rang in der Hierarchie zuzuweisen. Dafür benutzten die Wissenschaftler ein im Schach, Fußball und Tischtennis übliches Verfahren, das den jeweiligen Rang eines Spielers danach bewertet, gegen wen er verloren und gegen wen er gewonnen hat. Die Wissenschaftler dokumentierten auch, welcher Vogel den Abflug von und zu neuen Futterstellen veranlasste, und in welcher Reihenfolge die restlichen Tiere der Gruppe folgten.

    „Dass Untergebene ihre Gruppe führen, nachdem sie den Zugang zu Ressourcen verloren haben, ist eine spannende Erkenntnis. Wir sprechen dabei von einem ‚Verlierer-Führungsmechanismus‘", sagt Papageorgiou. „Unsere Ergebnisse zeigen, wie Kollektive auf zunehmende soziale Ungleichheit reagieren können.“

    Am Ende dient diese Form der Demokratie der Lebenserhaltung: „Geierperlhühner sind auf die Zusammenarbeit in der Gruppe angewiesen, da sie mit ihrem leuchtenden Gefieder eine leichte Beute für Raubtiere wie Leoparden und Kampfadler sind“, erklärt Damien Farine, leitender Autor der Studie und Forschungsleiter des Geierperlhuhn-Projekts. Die demokratische Entscheidungsfindung ermögliche es Gesellschaften, die nur als Gruppe überleben können, ein Machtgleichgewicht aufrechtzuerhalten. Damit dürften Geierperlhühner einigen autokratischen Staaten dieser Welt ein paar Schritte voraus sein.

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