Können Wale Menschen verschlucken?

Dass ein Mensch sich im Maul eines Wals wiederfindet, passiert extrem selten – und nur eine Walart hat die Fähigkeit, Personen dann auch zu verschlucken.

Von Melissa Hobson
Veröffentlicht am 10. Aug. 2021, 13:56 MESZ
Ein Buckelwal bei der Nahrungssuche vor der Küste Cape Cods, USA. Buckelwale nutzen eine besondere Jagdmethode, ...

Ein Buckelwal bei der Nahrungssuche vor der Küste Cape Cods, USA. Buckelwale nutzen eine besondere Jagdmethode, genannt bubble-net feeding, für die sie im Team zusammenarbeiten. Die Gruppe kreist eine Fischschule ein, und erzeugt Blasen im Wasser, die die Beute orientierungslos machen. Die Fische werden so an die Oberfläche getrieben, wo die Wale sie aufschnappen und fressen können.

Foto von Brian Skerry, Nat Geo Image Collection

Anfang Juni 2021 machte der Hummertaucher Michael Packard aus Cape Cod, Massachusetts, Schlagzeilen. Der „Cape Cod Times“ berichtete er, von einem Buckelwal „heruntergeschluckt“ worden zu sein – und wie er dieses Ereignis auf wundersame Weise überlebte. Zunächst habe er einen leichten Stoß gespürt, „dann war alles komplett schwarz“. Etwa 30 Sekunden habe er im Maul des Wals verbracht, bis dieser ihn an der Wasseroberfläche wieder ausspuckte.

Das Maul eines Buckelwals kann mehr als drei Meter breit sein – ein Mensch hat darin also problemlos Platz. Laut Nicola Hodgins von der Whale and Dolphin Conservation, einer britischen Non-Profit-Organisation, ist es für das Tier aber wissenschaftlich unmöglich, ihn dann auch herunterzuschlucken. Der Schlund des Buckelwals hat ungefähr den Durchmesser einer menschlichen Faust. Fällt die Mahlzeit etwas größer aus, kann er sich auf einen Durchmesser von etwa 38 Zentimeter ausdehnen.

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Die Biologin Nan Hauser erlebte eine ungewöhnliche Begegnung mit einem Buckelwal.

Nicola Hodgins zufolge ist Michael Packard dem Wal vermutlich eher versehentlich ins Maul geraten, als dass dieser ihn vorsätzlich verschluckt hat. Dafür spricht, dass er den Taucher sofort wieder ausgespuckt hat, als er sich seines Fehlers bewusstwurde. Es ist davon auszugehen, dass das Ereignis für Michael Packard und den Wal, der doch einfach nur ein paar Fische fressen wollte, gleichermaßen traumatisch war.

„Der Taucher war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagt Nicola Hodgins.

Michael Packards Bericht ist nicht der erste dieser Art: Im Jahr 2020 gerieten zwei Kajakfahrer in Kalifornien in das Maul eines fressenden Buckelwals, dasselbe passierte 2019 einem Reiseveranstalter im Hafen von Port Elizabeth, Südafrika. Am berühmtesten ist wohl die biblische Erzählung von Jona, der von einem Wal verschluckt und dadurch vor dem Ertrinken gerettet wurde. Und auch in dem Kinderbuchklassiker „Abenteuer des Pinocchio“ findet sich Gepetto im Bauch eines Wals wieder.

Sagen von menschenschluckenden Walen sind in der Mythologie so stark verankert, dass viele diese Geschichten glauben. Dabei gibt es nur eine Walart, die wissenschaftlich gesehen überhaupt dazu in der Lage ist, etwas so Großes wie einen ausgewachsenen Menschen zu verschlucken: den Pottwal.

Was fressen Wale?

Wenn ein Mensch tatsächlich im Maul eines Wals landet, handelt es sich dabei mit großer Sicherheit um einen Unfall, denn Wale fressen keine Menschen.

Welche Nahrung der Speiseplan eines Wals vorsieht, hängt davon ab, ob er ein Bart- oder Zahnwal ist. Zahnwale wie der Pottwal haben, wie der Name sagt, Zähne und ernähren sich von Beutetieren wie Kalmaren und Fischen. Bartwale, zu denen der Buckelwal, der Blauwal, der Grauwal und der Zwergwal zählen, ernähren sich von Plankton, Krill und kleinen Fischen. Anstelle von Zähnen haben sie spezielle Borsten, die Barte genannt werden.

Barte bestehen aus einem festen und gleichzeitig flexiblen Protein mit dem Namen Keratin – derselbe Stoff, aus dem menschliche Haare und Nägel gemacht sind. Sie wachsen kammartig als nebeneinander angeordnete Platten aus dem Oberkiefer des Wals und können eine Länge von bis zu einem Meter erreichen. Der Wal frisst, indem er große Schlucke Meerwasser aufnimmt, und dieses wie durch ein Sieb durch die Barte seiht. Auf diese Weise gelangt das überschüssige Wasser zurück ins Meer, und eine leckere Mahlzeit bleibt im Maul des Wals zurück.

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    Von den 90 bekannten Walarten auf dieser Erde ist der Pottwal die einzige, deren Schlund groß genug ist, um das Verschlucken eines Menschen technisch zu ermöglichen. Das ausgewachsene, sechzehn Meter lange Säugetier hat eine breite Speiseröhre, sodass auch große Beutetiere wie den Riesenkalmar sogar im Ganzen verschlingen kann. In den Bäuchen von Pottwalen wurden schon Koloss-Kalmare gefunden, die bis zu vierzehn Meter lang werden können.

    Theoretisch ist es also möglich, von einem Pottwal verschluckt zu werden, doch die Chance darauf ist geringer als die eines Lotteriegewinns – allein schon deswegen, weil Mensch und Pottwal nur selten aufeinandertreffen.

    „Die meisten Menschen werden nie die Gelegenheit haben einen lebenden Pottwal zu sehen“, sagt Rob Deaville, Projektmanager im Cetacean Strandings Investigation Programme der Zoologischen Gesellschaft in London. Pottwale sind zwar weit verbreitet, doch sie halten sich größtenteils im offenen Ozean auf und verbringen ihr Leben in Tiefen von über 3.000 Metern.

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    Es muss also niemand aus Angst vor Walen darauf verzichten, im Meer zu schwimmen – auch weil die Tiere sich Menschen gegenüber nicht aggressiv verhalten. Stattdessen sind es laut Rob Deaville die Wale, die sich aufgrund der vielen Belastungen und Bedrohungen, die von uns für sie im Ozean ausgehen, vor uns fürchten müssen.

    Menschen jagen Wale, verschmutzen die Ozeane und zerstören ihren Lebensraum. Die Tiere laufen ständig Gefahr sich in Fischernetzen zu verfangen und von Schiffen verletzt zu werden. Auch das fahrlässige Verhalten mancher Touristen, die den nötigen Abstand nicht einhalten, setzt die Tiere unter enormen Stress.

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    Denen, die das Glück haben auf einen dieser sanften Riesen zu treffen, empfehlen Experten, die Regeln der Wildtierbeobachtung verantwortungsbewusst zu befolgen. Die Tiere sollen nur aus der Ferne (am besten mit einem Fernglas) beobachtet werden, außerdem ist jegliches Verhalten zu vermeiden, das sie verängstigen, erschrecken oder in Panik versetzen könnte.

    Michael Packard hat der „Cape Cod Times“ gesagt, er plane mit dem Tauchen weiterzumachen, sobald er sich von seinen Verletzungen erholt habe. Zum Glück handelt es sich dabei nur um ein paar Kratzer und keine gebrochenen Knochen.

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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