Seeotter retten das Seegras – und schützen dadurch ihr Ökosystem

Auf der Jagd nach der nächsten Mahlzeit sorgen Otter auf ganz natürliche Weise für mehr genetische Vielfalt in Seegraswiesen – und machen so ihren Lebensraum stark gegen den Klimawandel.

Von Douglas Main
Veröffentlicht am 20. Okt. 2021, 12:05 MESZ, Aktualisiert am 20. Okt. 2021, 14:05 MESZ
Ein Seeotter auf einem seegrasbewachsenen Felsen im Prinz-William-Sund in Alaska.

Ein Seeotter auf einem seegrasbewachsenen Felsen im Prinz-William-Sund in Alaska. Die gefährdeten Säugetiere haben einen heilsamen Einfluss auf die Gesundheit ihres Ökosystems.

Foto von Donald M. Jones, Minden Pictures

Das Fell der Seeotter ist das dichteste der Tierwelt. Ihm verdanken die Tiere aus der Familie der Marder, dass sie ihr ganzes Leben im Meer verbringen und sich den Bauch mit Schalen- und Krustentieren vollschlagen können, die hier auf dem Grund leben.

Die Seeotter in der kanadischen Provinz British Columbia haben sich auf Venusmuscheln spezialisiert, die sie in Seegraswiesen (Zostera marina) mithilfe ihrer empfindlichen Schnurrhaare und Vorderpfoten im weichen Meeresboden aufspüren. Ist eine Muschel gefunden, wird sie vom Otter ausgegraben und aufgebrochen oder die Schale mit einem Stein zerschlagen, um an das schmackhafte Innere zu kommen.

Wo Seeotter leben, finden sich an den Stellen, an denen sie nach Muscheln gegraben haben, oft kahle Stellen in den Seegraswiesen. Was auf den ersten Blick nach Zerstörung und Verwüstung aussieht, ist eigentlich eine Wohltat für das Ökosystem: Wiesen, die Ottern ein Zuhause bieten, sind im Vergleich zu denen ohne Seeotter weitaus robuster und genetisch vielfältiger. Zu dieser Erkenntnis kommt eine neue Studie, die im Oktober 2021 in der Zeitschrift Science erschienen ist. Ihr zufolge regt das sanfte Aufwühlen des Meeresbodens durch die Otter die Pflanzen dazu an zu blühen und Samen zu bilden. Das Buddeln verschaffe den Samen außerdem mehr Platz, um Halt zu finden und zu keimen und mehr Licht.

Seeotter knacken Muscheln auf Steinambossen
Seeotter können bis zu 75 Muscheln pro Stunde verzehren. Um die harte Schale der Delikatessen zu öffnen, schlagen die Otter sie gegen Steine. Mit archäologischen Methoden gehen Forscher dieser Praktik nun auf den Grund.

Laut Studienleiterin Erin Foster, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hakai Institute, einer Nichtregierungsorganisation, die sich der Erforschung und dem Erhalt der Küstengebiete British Columbias verschrieben hat, ist diese Beobachtung ein gutes Beispiel dafür, welchen Einfluss Jägerspezies wie die Seeotter auch abseits der Jagd mit ihrem Verhalten auf ihren Lebensraum haben.

Sie zeigt außerdem, dass Seeotter, die zu den gefährdeten Tierarten zählen, einen weitreichenden Effekt auf die Gesundheit und den Bestand der Seegraswiesen haben. Jane Watson, Co-Autorin der Studie und emeritierte Professorin für Meeresökologie an der Vancouver Island University in Kanada, erklärt, dass die Seegrasbestände weltweit durch die durch den Klimawandel verursachten steigenden Wassertemperaturen in Gefahr geraten sind.

Dabei sind die Wiesen für viele Spezies und auch für die Umwelt generell von enormer Wichtigkeit: Sie bieten dem Nachwuchs vieler Fisch- und Krustentierarten einen geschützten Raum zum Heranwachsen, sind Nahrungsquellen für Grauwale und Meeresschildkröten, binden Treibhausgase und filtern Giftstoffe und Bakterien aus dem Wasser.

BELIEBT

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    “Richtig traurig wird es, wenn wir über all die Wechsel- und Kontrollwirkungen [der gefährdeten Spezies] nachdenken, die mit ihnen verloren gehen.”

    von Erin Foster, Studienleiterin

    „Je genetisch vielfältiger ein solcher Lebensraum ist, desto besser kommt er mit den sich ändernden Umwelteinflüssen klar. In Anbetracht der anstehenden klimatischen Herausforderungen ist das also ein Merkmal, das für Seegraswiesen von besonders großer Bedeutung ist“, sagt Erin Foster, die die Seeotter im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der University of Victoria in Kanada erforscht hat.

    Schlüsselspezies und Ökosystemingenieur

    Seeotter waren ursprünglich vom Golf von Kalifornien bis hoch zu den Aleuten in Alaska, in Russland und in Japan in küstennahen Gewässern heimisch. Als die Europäer Amerika kolonialisierten, gerieten die Tiere insbesondere im 19. Jahrhundert ins Visier von Jägern, die es auf ihre Felle abgesehen hatten. Im frühen 20. Jahrhundert waren von den ursprünglich geschätzten 300.000 Seeottern weniger als 2.000 übrig. Glücklicherweise überlebten einige Populationen in Alaska und Kalifornien diese gefährliche Zeit und auch in anderen Teilen der amerikanischen Westküste erholen sich die Bestände.

    Seeotter fressen mit Vorliebe Seeigel, deren Populationen außer Kontrolle geraten und ganze Tangwälder zerstören können, wenn nichts gegen sie unternommen wird und die Fressfeinde in dem Lebensraum fehlen. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass durch die Einführung von Seeottern oder die Ausweitung ihres Habitats auf solche Regionen, in denen Purpur-Seeigel sich ungebremst verbreiten, das Gleichgewicht in dem Ökosystem wiederhergestellt werden kann. Aus diesem Grund gelten Seeotter sowohl als Schlüsselspezies als auch als Ökosystemingenieure.

    Durch ihre Bejagung waren die Seeotter in British Columbia zu Beginn des 20. Jahrhunderts vollständig ausgerottet. Bei den Tieren, die heute in der Provinz heimisch sind, handelt es sich um die Nachkommen von 89 Seeottern, die zwischen den Jahren 1969 und 1972 hierhergebracht und ausgewildert wurden. Zu diesen 89 Seeottern gehörte auch eine Gruppe von Tieren, die zuvor auf der Insel Amchitka in Alaska gelebt hatte, von dort aber aufgrund von Atomtests im Jahr 1972 evakuiert werden musste.

    Galerie: Warum manche Tiere wichtiger sind als andere

    Seitdem ist die Seeotterpopulation in British Columbia Jane Watson zufolge auf ungefähr 8.000 Tiere angewachsen. Das Gebiet, in dem sie verbreitet sind, sei im Vergleich zum ursprünglichen Territorium in der Provinz aber nur halb so groß.

    Dieser Umstand ermöglichte Erin Foster und dem Forschungsteam eine saubere Gegenüberstellung der Seegraswiesen mit und ohne Seeotter. Um den Einfluss der Tiere auf ihr Ökosystem herauszuarbeiten, maßen die Wissenschaftler die allelische Diversität – also die genetische Vielfalt – der unterschiedlichen Gebiete. Sie stellten fest, dass der Wert in Wiesen mit Ottern um 30 Prozent höher lag als in Wiesen ohne.

    Seegras kann sich entweder geschlechtlich oder durch Klonen fortpflanzen. Im letzteren Fall verbreitet sich die Pflanze mithilfe von Rhizomen, an denen neue Pflanzen wachsen – nach einem ähnlichen Prinzip wächst auch der Rasen in unseren Parks und Gärten. Jane Watson zufolge haben Forschungen ergeben, dass Wiesen, die aus Klonen einer einzelnen Ursprungspflanze bestehen, insgesamt weniger widerstandsfähig und anfälliger für negative Einflüsse sind.

    Die zweite Möglichkeit der geschlechtlichen Fortpflanzung mithilfe von Blüten und der Produktion von Samen, die von den Seeottern mit dem Durchpflügen des Meeresbodens gefördert wird, führt zu genetisch vielfältigen Nachkommen und damit gesünderen Wiesen.

    Otter: geborene Gärtner

    Die Erwärmung und Versauerung der Meere im Zusammenhang mit dem Klimawandel sind für das Seegras besonders problematisch und überall auf der Welt werden diese wichtigen Ökosysteme durch den Zufluss von Düngemitteln, Baumaßnahmen, Versandung und das Aufreißen des Bodens durch Schiffsanker in Mitleidenschaft gezogen.

    Brent Hughes, Meeresökologe an der Sonoma State University in der Nähe von San Francisco in Kalifornien, erklärt, dass die Seeotter in ihrem Ökosystem eine äußerst wichtige Funktion hätten, die sich auffällig schnell – innerhalb von wenigen Jahrzehnten – nach ihrer Wiedereinführung in diese Gebiete gezeigt habe.

    „Die Zügigkeit, mit der ihre Anwesenheit einen Effekt hatte, ist sowohl überraschend als auch einleuchtend“, sagt er. Die Studie sei ein erneuter Beleg dafür, dass Seeotter förderlich für ihren Lebensraum sind. „Überall dort, wo es Otter gibt, finden wir eine besonders gesunde Vegetation vor.“

    Ein weiterer Aspekt, den die Studie verdeutlicht, ist, was auf dem Spiel steht, wenn große Tiere aus einem Ökosystem verschwinden und mit ihnen „eine Vielzahl von genetischen Wechselwirkungen, die uns in Staunen versetzen, sobald wir anfangen, nach ihnen zu suchen“, sagt Erin Foster.

    „Die meisten Menschen denken, dass der Verlust einer Spezies allein um der Spezies Willen traurig ist“, sagt sie. „Doch richtig traurig wird es, wenn wir über all die Wechsel- und Kontrollwirkungen dieser Organismen nachdenken, die mit ihnen verloren gehen.“

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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