Spektakuläre Bilder einer riesigen Tiefseekreatur

Phantomquallen werden bis zu zehn Meter lang und leben in der Mitternachtszone des Ozeans – darum gab es in über 100 Jahren nur 130 Sichtungen. Doch nun zeigt sich der Meeresgigant immer öfter in seichteren Gewässern.

Von Melissa Hobson
Veröffentlicht am 14. Feb. 2023, 09:36 MEZ
Die Qualle im dunklen Blau des Meeres.

Dieses 9 Meter lange wirbellose Tier wurde von Touristen in den flachen Gewässern vor der Antarktis entdeckt.

Foto von Mark Niesink

Die Touristen, die im Januar 2022 mit einem privaten U-Boot den Ozean vor der Küste der antarktischen Rongé-Insel erkundeten, staunten nicht schlecht, als sich im blauen Schein des Wassers eine riesige Gestalt auf sie zubewegte. Über neun Meter maß sie vom rundlichen Kopf bis zu den Enden ihrer vier wabernden Arme – und war damit länger als das Boot, mit dem die Gruppe unterwegs war.

Nach ihrer Rückkehr auf dem Viking Expeditionskreuzfahrtschiff, von dem sie zu der Unterwasser-Exkursion aufgebrochen waren, zeigten die Touristen Daniel Moore die Bilder, die sie gemacht hatten. Der Meeresbiologe von der Exeter University in England ist wissenschaftlicher Leiter der Antarktis-Expeditionen von Viking Cruises. Er wusste sofort, dass die Passagiere „etwas extrem Seltenes“ vor die Linse bekommen hatten: Stygiomedusa gigantea – eine Phantomqualle.

Zahl der Sichtungen nimmt zu

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte nur eine Handvoll Menschen ein Exemplar dieser Spezies je mit eigenen Augen gesehen. Seit ihrer erstmaligen Beschreibung im Jahr 1910 wurden nur 126 Sichtungen dokumentiert, darunter Phantomquallen, die sich in Netzen verfangen hatten oder vor den Kameras von Unterwasserfahrzeugen vorbeigeschwommen waren. Selbst die Forschenden des Monterey Bay Aquarium Research Institute in Kalifornien, die auf ihren Tauchgängen mehrere Tausend Stunden unter Wasser verbracht haben, konnten erst neun dieser Tiere beobachten.

Phantomquallen wie diese, die im Zuge einer privaten U-Boot-Fahrt fotografiert wurde, nutzen ihre langen Arme für den Beutefang.

Foto von Antony Gilbert

Doch im Jahr 2022 begannen sich die Sichtungen zu häufen: Im Januar 2022 hatte eine andere Touristengruppe eine zweite derartige Begegnung vor der Rongé-Insel, gefolgt von einer weiteren Mitte März 2022. In der aktuellen Touristensaison von Oktober 2022 bis Januar 2023 gab es insgesamt sieben Sichtungen.

Die Zunahme der eigentlich ungewöhnlichen Begegnungen mit Phantomquallen erklärt Daniel Moore damit, dass immer mehr touristische Antarktisexpeditionen Erkundungsfahrten mit privaten Unterwasserbooten anbieten.

Ab einer Tiefe von 48 Metern sind die antarktischen Gewässer nicht gut erforscht, weil entsprechende Expeditionen schwierig und teuer sind. Doch dank des wachsenden Angebots an Ausflügen mit privaten U-Booten, die über 300 Meter tief tauchen können, haben Touristen laut Moore heute die Möglichkeit, „die Ersten zu sein, die einen Blick auf einen bisher unerforschten Teil des Meeresbodens werfen können.“

Stygiomedusa gigantea – Enigma der Mitternachtszone

Moore zufolge liefern die Sichtungen des Jahres 2022 neue Erkenntnisse bezüglich der Ausbreitung und des Habitats der mystischen Tiefseekreaturen. Bisher ging man davon aus, dass die Spezies sich in Tiefen von fast 7.000 Metern aufhält, doch die letzten Begegnungen fanden in Tiefen zwischen 80 und 275 Metern statt.  

Nur wenig ist über die wirbellosen Riesen bekannt. Sie leben in der absoluten Dunkelheit der Mitternachtszone der Polarmeere und ernähren sich von Plankton und kleinen Fischen, die sie vermutlich mit ihren bandartigen Armen fangen. Als sicher gilt, dass Phantomquallen in Symbiose mit Thalassobathia pelagica, einem kleinen Fisch aus der Familie der Bartmännchen, leben. Diese ernähren sich von Parasiten, die sich auf den Quallen ansiedeln, und werden im Gegenzug für ihre Dienste gegen Fressfeinde geschützt.

Warum halten sich Phantomquallen nun vermehrt in seichten antarktischen Gewässern auf? Moore vermutet, dass sie entweder die Strömung dorthin treibt oder dass sie sich aktiv der Sonne aussetzen, um Parasiten loszuwerden.

Citizen Science: Private U-Boote helfen der Wissenschaft

Private Unterseeboote können sich autark in der Tiefsee bewegen und bieten Platz für einen Piloten und sechs Gäste. Sie sind mit Sonden und hoch entwickelten Kameras ausgestattet, mit denen die Passagiere Fotos und Videos machen können. Moore, der vor Kurzem eine Studie zu den U-Booten geleitet hat, die in der Zeitschrift Polar Research erschienen ist, spricht in diesem Zusammenhang von „extremer Citizen Science“.

BELIEBT

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    Für Paris Stefanoudis, Meeresbiologe an der Oxford University in England, ist ein großer Vorteil der Boote, dass sie es den Menschen ermöglichen, die Unterwasserwelt „mit eigenen Augen und nicht nur auf einem Bildschirm zu sehen“, wie es beim Einsatz eines Unterwasserfahrzeugs der Fall ist.

    Doch es gibt auch einen entscheidenden Haken: die Kosten. Kreuzfahrten, die diese Expeditionen anbieten, haben einen Preis von mehreren Zehntausend Euro pro Person, sodass nur ein kleiner, exklusiver Kreis in den Genuss dieses Erlebnisses kommen kann. Bei allen positiven Aspekten der privaten U-Boote muss man laut Stefanoudis also bedenken, dass sich nicht jeder so einen Ausflug leisten kann.

    Trotzdem sei der wissenschaftliche Nutzen dieser Expeditionen und den dabei gesammelten Daten über selten beobachtete ozeanische Lebewesen nicht von der Hand zu weisen. Zudem könne durch das Einbeziehen der Bevölkerung in die Forschung erreicht werden, dass diese ein größeres Bewusstsein für bedrohte Ökosysteme entwickelt und sich stärker für ihren Schutz einsetzt. Insgesamt, so Stefanoudis, sei die Entwicklung „ein Gewinn für die Wissenschaft.“

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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