Gigantische Größe: Flughundkolonie in Sambia bricht alle Rekorde

Jedes Jahr versammeln sich tausende Palmenflughunde aus ganz Afrika im Kasanka-Nationalpark. Bisher konnte man ihre Zahl nur schätzen. Dank einer neuen Methode weiß man jetzt, wie groß die Kolonie tatsächlich ist.

Wenn im November über dem Kasanka-Nationalpark die Nacht hereinbricht, geht die größte Flughundkolonie der Welt auf Futtersuche.

Foto von Christian Ziegler / MPI für Verhaltensbiologie
Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 10. Juli 2023, 10:24 MESZ

Sterne am Himmel, Sandkörner am Strand, Wassertropfen im Meer: Manche Dinge sind in so großer Menge vorhanden, dass man sie nicht zählen kann. Die größte Flughundkolonie Afrikas im Kasanka-Nationalpark in Sambia bewegt sich zwar in einer deutlich kleineren Größenordnung, ihren konkreten Umfang zu ermitteln war trotzdem nicht möglich – bis jetzt. Forschende des Max-Planck-Instituts (MPI) für Verhaltensbiologie in Konstanz haben eine neue Methode entwickelt, mit der sie ermittelt haben, wie viele fliegende Säugetiere hier durch die Lüfte schwirren.

Einzigartiges Naturschauspiel

Jedes Jahr im November versammeln sich Palmenflughunde (Eidolon helvum) aus allen Teilen des afrikanischen Kontinents in einer bestimmten Baumgruppe des Kasanka-Nationalparks und bleiben drei Monate, bevor sie wieder abreisen. Es ist ein beeindruckendes Naturschauspiel, das viele Touristen anlockt, die dabei sein wollen, wenn sich der Himmel vor lauter wuselnden Fledertieren verdunkelt.

Warum die Flughunde diese Wanderung antreten und aus welchem Grund sie sich ausgerechnet an diesem Ort in Sambia treffen, ist unklar. Ebenso unbekannt war bisher, aus wie vielen Tieren die Kolonie besteht. Die Ergebnisse manueller Zählungen schwanken zwischen einer und zehn Millionen.

„Palmenflughunde sind die heimlichen Gärtner Afrikas“, sagt Dina Dechmann, Forschungsgruppenleiterin am MPI. „Sie verbinden den Kontinent auf eine Weise, wie es kein anderer Samenverbreiter tut.“ Weil der Verlust der Art für das afrikanische Ökosystem verheerend wäre, ist es ihr zufolge dringend nötig, zu wissen, ob die Populationsgröße abnimmt.

Künstliche Intelligenz zählt besser

Doch um das zu herauszufinden, braucht man konkrete Zahlen zur Koloniegröße – und eine zuverlässige Zählmethode. Dechman kontaktierte darum Ben Kroger. Der Experte für den Einsatz automatisierter Verfahren zur Analyse großer Datensätze war zu diesem Zeitpunkt Doktorand am MPI für Verhaltensbiologie. Forschende der North Carolina State University, der Southeastern Louisiana University und Mitglieder des Kasanka Trusts schlossen sich dem Projekt an.

Die Flughunde der Kasanka-Kolonie schlafen tagsüber in den Bäumen. In der Abenddämmerung verlassen sie ihre Schlafplätze und begeben sich auf Futtersuche. In diesem Zeitfenster wurde das Kommen und Gehen der Fledertiere von neun GoPro-Kameras aufgezeichnet, die das Team in gleichen Abständen rund um die Kolonie aufgestellt hatte – das Objektiv steil in den Himmel gerichtet.

BELIEBT

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    Ben Koger trainierte dann sogenannte Deep-Learning-Modelle darauf, die Tiere in den Videos zu erkennen und zu zählen. In fünf Nächten zählte das Team mithilfe der neuen Methode im Schnitt 750.000 bis eine Million Tiere pro Nacht – also weitaus weniger als zuvor geschätzt worden war. Der Umfang ist aber noch immer groß genug, um die Kolonie in Kasanka hinsichtlich ihrer Biomasse zur größten bekannten Ansammlung von Flughunden der Erde zu machen.

    Langzeitprojekt dank niedriger Kosten

    Zu Beginn des Projekts hatte das Team befürchtet, dass für die automatisierte Zählung eine umfangreichere Ausrüstung und kompliziertere Technologie nötig sein könnten, was die Fortführung des Forschungsprojekts unerschwinglich gemacht hätte. Doch offenbar war der relativ einfache Aufbau ausreichend. Die künstliche Intelligenz erfasste den Forschenden zufolge 95 Prozent der Flughunde und lieferte sogar bei Dunkelheit zuverlässige Ergebnisse.

    Das zeige, „dass sich die Flughunde der Kolonie mit günstigen Kameras und unserer Software sehr genau erkennen und zählen lassen“, so Ben Kroger. In diesem Umfang kann das Projekt in den nächsten Jahren ohne Probleme weitergeführt werden. „Das ist enorm wichtig für die künftige Überwachung der Kolonie.“

    „Wir haben nun eine effiziente und verlässliche Technik, Tiere über einen langen Zeitraum zu überwachen – ein großer Fortschritt für den Erhalt großer Populationen“, sagt Dechmann. Denn wenn jedes Jahr dieselbe Zählmethode zum Einsatz kommt, kann konkret bestimmt werden, ob die Größe der Kolonie zu- oder abnimmt.

    Ohne den Flughund geht es nicht

    In Afrika ist der Palmenflughund das am häufigsten vorkommende Säugetier. Das entspricht seiner ökologischen Bedeutung als Schlüsselspezies: Mit zweitausend Kilometern pro Jahr legt er die längste Strecke aller Flughundarten zurück und verbreitet auf seinen Reisen mit seinem Kot Samen über den ganzen Kontinent. So forstet er abgeholzte Wälder wieder auf und leistet einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität.

    „Bei so vielen Individuen könnte man leicht denken, dass der Verlust von ein paar Tieren nicht ins Gewicht fällt“, sagt Dechmann. „Aber wenn wir die Ökosystemleistungen der Flughunde erhalten wollen, müssen wir ihre Populationen auf einem hohen Niveau halten.“

    Gerade die Kasanka-Kolonie sei durch Landwirtschaft und Lebensraumverlust stark bedroht. Dabei ist sie nicht nur eine von vielen, sondern hat Dechmann zufolge als Sammelkolonie des gesamten Subkontinents einen besonders hohen Status. Dass ihre Größe nun endlich bekannt ist und kontrolliert werden kann, ist ein wichtiger Schritt für ihren Schutz.

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