Tierschutz in Krisengebieten: Wie Helfer in Extremsituationen Leben retten

Krieg und Naturkatastrophen treffen nicht nur Menschen, sondern auch die Tiere vor Ort. Vereine wie „Notpfote Animal Rescue e.V.“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Vierbeinern zu helfen – und riskieren dabei ihr Leben.

Von Sarah Langer
Veröffentlicht am 15. Sept. 2023, 13:46 MESZ
Tierschutzhunde

Um die 700 Millionen Straßenhunde soll es weltweit geben.

Foto von Malte Zierden

In Kriegsgebieten sind Tiere oft Opfer von Gewalt und Vernachlässigung. Tierrettungsorganisationen setzen sich dafür ein, Tiere zu retten, medizinische Versorgung zu bieten und sie in Sicherheit zu bringen. Dies kann in gefährlichen Umgebungen geschehen, und die Mitarbeiter dieser Organisationen riskieren ihr Leben, um den Tieren zu helfen. 

Auch bei Naturkatastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen, Hurrikans oder Waldbränden werden Tiere häufig von ihren Besitzern getrennt oder in gefährlichen Situationen zurückgelassen. Tierrettungsorganisationen sind entscheidend, um diese Tiere zu evakuieren, zu versorgen und ihnen eine zweite Chance auf Leben zu schenken. Weltweit wird die Zahl an Streunerhunden auf circa 700 Millionen geschätzt. Katzen und andere Tiere kommen hinzu. Viele von ihnen werden eingefangen und zu Tötungsstationen gebracht und sterben auf der Straße durch Krankheiten oder Hunger. 

Tierschutz als Aufgabe: Ein Fass ohne Boden und ständig in Lebensgefahr

Der gemeinnützige Verein „Notpfote Animal Rescue e.V.“ geführt von Tom und Babette Terveer, betreibt in Deutschland und anderen Ländern aktiven Tierschutz. Sie arbeiten mit über 200 Pflegestellen in Deutschland, sowie mit ausländischen Tierheimen in Portugal, Spanien, Rumänien, der Ukraine und Türkei zusammen. Halten kann sich der Verein nur dank der vielen ehrenamtlichen Unterstützer. Einer von ihnen ist Malte Zierden. Der Content Creator wurde vor einigen Jahren durch seine humorvollen Videos auf Instagram und TikTok bekannt. Tierschutz lag dem 32-jährigen aus Hamburg schon immer a Herzen: „Ich würde sagen, ich kann mit Tieren besser kommunizieren als mit Menschen“, sagt er. Seit Anfang 2023 arbeitet er wieder aktiv im Tierschutz – in Krisengebieten. Sein erster Einsatz mit der „Notpfote Animal Rescue e.V.“ führte ihn in die Ukraine. Ein gesamtes Tierheim im Kriegsgebiet musste evakuiert werden. Sein dazu veröffentlichtes Instagram-Video spielte über Nacht so viel Spendengeld ein, dass ein neues Tierheim gebaut und alle Hunde eine neue Unterkunft bekommen konnten.

Täglich sterben Tiere auf der Straße und in provisorisch angelegten Tierheimen

„Das Tierheim wird für 300 Hunde und Katzen als Tierbrücke dienen - um die Seelen erstmal aus den katastrophalen Bedingungen der Straße zu holen, sie ärztlich zu versorgen und ihnen die Möglichkeit zu geben, nach Deutschland vermittelt zu werden.“ Bevor die Tiere ausreisen dürfen, müssen sie geimpft, gechipt und kastriert werden, bevor sie drei Monate in Quarantäne vor Ort bleiben. 

„Weil es in Tierheimen, insbesondere in provisorisch gebauten, zu Problemen kommen kann, wird das Tierheim nach europäischen Standards errichtet und hat ein strenges Hygienekonzept“, so Malte. Denn sonst breiten sich Krankheiten schnell aus und Tiere in überfüllten Zwingern greifen sich an und verletzen sich. „Täglich sterben Hunde, da kranke Tiere nicht separiert werden können.“ 

Malte mit seiner Freundin Phia in ihrem eigenen Tierheim in der Ukraine - ein großes Projekt

Foto von Fabian Schmidt

Medizinische Versorgung fehlt überall in Krisengebieten

Nach dem Erdbeben in Hatay, Türkei war Malte mit dem Team der „Notpfote Animal Rescue e.V.“ vor Ort. Die größten Probleme lägen darin, dass die Tiere sich auf der Straße unkontrolliert vermehrten, Krankheiten hätten, verletzt seien oder verhungerten. „Eigentlich müsste man präventiv arbeiten und die Tiere kastrieren, das kostet jedoch eine Menge Geld, welches vor Ort schlichtweg nicht vorhanden ist“, erklärt Malte. Deswegen gehe es um eine mittelfristige Langzeitversorgung: „Wir arbeiten mit Vereinen vor Ort zusammen, holen Tiere aus den Gebieten und bringen sie in unmittelbar gelegene Tierheime.“ Dort gehe es vor allem um medizinische Versorgung in Ersthilfestationen, denn viele Hunde sterben vor Ort, darunter vor allem Welpen. 

Die Einsätze vor Ort sind für die Tierschützer lebensgefährlich 

Die Einsätze vor Ort sind für Malte und alle anderen Ehrenamtlichen lebensgefährlich. Egal ob sie in einem umkämpften Kriegsgebiet, Erdbebentrümmern oder Waldbränden arbeiten – ihnen ist klar, dass sie ihr Leben für die Rettung der Tiere aufs Spiel setzen. „Ich sehe es so: Jedes Leben ist gleich viel wert, egal ob Mensch oder Tier. Diese Tiere können sich nicht selbst beschützen, deshalb müssen wir das tun. Sie können nichts für ihre Situation und oftmals sind die Probleme, in denen sie stecken menschengemacht, wie zum Beispiel in einem Kriegsgebiet. Da müssen wir helfen.“ 

Vor ihren Einsätzen in Krisengebieten geht es viel um Recherche: Wie sind die Bedingungen vor Ort, welche Teile der Ukraine stehen unter Beschuss, gibt es Nachbeben im Erdbebengebiet, wohin breitet sich das Feuer aus – dafür sind die Ehrenamtlichen viel auf die Zusammenarbeit mit lokalen Vereinen und Mitarbeitern vor Ort angewiesen. Je näher sie dem Krisengebiet kommen, umso unruhiger wird die Stimmung im Team. „Ich spüre immer einen Kloß im Hals und ein sehr mulmiges und schweres Gefühl im Bauch, das die ganze Zeit über nicht mehr weggeht“, so Malte. 

BELIEBT

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    Bei seiner Arbeit in Krisengebieten sieht Malte viel Tierleid - trotzdem sagt er, er habe "seine Aufgabe" gefunden. 

    Foto von Benny Voges

    Vor Ort müssen schnell Entscheidungen getroffen werden – ohne Emotionen

    „Gerade in Kriegsgebieten handelt es sich um eine sehr heimtückische Gefahr. Man sieht den Feind nicht - nicht die Leute, die aus Gewehren schießen oder Bomben abwerfen. Du hörst den Luftalarm, im Hintergrund schlagen Bomben ein. Man sieht zerbombte Städte und Häuser – diese Momente sind schlimm. Denn erst vor Ort wird einem wirklich bewusst, was hier gerade passiert. Man hat Verantwortung für die Tiere und für andere Menschen und muss Entscheidungen treffen, von denen Leben abhängen können“, versucht er seinen Einsatz in Worte zu fassen. 

    Meist gebe es einen Plan, der schon nach wenigen Minuten vor Ort nicht mehr umsetzbar sei, da man nicht mit Krieg oder anderen Katastrophen planen könne. In erster Linie heißt es aber: So viele Tiere wie möglich zu retten. „Wir müssen allerdings Tiere bevorzugen, von denen wir wissen, dass wir sie nach Deutschland vermitteln können.“ Große Hunde beispielsweise lassen sich schlechter vermitteln, erzählt der Tierschützer. Daher müsse man manche Hunde zurücklassen, um andere zu priorisieren. „Dabei muss man über das Schicksal der Seelen, die vor einem stehen, entscheiden. Es ist eine unfassbar traurige Aufgabe, bei der man einfach funktionieren muss. Das emotionale Zentrum wird vorübergehend ausgeschaltet. Alles holt einen dann später umso stärker ein und überrollt einen richtig“, erklärt der bekannte Tierschützer.

    Beim Einfangen der verängstigten Hunde braucht es vor allem eins: Geduld!

    Foto von Tyll Hauptmann

    Menschen bleiben in Kriegsgebieten, um den Tieren zu helfen: Für Malte sind diese Menschen Helden

    Dagegen stehen die Rettungen und zweiten Chancen für die Tiere, die Malte und die anderen Ehrenamtlichen weitermachen lassen. Trotzdem kämpfen sie mit dem, was sie erleben: „Ich falle nach einem Einsatz in ein unfassbar tiefes Loch und fühle mich innerlich leer. Was man erlebt, zerschlägt einen komplett. Es ist ein großer Unterschied, ob man Bilder und Videos im Internet sieht oder vor Ort den Seelen in die Augen schauen, sie zurückzulassen oder ein sterbendes Tier im Arm halten muss“. Trotzdem will er bei weiteren Einsätzen dabei sein. Er glaube an das Gute im Menschen und würde sich nicht davon abbringen lassen, zu helfen. „Diese Menschen, die nicht fliehen, sondern aus eigener Entscheidung in einem Kriegsgebiet bleiben, um vor Ort zu helfen: Diese Menschen geben mir Kraft und es ist schön zu wissen, dass es sie wirklich gibt. Ludmilla zum Beispiel hat ein Tierheim in Cherson in der Ukraine und geht nicht, bevor nicht alle Tiere dort evakuiert wurden.“

    Trotz Unterstützung stoßen Tierschützer wie Malte auch auf Unverständnis. Das eigene Leben für Tiere zu gefährden, sei für einige nicht nachvollziehbar: „Menschen können manchmal maßlos arrogant sein, es fehlt an Empathie und Verständnis für andere Lebewesen, das merke ich immer wieder bei meiner Arbeit. Dabei ist es doch ganz einfach: Wem es egal ist, der soll wegschauen. Und  nicht die Leute, die ihre Leidenschaft leben und dabei ihr Leben riskieren, ausbremsen“. Stattdessen solle man spenden, sich ehrenamtlich einbringen, Aufklärung leisten und sich informieren. Außerdem könne man, statt ein Tier beim Züchter zu kaufen, ein Tier aus dem Tierschutz adoptieren. Malte macht klar: „Tiere sind keine Gegenstände, man sollte sie nicht nach ästhetischen Vorstellungen aussuchen wie ein Auto. Wir wollen das haben, was wir ästhetisch und schön finden. Ich will das niemandem nachreden, aber ich denke, es fehlt einfach das Bewusstsein. Man gibt mehrere tausend Euro aus für einen Zuchthund, aber im gleichen Atemzug sitzen Millionen von Tieren in Tierheimen fest oder sterben auf der Straße. Wir müssen alle mehr Bewusstsein aufbauen und Empathie zeigen.“

    Cover National Geographic 9/23

    Foto von National Geographic

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