Tierkinder im Winter: Überleben in der eiskalten Kinderstube

Ob schlafend in tiefen Erdhöhlen, auf der Jagd im Familienbund oder früh auf sich allein gestellt – der erste Winter stellt für viele heimische Jungtiere eine regelrechte Bewährungsprobe dar.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 29. Nov. 2023, 08:36 MEZ
Luchse kuscheln sich im Schnee unter einem Baum zusammen.

Junge Luchse lernen aufgrund ihres Lebensraum schnell kennen, was es bedeutet, wenn der Winter richtig kalt wird.

Foto von DirkR / adobe Stock

Das erste Jahr im Leben von jungen Wildtieren ist meist das entscheidende. Wenn der Winter naht, bricht eine heikle Phase an. Während manche in den eisigen Monaten das Licht der Welt erblicken, haben sich andere bereits auf die allerersten kalten Temperaturen ihres Lebens vorbereitet – oder halten gar Winterschlaf. Was es für wilde Tierkinder hierzulande bedeutet, ihren ersten Winter zu durchleben.

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Murmeltiere: Überwintern mittels Fettreserven und Kältestarre

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    Ein Murmeltier reckt sich im Schnee in die Höhe.

    Die Jungen der in Deutschland extrem gefährdeten Murmeltiere können zum Wintereinbruch auf das gemütliche, von den erwachsenen Tieren vorbereitete Winterquartier zählen.

    Foto von remus20 / Adobe Stock

    Hoch in den Bergen wird es früh eiskalt. Zwischen 900 und 2.500 Metern über dem Meeresspiegel, der sogenannten unteren Schneegrenze, fallen die ersten Schneeflocken teils schon im frühen Herbst. In diesen Höhenlagen erleben die Äffchen oder Affen genannten Jungen der Murmeltiere (marmota marmota) ihren ersten herausfordernden Winter.

    Nach ihrer Geburt im Juni haben die Jungen nur drei Monate Zeit, ihr Geburtsgewicht von lediglich 30 Gramm um das rund 70-fache zu erhöhen. Die ersten vier bis fünf Wochen säugt die Mutter ihren Wurf von durchschnittlich vier Jungen. Danach tun sie es ihren ausgewachsenen Familienmitgliedern gleich und fressen vor Einbruch des Winters hauptsächlich Kräuter, Samen oder Gräser. Trotzdem erreichen sie bis zum Wintereinbruch meist nur die Hälfte des Gewichts ausgewachsener Tiere, die rund fünf Kilogramm und ein zusätzliches Kilo an Fettreserven auf die Waage bringen.

    Wann der Winterschlaf beginnt, entscheidet die Natur mit dem ersten Schneefall. Überrumpelt werden die jungen Erdhörnchen und ihre Familien davon jedoch nicht. Bereits in den warmen Monaten des Jahres bereiten sie ihre Schlafplätze in separaten Winterquartieren mit etwa zehn Kilogramm eigens gesammelten und getrockneten Heu vor. 

    Nach ihrem Einzug verschließen Murmeltiere die Zugänge mit Steinen, Erde oder Kot und verfallen schließlich in Kältestarre. Um die Überlebenschancen der Jungen zu erhöhen, kuscheln sich dafür bis zu 20 Tiere aneinander. Währenddessen sinkt ihre Körpertemperatur auf fünf bis sieben Grad, Organe wie der Magen oder die Niere verkleinern sich. Pro Minute wird mit zwei Zügen geatmet und das Herz schlägt lediglich 20 statt 200 Mal. Weshalb sie diesen Zustand in regelmäßigen Abständen durch Muskelzittern wieder aufheben, blieb bislang unerforscht.

    Kegelrobben: Heuler sind früh auf sich alleine gestellt

    Ein kleiner Heuler auf dem Sand.

    Kaum überlebensfähig und schon von der Mutter verlassen – für die jungen Kegelrobben beginnt kurz nach der Geburt im Winter der Ernst des Lebens.

    Foto von Thomas / Adobe Stock

    Den Kegelrobben (Halichoerus grypus) kommen die ruhigen, menschenleeren Strände und Dünen des Wattenmeers und der Ostsee im Winter sehr gelegen. Von November bis Januar bringen die Weibchen hier ihre Jungtiere zur Welt. Stolze zehn bis fünfzehn Kilogramm wiegen die Heuler bei der Geburt – dank ihres dichten, weißen Fells bestens vor dem unbeständigen norddeutschen Wetter geschützt.

    Die ersten vier Wochen ihres Lebens verbringen die Heuler einen Großteil ihrer Zeit wartend an den Stränden und in den Dünen – denn schwimmen können sie noch nicht. Ihre Mütter begeben sich bereits kurz nach der Geburt alleine auf Nahrungssuche, säugen die Jungtiere aber regelmäßig. Nachdem die Jungen mit zwei bis drei Wochen abgestillt sind, sind sie auf sich alleine gestellt. Bis zum Fellwechsel mit etwa einem Monat verbleiben sie am Strand und zehren von ihrer Fettschicht, dem sogenannten Blubber. 

    Dann heißt es: Ab ins kühle Nass und selbst jagen. Bestenfalls sechs Kilogramm Fisch benötigen sie täglich, um kräftiger zu werden. Wie genau das vonstatten geht, müssen die jungen Räuber allerdings selbst herausfinden. Da sie nicht mehr auf mütterliche Unterstützung zählen können, nehmen die meisten Jungtiere zunächst rapide ab. Mit der Zeit klappt das bis zu 20 Minuten lange Tauchen und Jagen aber immer besser.

    Rebhuhn: Der Winter schweißt die Familie zusammen

    Mehrere Rebhühner sitzen nebeneinander im Schnee.

    Im Sommer aus der Ferne dank ihres gemusterten Federkleides kaum zu erkennen, fällt den Rebhühnern die Tarnung im Winter äußerst schwer. Um zu Überleben, müssen Jung und Alt zusammenhalten.

    Foto von Ronnie Howard / Adobe Stock

    Sowohl die Küken als auch die ausgewachsenen Rebhühner (Perdix perdix) sind aufgrund ihres kompakten Körpers und ihrer kurzen Flügel ausgesprochen schlechte Fluchttiere. Deshalb verlassen sie sich auf ihre äußerst wirksame Camouflage. Während und außerhalb der Brutzeit sind sie dank ihres aus der Ferne grau erscheinenden Pracht- und Schlichtkleides kaum von Feinden auszumachen. Mit dem ersten Schneefall fliegt ihre Tarnung allerdings auf: Sie heben sich stark vom hellen Schnee ab, Füchse oder Greifvögel haben dann ein leichtes Spiel. 

    Um den Winter zu überstehen, bleiben die Rebhühner daher in einem als „Kette“ bezeichneten Familienverband zusammen. Bis zu 15 Tiere, Altvögel und Jungvögel vereint, begeben sich dann gemeinsam auf Nahrungssuche und spenden sich gegenseitig Schutz und Wärme. Während fremde Familienketten im Sommer nicht gut miteinander auskommen, ändert sich dies in eisigen Wintermonaten. Dann kann es durchaus vorkommen, dass sich zwei Ketten zu einem sogenannten Volk mit bis zu 25 Tieren zusammenschließen. Pünktlich zum Frühlingsbeginn löst sich der Zusammenhalt wieder – die ausgewachsenen Jungtiere und Altvögel gehen ihrer Wege. 

    Wildschweine: Gut beschützte Frischlinge 

    Ein Wildschwein läuft mit fünf Frischlingen im Schlepptau durch den schneebedeckten Wald.

    Das Geburtsgewicht der durchschnittlich sieben Frischlinge liegt lediglich zwischen 500 und 1.000 Gramm. Eine Geburt im Winter verlangt einiges von den zarten Schweinchen ab.

    Foto von danielpankoke / Adobe Stock

    Aufgrund der milden Winter und des ausgiebigen Nahrungsangebotes erstreckt sich die Paarungszeit von Wildschweinen (Sus scrofa) mittlerweile über das ganze Jahr. Deshalb kommen auch immer öfter Frischlinge während der Wintermonate zur Welt. Bis zu vier Monate lang werden sie anschließend von der Mutter gesäugt – und von der Rotte, bestehend aus ausgewachsenen Weibchen, deren Nachwuchs und männlichen Jungtieren, umsorgt.

    Sollte es doch frostig werden, kann das ausgewachsene Schwarzwild den kalten Temperaturen mit Winterborsten und Unterwolle trotzen. Luftkammern zwischen den Haaren isolieren und schützen gleichzeitig vor Feuchtigkeit und Kälte. Zudem wärmen Speckpolster die Tiere nicht nur, sondern lassen sie auch längere Frostperioden überleben. Frischlinge verfügen über diesen Vorteil allerdings noch nicht – denn ihr erstes Winterfell erhalten sie erst im kommenden Herbst. Späte Wintereinbrüche können ihnen also gefährlich werden. Dicht an dicht kuschelt sich die Rotte deshalb im Unterholz aneinander.

    Dank ihrer guten Anpassungsfähigkeit sind Wildschweine bestens für die kurzen Tage und die umso längeren Nächte des Winters gewappnet. Obwohl es früh dämmert, finden sie sich gut zurecht. Ihre Augen sind für die Dunkelheit besser ausgestattet als die des Menschen. Dennoch verlassen sie sich hauptsächlich auf ihr ausgesprochen gutes Riechvermögen. Egal wie rau oder mild der Winter wird, mit ihrem kräftigen Rüssel finden sie Nahrung – denn die Allesfresser sind alles andere als wählerisch. Mit zusätzlichen Fettpolstern können sie auch längeren Frost gut überbrücken. 

    Luchs: Junge Pinselohren auf Schneeschuhen

    Zwei Luchse liegen im Schnee und reiben ihre Köpfe aneinander.

    Jäger auf leisen Pfoten: Unter Anleitung ihrer Mutter lernen junge Luchse ihr Hör- und Sehvermögen für die Jagd zu nutzen. Doch nicht immer gelingt es ihr, ihren Nachwuchs erfolgreich über den Winter zu bringen. 

    Foto von byrdyak / Adobe Stock

    Während anderswo geschlummert wird, müssen junge Luchse (Lynx lynx) im Alter von etwa sechs Monaten erstmals durch das verschneite Unterholz stapfen. Vor allem in den Nationalparks Harz und Bayerischer Wald – der Heimat der meisten Luchse hierzulande – kann der Winter harsch und langwierig sein. Glücklicherweise sind die Wildkatzen bestens dafür ausgerüstet: Dank der gespreizten Zehen ihrer großen Tatzen sind sie wie auf Schneeschuhen unterwegs. Die behaarte Unterseite der Pfoten schützt sie ebenso vor eisiger Kälte wie ihr dichtes, isolierendes Fell mit individuellem Fleckenmuster.

    Bis zum nächsten Frühjahr verbleiben die Jungen bei ihrer Mutter. Vor Einbruch des Winters werden sie abgestillt. Dann lehrt sie ihnen, wie sie das gute Gehör ihrer Pinselohren und ihre leisen Sohlen nutzen, um gestandene Überraschungsjäger zu werden. Auf dem Speiseplan stehen hauptsächlich Rehe. Je nachdem, wie erfolgreich das Gespann von Mutter und Nachwuchs ist, wird auch Jagd auf kleinere Tiere gemacht. Im Optimalfall erreichen die Kleinen im Frühjahr ein Gewicht zwischen sieben und zehn Kilo.

    Doch trotz all dieser praktischen Eigenschaften und der mütterlichen Fürsorge überstehen nicht alle die Feuerprobe ihres ersten Winters: Lediglich einer von vier Jungluchsen erreicht das erste Lebensjahr. Nach der Trennung von der Mutter überlebt nur jedes zweite Jungtier die selbstständige Reise auf der Suche nach einem eigenen Revier.

     

    Weitere junge Überlebenskünstler gibt es in National Geographics „Tierische Schnee-Schule“ am 01.12.2023 um 18:00. National Geographic und National Geographic WILD empfangt ihr über unseren Partner Vodafone im GigaTV Paket.

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