Der Winterschlaf ist gar kein Schlaf
Es sind nicht nur Bären und Siebenschläfer. Findet heraus, welche Tiere „Winterschlaf" halten und warum.
Wer kein großer Freund der kalten, dunklen Jahreszeit ist, hat sicher schon mal jene Tiere beneidet, die Winterschlaf halten. Schließlich vergraben sie sich – in menschlichen Begriffen gesprochen – unter Kissen und Decke und schlummern dort gemütlich vor sich hin, bis der Frühling kommt, oder nicht? Tatsächlich ist das nicht wirklich der Fall.
Was ist Winterschlaf?
Trotz des irreführenden Namens „schlafen“ Bären und andere Tierarten während des Winterschlafs nicht.
Der Winterschlaf ist eine ausgedehnte Art des Torpors – ein Zustand, in dem die Stoffwechselaktivität extrem gesenkt wird, mitunter auf bis zu fünf Prozent des Normalzustandes. „Die meisten Körperfunktionen werden extrem verlangsamt oder kommen zum Stillstand“, sagt Marina Blanco vom Duke Lemur Center in Durham, North Carolina. Sie untersucht madagassische Fettschwanzmakis (Cheirogaleus), die einzigen Primaten, die einen geregelten Winterschlaf halten.
Wenn Fettschwanzlemuren überwintern, senken sie ihren Herzschlag von über 300 Schlägen pro Minute auf weniger als sechs, sagt Blanco. Statt jede Sekunde zu atmen, können sie bis zu zehn Minute lang überleben, ohne einen Atemzug zu nehmen. Ihre Hirnaktivität „wird nicht messbar“.
Dieser Zustand unterscheidet sich deutlich vom Schlaf, der ein sanfter Ruhezustand ist, bei dem die unbewussten Funktionen weiterhin ausgeführt werden. Tatsächlich hat Blanco sogar herausgefunden, dass Winterschläfer regelmäßig wieder aufwachen müssen, um zu schlafen.
Warum halten Tiere Winterschlaf?
Einfach ausgedrückt: „Winterschlaf ist eine Form des Energiesparens“, sagt Kelly Drew. Die Neuropharmakologin der Universität von Alaska Fairbanks untersucht die Hirnchemie von überwinternden Arktischen Zieseln.
Obwohl Winterschlaf meist als saisonales Verhalten auftritt, ist er kein exklusives Merkmal von Tieren in kalten Lebensräumen. Es gibt auch tropische „Winterschläfer“, die beispielsweise der Hitze entgehen wollen.
Aber Temperatur ist nicht immer der ausschlaggebende Faktor. „Manche Arten halten als Reaktion auf einen Nahrungsmangel Winterschlaf“, so Drew. Australische Ameisenigel halten beispielsweise nach Bränden Winterschlaf und warten darauf, dass sich die Nahrungsressourcen wieder erholen.
Neue Studien lassen sogar auf einen dritten möglichen Grund schließen: Schutz. Wer Winterschlaf hält, „riecht nicht, macht keinen Krach, bewegt sich nicht und ist für Fressfeinde daher sehr schwer zu entdecken“, sagt Thomas Ruf, ein Professor für Tierphysiologie an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Seine Arbeiten zeigen, dass kleine Säugetiere im Vergleich zum Winterschlaf mit fünfmal größerer Wahrscheinlichkeit pro Monat sterben, wenn sie wach sind.
Was genau passiert beim Winterschlaf?
Um ihren Stoffwechsel zu verlangsamen, senken die Tiere ihre Körpertemperatur im Schnitt um fünf bis zehn Grad Celsius. Die Arktischen Ziesel (Spermophilus parryii), mit denen Drew arbeitet, gehen sogar noch weiter und senken ihre Körpertemperatur auf bis zu drei Grad unter Null.
Drews Forschungen haben gezeigt, dass der Kühleffekt wahrscheinlich über die Adenosinkonzentration im Gehirn reguliert wird. Die Konzentration steigt bei Arktischen Zieseln im Winter nicht nur an, die Adenosinrezeptoren werden auch empfindlicher.
Arktische Ziesel beim Winterschlaf an der Universität von Alaska Fairbanks.
Aber während ihrer Ruhephase verbleiben die Tiere nicht die ganze Zeit in ihrem kühlen, komatösen Zustand. Etwa 80 Prozent ihrer Energie wird zwischendurch verbraucht, wenn sie aufwachen und sich aufwärmen.
Aber während ihrer Ruhephase verbleiben die Tiere nicht die ganze Zeit in ihrem kühlen, komatösen Zustand. Etwa 80 Prozent ihrer Energie wird zwischendurch verbraucht, wenn sie aufwachen und sich aufwärmen.
Warum sie das tun, sei „eines der größten Mysterien“ des Forschungsgebietes, so Ruf. Manche vermuten, dass sie ihr Immunsystem wieder hochfahren müssen, um Krankheiten zu bekämpfe, während andere glauben, dass sie einfach aufwachen, um zu schlafen.
Leider setzen diese Wachperioden die überwinternden Arten in Zeiten des Klimawandels der potenziellen Gefahr des Aussterbens aus. Wissenschaftler fanden heraus, dass die Tiere bei höheren Umgebungstemperaturen länger aktiv bleiben und so mehr von der Energie verbrauchen, die sie zu sparen versuchen.
Welche Tiere halten Winterschlaf?
Es gibt eine Vogelart und diverse Amphibien, Reptilien und Insekten, die Zustände durchlaufen, welche dem Winterschlaf ähneln. Es gibt sogar mindestens eine Fischart – Notothenia coriiceps –, die ihren Stoffwechsel im Winter verlangsamt und 20 Mal weniger aktiv wird.
Natürlich halten auch zahlreiche Säugetierarten Winterschlaf. Vielen Menschen fallen zuerst Bären ein, aber die sind eher die Ausnahme: Die meisten Säugetierwinterschläfer sind bedeutend kleiner.
„Der durchschnittliche Winterschläfer wiegt nur 70 Gramm“, sagt Ruf. Das liegt daran, dass kleinere Körper ein problematischeres Verhältnis von Oberfläche zu Volumen haben, weshalb sie mehr Energie aufwenden müssen, um bei kaltem Wetter warm zu bleiben. Sie sind auf die saisonalen Energieeinsparungen also eher angewiesen als größere Tiere.
Welches Tier hält den längsten Winterschlaf?
Die Preisverleihung für den längsten Winterschlaf ist gar keine so einfache Angelegenheit. Die offensichtliche Wahl wäre der Siebenschläfer (Glis glis). Die Tiere, mit denen Ruf arbeitet, können in der Wildnis mehr als elf Monate am Stück Winterschlaf halten. Um das zu schaffen, müssen sie ihr Gewicht während ihrer aktiven Phase verdoppeln oder verdreifachen. Daher kommt auch ihr englischer Name „edible dormouse“ (dt. Essbarer Schläfer): Für die Römer waren die zarten, fettreichen Tiere kurz vor dem Winterschlaf eine Delikatesse.
Bei einem Experiment überwinterte eine Große Braune Fledermaus 344 Tage lang in einem Kühlschrank, was vermuten lässt, dass der Titel an Fledermäuse gehen könnte. Allerdings agierte das Tier nicht freiwillig und überlebte die Strapazen auch nicht.