Butterfly Effect: Ameisen ändern Jagdverhalten von Löwen

Eine winzige Veränderung im System kann eine Kettenreaktion auslösen, die alles ins Wanken bringt. So geschehen in Kenia, wo die Ankunft einer neuen Insektenart das Leben großer Säugetiere beeinträchtigt.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 16. Feb. 2024, 15:36 MEZ
Ein Löwe jagt zwei Zebras.

Zebras sind die Hauptbeute der Löwen im kenianischen Ol Pejeta Schutzgebiet – eigentlich. Seit einiger Zeit müssen sie sich jedoch umorientieren. Schuld ist ein winziges Insekt.

Foto von Alex254 / Wirestock Creators / Adobe Stock

Ein winziger Impuls, der eine Kettenreaktion auslöst, die bestehende Systeme grundlegend verändert: Das ist der Schmetterlingseffekt. In Ökosystemen, in denen jeder Bewohner seine Aufgaben erfüllen muss, damit das fein abgestimmte Gefüge reibungslos funktioniert, ist gut zu beobachten, wie schon kleinste Abweichungen große Folgen haben können.

Einen solchen Fall beschreibt eine Studie von Forschenden der University of Wyoming, die in der Zeitschrift Science erschienen ist. Darin wird berichtet, wie die Verdrängung einer heimischen Ameisenspezies durch eine invasive Art im kenianischen Ol Pejeta Schutzgebiet dazu geführt hat, dass Löwen plötzlich ihr Jagdverhalten ändern müssen.

Fein abgestimmtes Ökosystem

Eigentlich hat in der Savanne des ostafrikanischen Reservats alles seine Ordnung. An der Spitze der Nahrungskette stehen Löwen, die sich in erster Linie von Zebras ernähren. Bei der Jagd gehen sie strategisch vor und lauern versteckt hinter Büschen und Bäumen ihrer Beute auf, um sie im richtigen Moment aus dem Hinterhalt anzugreifen.

Eine Pflanze, die bei dieser Tarnungstaktik eine wichtige Rolle spielt, ist die strauchartige Flötenakazie (Vachellia depranolobium), eine in Ostafrika dominierende Pflanzenart. Sie ist nicht nur Löwenversteck, sondern auch Nahrungsquelle für andere Bewohner des Gebiets. Giraffen, Nashörner und Elefanten fressen ihr Laub, das in Trockenzeiten oft das einzige Grün ist, das in der Savanne noch zu finden ist. Gegen die großen Pflanzenfresser wehrt die Flötenakazie sich mit langen Dornen – und einem eigenen Sicherheitsdienst.

Ameisen der Gattung Crematogaster bewachen ihren Hausbaum, eine Flötenakazie, vor hungrigen großen Pflanzenfressern.

Foto von Pharaoh han / Wikimedia Commons

Denn in den großen Hohlräumen ihrer Dornen nisten Ameisen der einheimischen Gattung Crematogaster, die sich von dem süßen Nektar der Flötenakazie ernähren. Sobald sich ein hungriges Tier an „ihrer“ Akazie zu schaffen macht, gehen sie in den Verteidigungsmodus über und vertreiben es mit unangenehmen Bissen. Durch diese Symbiose stabilisieren die Ameisen der Studie zufolge den Baumbestand ganzer Landstriche.

Insekteninvasion löst Schockwelle aus

Vor etwa zwei Jahrzehnten mischte sich jedoch eine neue Spezies in das System ein: Die Großköpfige Ameise (Pheidole megacephala). Sie wurde erstmals auf Mauritius beschrieben und breitet sich mit großem Erfolg unaufhaltsam in tropischen und subtropischen Weltregionen aus. Im Ol Pejeta Schutzgebiet angekommen, begann die invasive Art ihr Territorium auszuweiten, indem sie heimische Ameisen tötete.

Dieser Insektenkrieg auf unterster Ebene setzte eine Kettenreaktion in Gang, die inzwischen an der Spitze der Nahrungskette angekommen ist. Denn die invasive Ameisenart bewacht, anders als die heimische Spezies, die Flötenakazien nicht vor hungrigen Pflanzenfressern, sodass sie ihnen plötzlich schutzlos ausgeliefert sind. Die Studienautoren berichten, dass dies in Gebieten, in denen die Großköpfige Ameise dominiert, zu einer Überweidung geführt hat: Fünf- bis siebenmal häufiger werden Akazien dort von Elefanten abgefressen oder abgebrochen.

BELIEBT

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    Elefanten streifen durch ein von Großköpfigen Ameisen befallenes Gebiet im Ol Pejeta Schutzgebiet in Kenia. Nach der Vertreibung heimischer Ameisen kam es zu einer Überweidung der Flötenakazien.

    Foto von Brandon Hays

    Das hat zur Folge, dass die Landschaft der Savanne sich verändert und insgesamt viel offener wird – und Löwen keine Verstecke mehr finden, in denen sie ihre Hauptbeute, die Zebras, belauern können. In Zahlen ausgedrückt heißt das, dass in Gebieten, in denen sich die Großköpfige Ameise ausgebreitet hat, 2,87-mal weniger Zebras von Löwen erbeutet werden. Zwischen 2003 und 2020 nahm der Anteil von Löwen getöteter Zebras in den untersuchten Gebieten um 15 Prozent ab.

    Schmetterlingseffekt mit Ameisen

    „Wir zeigen, dass die Ausbreitung der Großköpfigen Ameise – einer der weltweit am weitesten verbreiteten und ökologisch folgenreichsten Eindringlinge – eine ökologische Kettenreaktion ausgelöst hat, die den Erfolg der Löwen bei der Jagd auf ihre Hauptbeute verringert“, heißt es in der Studie.

    Glücklicherweise bedeutet das – zumindest bisher – nicht, dass die Löwen im Ol Pejeta Hunger leiden. Die Populationsgröße ist trotz Insekteninvasion stabil, weil die Raubkatzen ihre Ernährung umgestellt haben: Statt Zebras jagen sie jetzt vermehrt Kaffernbüffel.

    Als Beutetiere waren diese zuvor für die Löwen nicht attraktiv, denn sie sind größer und schwieriger zu töten als Zebras. Noch im Jahr 2003 gab es darum keine Angriffe von Löwen auf Kaffernbüffel. Im Jahr 2020 waren die Raubkatzen dann aber für 42 Prozent aller Todesfälle dieser Tierart im Ol Pejeta Schutzgebiet verantwortlich.

    Weil sich Löwen für das Erlegen eines Kaffernbüffels in größeren Gruppen zusammenschließen müssen, ist zu erwarten, dass sich die Zusammensetzung und die Größe der Löwenrudel in dem Schutzgebiet in Zukunft diesen Anforderungen anpassen wird. In anderen Teilen Ostafrikas war dies bereits zu beobachten.

    Den Studienautoren zufolge illustriert dieser Fall gut, wie ein winziger Eindringling die Räuber-Beute-Dynamik großer Säugetiere in einem Ökosystem extrem verändern kann. Laut Kaitlyn Gaynor, Wildtierökologin an der University of British Columbia, die nicht an der Studie mitgearbeitet hat, ist dies eine wichtige Lektion für alle, die sich um den Schutz der Ökosysteme bemühen. Um diese zu erhalten, reiche es nicht aus, das Aussterben von Arten zu verhindern, schreibt sie in einem Artikel in der Zeitschrift Perspective. Ebenso wichtig sei „die Identifizierung und der Erhalt der wichtigsten Wechselwirkungen zwischen diesen Arten“.

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