Könige der Eiszeit: Als Höhlenlöwen durch Deutschland streiften

Noch vor einigen tausend Jahren lebten Löwen in weiten Teilen Europas. Auch im heutigen Deutschland fühlten sie sich wohl, wie viele Knochenfunde von Höhlenlöwen bestätigen.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 8. Aug. 2023, 11:06 MESZ
Löwen jagen Riesenhirsche, Wollnashörner trotten durch eine blühende Strauchlandschaft: Vor rund 30.000 Jahren ähnelte das Rheintal ...

Löwen jagen Riesenhirsche, Wollnashörner trotten durch eine blühende Strauchlandschaft: Vor rund 30.000 Jahren ähnelte das Rheintal der afrikanischen Serengeti.

Foto von CARSTEN PETER, MARC STEINMETZ; ILLUSTRATION: KAROL SCHAUER

Als Pfarrer Johann Friedrich Esper im Jahr 1771 in die Unterwelt hinabstieg, öffnete sich ihm das Tor zu einer längst vergangenen Zeit. In der Zoolithenhöhle im oberfränkischen Landkreis Forchheim stieß der forschungsbegeisterte Theologe auf einen Friedhof voller urzeitlicher Knochen. Neben den Fossilien von Höhlenbären, Vielfraßen und anderen großen Säugetieren ruhten dort auch die Überreste einer riesigen Großkatzenart. 

Anhand eines Schädels aus der Höhle konnte der Arzt und Naturforscher Georg August Goldfuß die geheimnisvolle Spezies vier Jahrzehnte später erstmals wissenschaftlich beschreiben: Panthera spelaea, der Höhlenlöwe. Bis heute  wurden die Überreste von rund 25 Höhlenlöwen aus der Zoolithenhöhle geborgen. 

Löwen in Deutschland: Im Eiszeitalter vor 300.000 bis 11.500 Jahren streifte der König der Tiere tatsächlich durch weite Teile Europas bis nach Sibirien. Mit einer Schulterhöhe von 1,5 Metern und einer Länge von weit über drei Metern war der Höhlenlöwe um einiges größer als seine heutigen Verwandten. Sein Fell war dichter, dunkler und länger als das des modernen Löwen. Das zeigen Funde von nahezu perfekt erhaltenen Eismumien aus Sibirien. Die Mähne des Höhlenlöwen dagegen war weniger üppig oder fehlte sogar gänzlich.

Höhlenlöwen hatten vermutlich keine oder nur wenig Mähne.

Foto von DeAgostini, Getty/Artwork by Mike Donnelly

Serengeti am Kölner Dom

Wer heute an Löwen denkt, dem kommt wahrscheinlich die schier endlose afrikanische Savanne in den Sinn. Tatsächlich fand der Höhlenlöwe im eiszeitlichen Europa vielerorts ähnliche Verhältnisse vor. Weite Flächen des Rheinlands waren vor 30.000 Jahren im Sommer von einer Savanne aus wogenden Gräsern bedeckt. 

Diese Szenerie ist das Gegenteil der lang herrschenden Vorstellung, dass eine karge Tundra oder finstere Tundra das Land beherrscht hätte. „Das Bild von einem vorgeschichtlich dicht bewaldeten Europa ist überholt“, sagt die Paläontologin Mietje Germonpré. Wo heute der Kölner Dom steht, war vermutlich einst eine Art Serengeti.

Die Landschaft war üppig, sie barst förmlich vor Leben. Die Tiere darin waren nach Ansicht von Forscherinnen wie Germonpré oft erheblich größer als ihre heutigen Verwandten. Herden von Mammuts, Wisenten oder Riesenhirschen grasten in der Savanne – dicht gefolgt von den großen Räubern wie HyänenBären oder Löwen. Ob der Höhlenlöwe ähnlich wie moderne Löwen in Rudeln jagte, ist umstritten. 

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    Wo lebte der Höhlenlöwe?

    Klar ist aber, dass der Höhlenlöwe – anders als sein Name vermuten lässt – keineswegs in Höhlen lebte. Der Lebensraum der urzeitlichen Großkatzen erstreckte sich über offene Steppen, Wälder bis hin zu alpinen Bergregionen. Sogar in der 2.800 Meter hochliegenden Conturineshöhle in Südtirol hat man Knochen von Höhlenlöwen entdeckt. 

    Seinen Namen verdankt der Höhlenlöwe dem Umstand, dass seine Knochen eben häufig in Höhlen entdeckt wurden. Warum ausgerechnet dort? Vermutlich, weil Hyänen die Kadaver von Löwen und anderen Tieren an einen geschützten Platz zerrten, um sie dort ungestört verspeisen zu können. Dies würde auch erklären, warum oft Fossilien vieler verschiedener Tierarten in Höhlen lagern.

    Möglicherweise waren es aber auch Menschen, die erlegte Löwen an einen sicheren Ort bringen wollten. Und so hinterließen die Großkatzen nicht nur physische Spuren in Form von Fossilien, sondern fanden auch in der Kunst und Mythologie der urzeitlichen Menschen ihren Platz. Höhlenmalereien und steinzeitliche Skulpturen zeugen von der kulturellen Bedeutung der Tiere.

    In den französischen Höhlen von Chauvet und Lascaux etwa finden sich detaillierte Darstellungen von Höhlenlöwen. Auch die berühmte etwa 40.000 Jahre alte Skulptur aus Mammutelfenbein aus der Vogelherdhöhle in Baden-Württemberg zeigt wahrscheinlich einen Höhlenlöwen.

    Kunst aus der Eiszeit: Darstellung von Höhlenlöwen in der Höhle von Chauvet.

     

    Foto von Gemeinfrei

    Warum starb der Höhlenlöwe aus?

    Mit dem Ende der letzten Eiszeit vor rund 10.000 Jahren verschwand der Höhlenlöwe schließlich für immer von der Bildfläche. Forschende verweisen auf eine Kombination verschiedener Faktoren, darunter Klimaveränderungen, den Wandel der Landschaften und den damit einhergehenden Rückgang der Beutetiere. Als die Temperaturen stiegen und die Steppe zum Wald wurde, seien die etablierten Arten der neuen Konkurrenz durch wärmeangepasste Neuankömmlinge nicht gewachsen gewesen. 

    Vermutlich hatte aber auch der Mensch seinen Anteil am Niedergang der Raubkatze. Einer neueren Studie zufolge wurde der Höhlenlöwe von den Steinzeitmenschen wegen seines Fells womöglich massiv gejagt. Einkerbungen auf fossilen Knochenfunden würden dies nahelegen. Offenbar ging Homo sapiens schon damals wenig zimperlich mit der Natur um. 

    Historisch lässt sich das für die Megafauna Nordamerikas sogar nachweisen. Erst nach der Einwanderung des Menschen über die Landbrücke der Beringstraße vor etwa 10.000 Jahren verschwanden so exotische Arten wie die elefantenähnlichen Mastodonten oder das Riesenfaultier vom Kontinent. Möglicherweise ist es Höhlenlöwe, Mammut oder Wollhaarnashorn hierzulande ähnlich ergangen.

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