Das bizarre Sexleben der Anglerfische

Sobald einige Tiefseeangler-Arten mit der Paarung beginnen, können sie nie wieder damit aufhören. Eine Studie wirft Licht in die dunkle Welt der Tiefsee – und beleuchtet die kuriose Fortpflanzungsmethode der Tiere.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 31. Mai 2024, 15:43 MESZ
Rötlicher Anglerfisch

Tiefsee-Anglerfische leben in extremen Tiefen – und in nahezu völliger Dunkelheit. Aus diesem Grund haben die Tiere ihre Partnersuche den Umgebungsbedingungen entsprechend perfektioniert. 

Foto von Masaki Miya / Wikimedia Commons CC BY-SA

Gesucht, gefunden und nie wieder losgelassen: Wenn männliche Anglerfische in den dunklen Weiten der Tiefsee erst einmal eine Partnerin gefunden haben, lassen sie diese nicht so schnell wieder ziehen – in vielen Fällen sogar gar nicht mehr. Was nach einer romantischen, lebenslangen Beziehung klingt, ist in der Realität eine ziemlich bizarre Angelegenheit. Denn das Sexleben der Anglerfische wird vom sogenannten Sexualparasitismus dominiert, bei dem das Männchen für immer mit dem Weibchen verschmilzt – und über die Dauer der Beziehung sein Gesicht und seine Eigenständigkeit verliert. 

Warum gibt es diesen eigenartigen Paarungsmechanismus? Ein internationales Forschungsteam ist dem nun auf den Grund gegangen. Das Ergebnis: Ihre einzigartige Fortpflanzungsweise könnte den Tiefsee-Anglerfischen einen entscheidenden evolutionären Vorteil gebracht und sie die Tiefsee überhaupt erst erobern haben lassen. Die Studie der Forschenden erschien in der Zeitschrift Current Biology.

Galerie: Bizarre Welt der Tiefsee

Sexualparasitismus: Lebenslang verschmolzen für die Nachkommen

Tiefsee-Anglerfische (Ceratioidei) kommen in allen Ozeanen unterhalb von 300 Metern Tiefe vor und haben im Laufe der Evolution einen ausgeprägten Sexualdimorphismus entwickelt. Bedeutet: Die Männchen sind nur wenige Zentimeter groß, während ihre weiblichen Gegenstücke bis zu 1,2 Meter lang werden können. Dieses Phänomen hilft ihnen bei der Paarung, die in offenen Gewässern und Tiefen von 1.000 bis 4.000 Metern, in denen nahezu völlige Dunkelheit herrscht, nicht gerade einfach ist. Manche Männchen finden in den düsteren Weiten der Tiefsee sogar niemals eine Partnerin. 

Aus diesem Grund haben die meisten Tiefsee-Anglerfische eine ausgeklügelte Fortpflanzungsmethode entwickelt: Treffen sie aus Zufall doch einmal auf einen Sexualpartner, so wird dieser in einigen Familien und Gattungen – zum Beispiel bei den Rutenanglern (Ceratiidae) oder den Teufelsanglern (Linophrynidae) – nie wieder losgelassen. Die winzigen Männchen heften sich durch einen Biss an die viel größeren Weibchen. Manche von ihnen verschmelzen daraufhin für immer mit ihrer Partnerin: Der Kopf des Männchens löst sich im Weibchen auf, Haut und Blutkreislauf der Tiere wachsen zusammen. 

BELIEBT

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    Erste Aufnahmen eines lebenden Anglerfisch-Pärchens
    Zum ersten Mal wurde in der Wildnis die Paarung von Tiefsee-Anglerfischen gefilmt.

    Das Männchen ist fortan vollständig vom Weibchen abhängig und wird zum permanent Spermien produzierenden Sexualorgan. Es laicht gemeinsam mit dem Weibchen und stirbt mit ihm. So umgehen die Tiefseeangler von da an die beinahe unmögliche Partnersuche. Bei manchen Arten haben Weibchen nicht nur eines, sondern mehrere angewachsene Männchen. Der ganze Prozess wird Sexualparasitismus genannt und ist in dieser extremen Form einzigartig im Tierreich. 

    Erderwärmung führt zu Merkmalsanpassungen

    Um herauszufinden, weshalb es den Sexualparasitismus gibt, rekonstruierten die Forschenden die Evolutionsgeschichte der Tiefseearten. Anhand von genetischen Daten aus den Genomen von Tiefsee-Anglerfischen konnte das Team zeigen, wie sich die Tiere über mehrere Millionen Jahre hinweg entwickelt haben. Dabei konnten sie feststellen, dass sich der Sexualparasitismus mit dem Wechsel des Lebensraums der Anglerfische ausgeprägt haben muss. Einst lebten diese nämlich in flachen Lebensräumen wie Korallenriffen. Während der kurzen, aber extremen Erderwärmung des Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum vor etwa 55,8 Millionen Jahren wurden diese flachen Gewässer allerdings unbewohnbar. Die Tiefseeangler mussten sich also an die tieferen Zonen der Ozeane anpassen, um zu überleben. Durch Merkmalsanpassungen konnten sie im Laufe der Evolution die dunklen, offenen Gewässer der Tiefsee erobern.  

    Der Sexualparasitismus ist als Merkmalsanpassung laut der Studie entscheidend gewesen, um die offenen Gewässer der Tiefsee zu erobern, da er eine dauerhafte Reproduktion ermöglicht und so das Überleben der Spezies sichert.

    Wie Anglerfische bei Organtransplantationen helfen könnten

    Doch wie ist eine solche Verschmelzung überhaupt möglich? Normalerweise wird körperfremdes Material bei Wirbeltieren durch das Immunsystem abgestoßen, um beispielsweise das Eindringen von Krankheitserregern zu verhindern. Aus diesem Grund müssen Menschen nach einer Organtransplantation auch Immunsuppressiva einnehmen, damit das neue Organ nicht vom Immunsystem abgestoßen wird. Bei Anglerfischen ist das anders: Zu den Merkmalsanpassungen gehört unter anderem auch ein umgebautes Immunsystem, das das Verschmelzen der Tiere erst möglich macht. 2020 berichteten Forschende in einer Studie in der Zeitschrift Science darüber.

    Den Anglerfischen fehlen sogenannte rag-Gene, die dafür verantwortlich sind, Antigenrezeptoren auszubilden. Sie dienen eigentlich dazu, Zellen zu erkennen, auf die sich eine Immunreaktion richten soll. Nur so können Haut und Blutkreislauf der Tiere miteinander verschmelzen.

    Deshalb könnte „ein besseres Verständnis darüber, wie Tiefsee-Seefische ihre adaptive Immunität verloren haben, [...] eines Tages auch zu Fortschritten bei medizinischen Verfahren wie Organtransplantationen und Hauttransplantationen beitragen, bei denen die Unterdrückung der Immunität von entscheidender Bedeutung ist“, erklärt der Leiter der neuen Studie, Thomas Near, Professor für Ökologie und Evolutionsbiologie an der Yale University.

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