Weder dumm noch langsam: Studie widerlegt falsche Annahmen über den Dodo
Der Dodo ist eine der bekanntesten ausgestorbenen Tierarten der Welt. Bisher glaubte man, dass der flugunfähige Vogel plump und darum ein leichtes Opfer war. Eine britische Studie wirft nun ein anderes Licht auf die legendäre Riesentaube.
Basierend auf den Erkenntnissen der neuen Studie hat die Paläokünstlerin Karen Fawcett diese Skulptur eines Dodos erarbeitet.
Als Teile der Flotte einer niederländischen Ostindien-Fahrt im September 1598 auf der Ilha do Cerne – dem heutigen Mauritius – landeten, fanden sie dort keine Menschen vor. Sie trafen jedoch auf einen ihnen unbekannten, flugunfähigen Vogel, der Berichten zufolge den Seefahrern gegenüber keine Scheu zeigte und „doppelt so groß wie Schwäne“ war. Sie gaben dem Tier den Namen Walghstock – das niederländische Wort walghe bedeutet so viel wie „geschmacklos“, denn sein Fleisch war wohl kein kulinarischer Genuss. Heute kennt man die Spezies jedoch einem anderen Namen: Dodo.
Wie dieser tatsächlich geschmeckt, ausgesehen und gelebt hat, ist allerdings unklar: Weniger als hundert Jahre nach der ersten Sichtung war der Dodo (Raphus cucullatus) ausgerottet. Heute ist er eines der bekanntesten Beispiele für das durch den Menschen verursachte Artensterben. „Er war das erste Lebewesen, dessen Vorkommen aufgezeichnet wurde und das dann verschwand“, sagt Dr. Neil Gostling, Paläobiologe an der University of Southampton, England. „Zuvor hatte man es nicht für möglich gehalten, dass der Mensch die Schöpfung Gottes auf diese Weise beeinflussen könnte.“
Klassifizierung einer ausgestorbenen Art
Gostling ist Autor einer Studie, die im Zoological Journal erschienen ist und für die die nicht mehr existente Art so intensiv untersucht wurde wie nie zuvor. So kann sie einige falsche Annahmen über den Dodo widerlegen: Fett, langsam und dumm soll er gewesen sein – und damit sozusagen prädestiniert fürs Aussterben. Dass dem nicht so war, konnten die Forschenden zeigen, indem sie historische wissenschaftliche Quellen und Überreste der Vögel akribisch untersucht haben.
Zwei Faktoren erschwerten die Arbeit des Studienteams. Zum einen wurde bislang kein vollständiges Skelett eines Dodos gefunden und zum anderen existierten in dem Zeitraum nach seiner Entdeckung bis zu seinem Verschwinden noch keine Standards für die Beschreibung von Spezies. „Das war die Zeit, bevor es die wissenschaftlichen Prinzipien und Systeme gab, auf die wir uns stützen, um eine Art zu bezeichnen und zu klassifizieren“, sagt Gostling.
Der Rodrigues-Solitär (Pezophaps solitari) wurde im Rahmen der Studie ebenso untersucht. Er lebte ausschließlich auf der Mauritius vorgelagerten Insel Rodrigues und erlag demselben Schicksal wie sein Verwandter, der Dodo.
Darstellung des Dodos in seinem natürlichen Habitat auf Mauritius.
Dass das Wissen über die Tierart in erster Linie auf Berichten von Seefahrern und auf dieser Basis erstellten Darstellungen beruhte, führte in den Jahrhunderten nach dem Aussterben nicht nur zu einer Reihe von Fehlbezeichnungen und Beschreibungen von Arten wie dem Nazarener-Dodo, die nie wirklich existiert haben. Es war auch ein Grund dafür, dass die Existenz des Dodos zeitweilig sogar völlig in Zweifel gestellt wurde. „Im 18. und frühen 19. Jahrhundert galt der Dodo als mythologisches Tier“, sagt Mark Young, Hauptautor der Studie und Evolutionsbiologe an der University of Southampton. „Es war die harte Arbeit von Wissenschaftlern des viktorianischen Zeitalters, die schließlich bewiesen, dass er kein Fabelwesen war, sondern eine riesige Bodentaube.“
Zweig des Taubenstammbaums – für immer verloren
Um die ausgestorbene Art endlich korrekt zu klassifizieren, durchsuchten die Studienautor*innen wissenschaftliche Literatursammlungen in ganz Großbritannien nach Informationen über den Dodo. Dabei fanden sie hunderte Berichte, die bis in das Jahr 1598 zurückreichen. „Wir haben uns angeschaut, wo die ersten Aussagen gemacht wurden und wie sie die Beschreibungen entwickelt haben, um die Aufzeichnungen so gut wie möglich zu korrigieren“, sagt Studienautor Julian Hume, Vogelpaläontologe am britischen Natural History Museum.
Außerdem untersuchten sie Überreste der Vögel, die in verschiedenen britischen Institutionen lagern – darunter das älteste erhaltene Weichteilgewebe eines Dodos, das im Oxford Museum aufbewahrt wird. Auf diese Weise konnte das Studienteam belegen, dass es sich beim Dodo, ebenso wie bei seinem ebenfalls ausgestorbenen Verwandten, dem Rodrigues-Solitär, um Vögel aus der Familie der Tauben (Columbidae) gehandelt hat.
„Das Verständnis ihrer weiteren Verwandtschaft mit anderen Tauben ist von taxonomischer Bedeutung“, so Gostling. Mit dem Dodo und dem Solitaire sei ein einzigartiger Zweig des Taubenstammbaums verloren gegangen. „Es gibt heute keine anderen Vögel wie diese beiden Arten von Riesentauben.“
Flinker Waldbewohner
Dass der Dodo ein plumper Vogel war, konnten die Forschenden in zweierlei Hinsicht widerlegen. Zum einen geht dies aus historischen Berichten hervor, denen zufolge er ein ausgesprochen flinker Waldbewohner war. Zum anderen werden diese Berichte durch die Analyse der Knochenfunde unterstützt, die im Rahmen der Studie durchgeführt wurde. Sie legt nahe, „dass die Sehne des Dodos, die seine Zehen schloss, außergewöhnlich kräftig war – ähnlich wie bei heute lebenden Kletter- und Laufvögeln“, sagt Gostling. „Der Dodo war mit ziemlicher Sicherheit ein sehr aktives, sehr schnelles Tier.“
Doch auch, wenn der Dodo nicht das geborene Opfer war, für das man ihn so lange gehalten hat: Ausgestorben ist er trotzdem. Und daran war der Mensch schuld. „Diese Tiere waren perfekt an ihre Umwelt angepasst, aber auf den Inseln, auf denen sie lebten, gab es keine Raubsäugetiere“, so Gostling. „Als dann die Menschen kamen und Ratten, Katzen und Schweine mitbrachten, hatten der Dodo und der Solitaire keine Chance.“ Denn die eingeschleppten Arten zertrampelten Nester, fraßen Eier und auch ausgewachsene Vögel – dagegen konnte der Dodo sich nicht zur Wehr setzen.
Die jetzt veröffentlichten Erkenntnisse sind erst der Anfang. Das Projekt zur Erforschung des Dodos wird mit dem Ziel, die wahre Natur des legendären Vogels vollständig darzulegen – wie er wirklich aussah, lebte und sich bewegte – noch einige Jahre weiterlaufen. „Aber wir blicken nicht nur in die Vergangenheit“, so Gostling. Seine Hoffnung ist es, dass die Forschungsarbeit seines Teams auch dazu beitragen wird, die bedrohten Vögel von heute zu retten.