Rückkehr der Greifvögel: Endlich wieder im Aufwind?
Fast jede zweite Vogelart in Deutschland steht auf der Roten Liste. Vielen Greifvögeln geht es dagegen besser als vor 50 Jahren. Ein spektakuläres Comeback, das Hoffnung macht.
Seeadler in Brandenburg mit erbeutetem Aal
Deutschlands Wappenvogel wäre vor wenigen Jahrzehnten beinah ausgestorben. Bis ins 20. Jahrhundert wurde der Seeadler erbittert verfolgt und bejagt. In Westeuropa war der riesige Greifvogel schon vor 100 Jahren fast vollständig ausgerottet.
In den 1950er-Jahren kam es zu weiteren dramatischen Bestandsverlusten. Das Insektizid DDT hatte sich in der Nahrungskette angereichert. Wie bei vielen andere Greifvögeln führte das dazu, dass die Eierschalen zu dünn blieben und beim Brüten einfach zerbrachen. Hinzu kam, dass Seeadler empfindlich auf Störungen reagieren. Werden sie verschreckt, geben sie ihr Nest auf. Ganze vier Brutpaare zählte man um 1980 noch in Westdeutschland.
Doch dann gelang ein erstaunliches Comeback. Dank gezielter Schutzmaßnahmen, dem Verbot von DDT und anderen Umweltgiften in den 1970ern sowie der Renaturierung von Gewässern erholten sich die Bestände. Inzwischen brüten hierzulande schätzungsweise rund 850 Paare – Tendenz steigend. Heute gilt der Seeadler in Deutschland als nicht mehr gefährdet.
Erfolgsgeschichte des Artenschutzes
Es ist eine Erfolgsgeschichte des Artenschutzes, die auf den ersten Blick so gar nicht zur allgemeinen Entwicklung passen will. Denn viele andere Vogelarten sind im Sinkflug. 43 Prozent der 259 regelmäßig in Deutschland vorkommenden Brutvögel stehen mittlerweile auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Damit ist fast jede zweite heimische Spezies in ihrem Bestand gefährdet. 33 Vogelarten sind sogar „vom Aussterben bedroht“.
Oft sind es frühere „Allerweltsarten“ wie Feldlerche, Kiebitz oder Rebhuhn, die inzwischen vor dem Kollaps stehen. Vor allem der zunehmende Lebensraumverlust macht ihnen zu schaffen. Seeadler, Wanderfalke, Fischadler und andere Greifvögel, die einst vor der Auslöschung standen, sind dagegen wieder im Aufwind.
16 Greifvogelarten, darunter auch die Falken, die strenggenommen eine eigene Familie bilden, brüten regelmäßig in Deutschland. „Früher waren Jagd und Umweltgifte die Hauptursachen für die Bestandseinbrüche“, erklärt Martin Rümmler, Vogelschutzreferent beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Diese Bedrohungen gebe es glücklicherweise kaum noch in Deutschland. „Insgesamt geht es den Greifvögeln heute deutlich besser als noch vor 50 Jahren.“
Galerie: Wiedergeburt der Ausgestorbenen
Wanderfalken über der Frankfurter Skyline
Ein weiteres Paradebeispiel ist der Wanderfalke. Auch er litt enorm unter dem DDT-Einsatz. Nach dem Verbot erholten sich die Bestände. Auswilderungsprogramme und der Schutz der Brutplätze halfen dabei. Einst fast aus Deutschland verschwunden, jagt der Wanderfalke sogar am Himmel über der Frankfurter Skyline. Er brütet auf den Wolkenkratzern der Mainmetropole. Seine bevorzugte Beute: Stadttauben.
Auch die Rückkehr des Fischadlers macht Naturschützern neuen Mut. Nur noch wenige Dutzend Brutpaare gab es in den 1970er-Jahren bundesweit. Heute sind es wieder weit über 800 Paare. Viele Fischadler leben zum Beispiel im Müritz-Nationalpark in Mecklenburg-Vorpommern. In Baden-Württemberg gab es 2023 die erste erfolgreiche Brut seit 1907.
Wanderfalke in der Stadt: Seit einigen Jahren erobern die blitzschnellen Greifvögel den urbanen Raum. Zu ihrer bevorzugten Beute zählen Stadttauben.
Vogelschutz ist kein Selbstläufer
Es ist aber längst nicht alles rosig. Empfindliche Arten wie Schreiadler oder Kornweihe leiden unter dem Verlust ihrer Lebensräume. Naturnahe Wälder mit angrenzenden Grünflächen, Sümpfe und Moore mit ausgedehnten Schilfgürteln: All das gibt es nur noch selten in Deutschland.
Greifvogelschutz ist kein Selbstläufer. Einige Arten können sich auf lange Sicht nur halten, weil es besondere Schutzprogramme gibt. Und die kosten in der Regel viel Geld. Bauern bekommen zum Beispiel Entschädigungszahlungen, wenn sie Äcker unberührt lassen, auf denen seltene Arten wie die Wiesenweihe brüten.
Aber auch häufige Arten wie Mäusebussard oder Rotmilan, die eigentlich gut in der Kulturlandschaft klarkommen, haben es zunehmend schwer. Trotz technischer Schutzmaßnahmen verenden immer wieder Greifvögel durch Stromschläge an Mittelspannungsleitungen. Viele sterben auf Straßen und Schienen oder in den Rotorblättern von Windenergieanlagen.
Ausgesprochen selten in Deutschland: ein Schreiadler
Mäusebussard in Gefahr
Wie viele Greifvögel jedes Jahr durch diese tödlichen Fallen ums Leben kommen, lässt sich nicht genau sagen. Ohnehin ist das Vogelzählen eine komplexe Sache. Das weiß Ubbo Mammen nur zu gut. Der Diplom-Biologe aus Halle an der Saale leitet das Monitoringprogramm MEROS zur Ermittlung der Greifvogel- und Eulenbestände in Deutschland und Europa.
Mit Sorge blickt er auf Deutschlands häufigsten Greifvogel, den Mäusebussard. Seit 2005 nehme der Bestand ab. „Warum, wissen wir noch nicht genau“, sagt Mammen. Fakt aber sei: „Die Kulturlandschaft in Deutschland ändert sich stetig. Das hat auch Auswirkungen auf die Bestandsentwicklung der Greifvögel.“
Welche Rolle der Ausbau der Windenergie dabei spielt, soll ein öffentlich gefördertes Artenschutzprojekt herausfinden. Bereits 2016 wies eine Studie darauf hin, dass Mäusebussard und Rotmilan in besonderem Ausmaß betroffen sein könnten.
Was konsequenter Naturschutz leisten kann
Dennoch: Das Comeback von Seeadler, Fischadler, Wanderfalke und anderen Greifvögeln zeigt, was konsequenter Naturschutz leisten kann. Trotz aller bestehender und künftiger Gefahren. Das sieht auch Mammen so. Selbst Arten, die komplett am Boden liegen, könne man relativ schnell wieder auf die Beine helfen. „Das heißt aber nicht, dass es allen Greifvögeln wieder richtig gut geht. Die Anstrengungen zum Schutz dürfen nicht nachlassen.“