Staudämme im Regenwald: Stämme des Amazonas kämpfen um ihr Überleben

Der viertgrößte Damm der Welt wird einen Teil des Landes überfluten, auf dem Eingeborene seit Jahrhunderten leben.

Von Daniel Stone
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:40 MEZ
Ein Munduruku-Mädchen und ihr Äffchen
2016. Ein Munduruku-Mädchen und ihr Äffchen im Dorf Sawre Muybu. Sie trägt die traditionelle Gesichtsbemalung für eine Zeremonie am Tag nach einem Protest gegen Baupläne für eine Reihe von Dämmen an ihrem Fluss.
Foto von Aaron Vincent Elkaim, The Alexia Foundation

Die Geschichte der Tropen war schon immer eine Geschichte der Zerbrechlichkeit. Die Regenwälder sind gewissermaßen die Lungen des Planeten. Ihre Atmung beeinflusst das Klima, das Wetter und jeden Menschen, der auf der Erde lebt.

Was passiert also, wenn Bauprojekte bis in den Amazonas vordringen? Wenn Bäume gefällt, Straßen asphaltiert und Dämme gebaut werden? Der Fotograf Vincent Elkaim hat seine Karriere damit verbracht, die Geschichten der eingeborenen Völker und der alten Stätten zu erzählen, die durch Bauvorhaben bedroht werden. 2014 unternahm er seine erste Reise in den brasilianischen Bundesstaat Pará im Norden des Landes. Dort erlebte er, wie sich der Bau des Belo-Monte-Wasserkraftwerks am Fluss Xingu auf mehr als 25.000 indigene Einwohner auswirken würde, deren Überleben von der Nutzung des Landes abhängt.

Die brasilianische Regierung hat Pläne für bis zu 40 weitere Staudämme in dem Gebiet, die die Erschließung vorantreiben und die Wirtschaft des Landes ankurbeln sollen. Aber Elkaim betrachtet die Talsperren des Xingu als große Einschnitte in die Existenz der Menschen, die seit Jahrhunderten von der Bewirtschaftung des Landes leben und es für künftige Generationen beschützen. „Wir haben große Fortschritte dabei gemacht, die Entwaldung in diesem Gebiet zu verringern“, sagt Elkaim. „Aber für mich ist der Bau dieses Damms kein Symbol für den Schutz der Zukunft, sondern für deren Zerstörung.“

Seit die Pläne zum Belo-Monte-Wasserkraftwerk 1975 bekanntgegeben wurden, haben 16 Stämme des Amazonas dagegen protestiert und darauf hingewiesen, dass die Talsperren das Land, auf dem sie leben, überfluten würden. Erst 2011 ging das Projekt schließlich vorwärts, nachdem Korrekturen daran vorgenommen wurden, die einige Wohngebiete unberührt lassen und nur Jagdgründe beeinträchtigen würden. Wenn es 2019 in Betrieb genommen wird, soll das Kraftwerk 11.233 Megawatt produzieren und wäre damit das viertgrößte Wasserkraftwerk der Welt. Die erzeugte Energie wiederum wird vermutlich weitere Bauprojekte in der Region fördern.

Wie genau der Damm die Gemeinschaften der Eingeborenen entschädigen wird, war Gegenstand diverser Gerichtsverfahren. Eines davon aus dem letzten Jahr belegte den Eigentümer des Damms, Norte Energia, und die Regierung mit einer Geldstrafe von 275.000 Dollar, weil sie keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen für die in der Nähe lebenden Menschen implementiert hatten. Andere Verfahren führten zu weiteren Zugeständnissen, darunter auch das Versprechen, das Wasserkraftwerk nicht mit voller Leistung laufen zu lassen, damit nicht so viel Land geflutet werden muss.

Die Menschen, die in der Nähe leben, haben bereits vermehrt Wasser auf Land gesehen, das einst trocken war. Während der Reisen zum Damm und dem Flussbecken, die Elkaim unternommen hat, traf er Mitglieder des Stammes der Munduruku, die mit Steinen Protestsprüche legten. Er sah, wie sich die Menschen bereits an die Veränderungen des Wasserpegels anpassten. Er beobachtete, wie Männer ihre Autos auf überflutetem Land wuschen und wie ein paar Jungen auf einen toten Baum kletterten, der einst auf dem Trockenen gestanden hatte.

Die Regierung will mit dem Bau der Talsperren fortfahren und macht den Gegnern des Projekts regelmäßig Zugeständnisse, solange die Pläne nicht völlig zum Erliegen kommen. Teile des betroffenen Landes wurden als kulturell bedeutsam eingestuft, weshalb die Projektverantwortlichen ihre Pläne bereits ändern mussten. Das Unternehmen Norte Energia hat außerdem Umsiedlungsmaßnahmen für Mitglieder verschiedener indigener Stämme bezahlt, um sie in neuen Wohnsiedlungen in der nahegelegenen Stadt Altamira unterzubringen. Die Anlagen bieten jedoch kaum Möglichkeiten für Arbeitsplätze und Gemeinschaftsbildung. Elkaim hat man erzählt, dass Verbrechen und Alkoholismus oft feste Bestandteile von Umsiedlungszentren sind.

In diesem Kampf von Vergangenheit gegen Zukunft und Kultur gegen Wachstum haben Regierungsvertreter zu argumentieren versucht, dass beides nebeneinander möglich sei. Aber das Wasser hat so eine Art, Dinge hinfortzuspülen. Elkaim besucht die Region weiterhin, um mit seinen Fotografien festzuhalten, was auf dem Spiel steht. Er hofft, dass seine Bilder weltweit eine Nostalgie für den Amazonas und jene Menschen heraufbeschwört, die ihn seit Jahrhunderten bewohnen. „Der Gedanke dahinter ist, den Mythos und die Fantasie zu zeigen, die ihm innewohnt“, sagt er. Die beste Hoffnung für die dort lebenden Menschen ist, dass sie gesehen werden, und sei es durch ein Objektiv.

BELIEBT

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    2014. Munduruku laufen auf einer Sandbank des Tapajos und bereiten sich auf einen Protest vor. Nach Jahren des Kampfes konnten die Munduruku die Regierung dazu bewegen, ihr traditionelles Gebiet offiziell anzuerkennen. Diese Anerkennung verhinderte, dass das brasilianische Umweltministerium die Umweltgenehmigung für das Tapajos-Wasserkraftwerk (12.000 Megawatt) erteilen konnte. Der Kampf geht jedoch weiter, da 40 weitere Staudämme im Flussbecken nach wie vor in Planung sind.
    Foto von Aaron Vincent Elkaim, The Alexia Foundation

    Aaron Vincent Elkaim ist Mitglied des Boreal Collective. Das in Kanada gegründete Kollektiv besteht aus zwölf internationalen Fotografen, die mit ihrem Fotojournalismus die weltweite Aufmerksamkeit auf soziale Belange, kulturelle Erzählungen, Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Umweltbelange lenken wollen. Man kann ihm auf Instagram folgen.

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