Nach dem Ende der Steinkohle: Land unter im Ruhrgebiet?

Eine der wichtigsten Epochen der deutschen Wirtschaftsgeschichte ist zu Ende: Kurz vor Weihnachten 2018 schloss die letzte Steinkohlenzeche. Doch dem bisherigen Bergbau bleibt noch viel Arbeit – die Ewigkeitsaufgaben. Hauptproblem: die Wasserfluten

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 14. Dez. 2018, 12:38 MEZ
Strecke im Anschauungsbergwerk des Deutschen Bergbau-Museums
Eine Strecke im Anschauungsbergwerk des Deutschen Bergbau-Museums in Bochum.
Foto von Helena Grebe

Das Ruhrgebiet im Jahr 2050: Ein völlig fremdes Land, eine unbekannte Landschaft. Eine ganze Region ist quasi untergegangen – um nicht zu sagen: abgesoffen. Der Essener Hauptbahnhof ist verschwunden, versunken in einem riesigen See. Das Gewässer ist Teil einer gewaltigen Seenplatte. Sie erstreckt sich über das frühere Kohlenrevier von Duisburg über Gelsenkirchen, Bochum und Dortmund bis nach Hamm und über Teile des Münsterlandes. Unter den Wassermassen ruhen nun friedlich ganze Städte. Das Trinkwasser ist ungenießbar. Wo die mehr als fünf Millionen Menschen geblieben sind, die früher hier ihre Heimat gefunden hatten, ist schwer zu sagen. Alles geschah ohne gewollte äußere Einwirkungen. Ohne Attentate, Kriege oder gar Atombomben. Die Natur hat sich lediglich zurückgemeldet. Im Grunde haben nur die Pumpen ihre Arbeit nach und nach eingestellt, weil sie verrotteten. Und das Wasser ist kontinuierlich gestiegen.

Wenn Bäche rückwärts fließen

Kann ein solches Horrorszenario Wirklichkeit werden? Bringt das Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus mit der Schließung der letzten Zeche im Dezember 2018 langfristig auch eine radikale Änderung des ganzen Ruhrgebiets mit sich? Dass sich das Revier im Verlauf seiner fast 200-jährigen Bergbaugeschichte bereits deutlich verändert hat, stellt ein Statement der RAG-Stiftung außer Frage: „Der Steinkohlenbergbau hat ganze Landschaften absinken lassen. Damit die Bäche nicht rückwärts fließen und niedrig gelegenen Geländen keine Überschwemmung droht, muss der Wasserabfluss technisch reguliert werden.“

Werner Müller, Initiator der Stiftung und ehemaliger Bundeswirtschaftsminister, hat ein anschauliches Beispiel zur Hand: „Der Essener Hauptbahnhof liegt heute um 15 Meter unter Rheinniveau.“ Nach Angaben der Stiftung erreichen die Absenkungen im Ruhrgebiet bis zu 25 Meter. In den abgesackten Gebieten sind sogenannte Poldermaßnahmen notwendig: Flüsse und Bäche müssen auf Dauer aktiv reguliert werden. Zahlreiche Pumpen werden eingesetzt, um zu vermeiden, dass sich das Wasser in den Senken anstaut – eine der Ewigkeitsaufgaben der Stiftung. Arbeiten also, deren zeitliche Dauer nicht abzusehen ist, die auch in Zukunft nicht wegfallen und möglicherweise ewig dauern. Zumindest stellt sich die RAG-Stiftung darauf ein. Die Stiftung ist bereits 2007 gegründet worden, um das Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus in geordneten Bahnen durchzuziehen und dabei die Ewigkeitsaufgaben zu finanzieren. Für genügend Mittel ist seit längerem gesorgt. „Positive Signale“ will die Stiftung zudem durch die Förderung von Bildung, Wissenschaft und Kultur setzen, soweit diese im Zusammenhang mit dem Bergbau stehen.

Wahrzeichen des Steinkohlebergbaus in Deutschland: Das Fördergerüst des Bergbaumuseums in Bochum.
Foto von VanReeel, Shutterstock

Herausforderungen für die Ewigkeit

Dadurch dass die Poldermaßnahmen fortgeführt werden, sollen potenzielle Gefahren durch Wasser an der Erdoberfläche auch künftig gebannt werden. An mehr als 600 Plätzen sind Pumpwerke in Betrieb. Eine der wichtigsten Gesellschaften im Ruhrrevier, die für die Entwässerung der Polderlandschaften verantwortlich sind, ist die Emschergenossenschaft. Am Hauptstandort Bottrop-Boye arbeitet Betriebsleiter Sebastian Daszkowski. Bei Trockenwetter ist nach seinen Erläuterungen von den zwei Pumpwerken lediglich eins für die übliche Arbeit notwendig. Fünf Pumpen arbeiten permanent. Sie leiten das Wasser ins benachbarte Klärwerk. Von dort fließt es über den Fluss Emscher in den Rhein. „Bei Regen und steigendem Pegel springen zusätzlich die drei anderen Pumpen an. Die fünf Maschinen können insgesamt bis zu 10.000 Liter Wasser pro Sekunde nach oben befördern“, erläutert Daszkowski. Für möglichen Starkregen steht das zweite Pumpwerk bereit. „Mit insgesamt 42.000 Liter Förderleistung sind wir damit auch für außergewöhnliche Regenereignisse ausgerüstet“, ist sich der Betriebsleiter sicher. Die Rohre beider Pumpwerke gewährleisten mit einem Durchmesser von 2,20 Meter den zügigen Abfluss. „Erst etwa ein Dutzend Mal im Jahr musste das zweite Pumpwerk kurzfristig in Betrieb gehen“, sagt Daszkowski.

Verseuchtes Grubenwasser

Die Pumpen laufen weiter. Auch für das Wasser, das in der darunter liegenden, ziemlich durchlöcherten Erde immer unter Kontrolle sein muss, wie RAG-Stiftungschef Bernd Tönjes unterstreicht: „Unsere Verantwortung endet nicht mit dem Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus – sie fängt dann erst richtig an.“ Das gilt auch für untertage. Zu den Ewigkeitsaufgaben gehören neben den Poldermaßnahmen die Grubenwasserhaltung und die Grundwasserreinigung, erläutert die Stiftung. Hiernach muss für den „untertägigen Steinkohlenbergbau eindringendes Wasser, das dann zum meist toxisch verseuchten Grubenwasser wird, permanent an die Oberfläche gepumpt werden. Nach dem Auslaufen des Förderbetriebs steigt dieses Grubenwasser kontrolliert an. Tauchpumpen halten den Pegel auf einem festgelegten Niveau, damit eine Gefährdung der höher liegenden Trinkwasserschichten ausgeschlossen ist“.

An bestimmten Orten muss auch das Grundwasser dauerhaft von Schadstoffen befreit werden – vor allem auf Bergbauflächen, die ehemals von Nebengewinnungsbetrieben wie beispielsweise Kokereien genutzt wurden. Die von den Betrieben verursachten Verschmutzungen reichen zu tief in den Erdboden, um ihn sanieren oder austauschen zu können. Deshalb wird das Grundwasser an den betroffenen Stellen permanent überwacht, abgefangen und vor Ort gereinigt. Alles in allem soll das komplexe Maßnahmenpaket sicherstellen, dass das Wasser niemals die Herrschaft über das ehemalige Kohlenrevier übernimmt. Die RAG-Stiftung gibt dafür seit 2019 etwa 220 Millionen Euro jährlich aus – Geld, das die Stiftung selbst aufbringt und nicht der Steuerzahler.

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