Hambacher Forst: Ein Gleichnis der Energiepolitik

Teile des Hambacher Forsts sind seit 12.000 Jahren unberührt und damit ökologisch unersetzbar.

Von Sarah Gibbens
bilder von Daniel Chatard
Veröffentlicht am 9. Okt. 2018, 13:38 MESZ
Demonstranten sitzen auf den Schienen für die Kohlegüterzüge, als Polizisten dazustoßen und sie umringen.
Demonstranten sitzen auf den Schienen für die Kohlegüterzüge, als Polizisten dazustoßen und sie umringen.
Foto von Daniel Chatard

Sechs Jahre lang hat eine Gruppe von Umweltaktivisten im Westen Deutschlands einen eigenwilligen Ansatz verfolgt, um einen uralten Wald vor der Zerstörung zu retten: Sie lebten darin. 

Im September wurde ihr Lager jedoch schließlich von der Polizei geräumt. Nun geht der Rechtsstreit um den Hambacher Forst in eine neue Runde. Auf der einen Seite stehen die Umweltschutzaktivisten, die die Rodung verhindern wollen, auf der anderen der Energiekonzern RWE, der den Wald zugunsten des Braunkohleabbaus abholzen will. Letzte Woche hat das Oberverwaltungsgericht in Münster RWE verboten, die Rodung des verbleibenden Waldstücks des Hambacher Forsts fortzusetzen. 

Die letzten zwei Jahre über hat der deutsche Fotograf Daniel Chatard die Aktivisten im Wald besucht, ihr Leben dort festgehalten und ihre Motivationen ergründet. 

„Es ist schwierig“ 

Die Baumhaussiedlung im Hambacher Forst bestand aus bis zu 80 Baumhäusern, die in bis zu 25 Metern Höhe angebracht waren. Die Aktivisten, die sich unter dem Motto „Hambi bleibt!“ zusammengefunden haben, betrachten sich nicht als eine einzelne Organisation, sondern als einen Zusammenschluss von Individuen, die gegen die Rodung kämpfen. Einige von ihnen hatten ununterbrochen im Wald gewohnt, seit die Camps vor sechs Jahren entstanden. Andere waren immer wieder vorbeigekommen. 

„Es ist schwierig“, erzählt Chatard über das Leben der Menschen, die im Wald wohnen. „Grundbedürfnisse wie Wasser sind schwierig zu erfüllen. Die Leute sind auf die Menschen angewiesen, die in den Dörfern in der Nähe wohnen.“ 

Trotz solcher Herausforderungen waren viele der Baumhäuser „schön und gemütlich“, wie Chatard sagt. 

In den ersten vier Jahren der Geschichte der Camps wurden die Aktivisten zweimal von der Polizei vertrieben. In den letzten Jahren hatten die Umweltschützer aber größtenteils ihre Ruhe, da sie in jenem Teil des Waldes lebten, den RWE nicht aktiv zu roden versuchte. Das hat sich im letzten Monat allerdings geändert. 

Bei der Räumung der Aktivistencamps argumentierte die Polizei außerdem, dass die Baumhäuser die Brandschutzbestimmungen verletzten und die Aktivisten zu ihrer eigenen Sicherheit aus dem Wald geholt werden müssten. 

BELIEBT

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    Eine Luftaufnahme von der Grenze des Tagebaus in Hambach zeigt die Förderbänder für die Kohle.
    Foto von Daniel Chatard
    Im November 2017 gelang es mehreren hundert Aktivisten des Zusammenschlusses „Ende Gelände“, in den Tagebau einzudringen. Polizeibeamte und Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma blockierten ihren Weg zu einem Braunkohlebagger.
    Foto von Daniel Chatard
    Demonstranten des Zusammenschlusses „Ende Gelände“ weichen einer Polizeiblockade aus und erklimmen einen Hügel.
    Foto von Daniel Chatard

    Kein Ende der Kontroverse 

    Die Umweltaktivisten verweisen darauf, dass der ökologische Wert des Waldes für immer verloren gehen wird, wenn RWE ihn rodet – trotz der Renaturierungsmaßnahmen, zu denen sich der Konzern verpflichtet hat. Nur wenige der alten Wälder Europas sind noch intakt, und seit dem Beginn der Rodungen durch RWE wurden etwa 90 Prozent des ursprünglichen Hambacher Forsts zerstört. 

    Die verbleibenden Bereiche sind seit 12.000 Jahren unberührt. Damit sind sie eine Seltenheit in Europa, wo viele wilde Landschaften durch menschliche Besiedlung und Landwirtschaft verändert wurden. 

    Aber RWE und einige deutsche Regierungsvertreter beharren darauf, dass die Braunkohle unter dem Wald wirtschaftlich zu wertvoll ist, um sie im Boden zu belassen. Ihnen zufolge macht die Kohle das Land bei der Energieversorgung unabhängig und sei trotz der Entwicklungen im Bereich erneuerbare Energien weiterhin nötig, wenn Deutschland seine letzten Atomkraftwerke abschaltet. 

    Braunkohle ist ein umstrittener Energieträger, da er nur ineffizient brennt und mehr CO2 freisetzt als härtere Steinkohle. 

    Jedes Jahr fördert RWE knapp unter 50 Millionen Tonnen Braunkohle aus seinen Tagebauten in Deutschland. Ein Sprecher des Konzerns erzählte National Geographic Anfang des Jahres, dass schätzungsweise 400 Millionen Tonnen Braunkohle im Boden verbleiben werden, wenn RWE seinen Tagebau einstellt. Der fossile Brennstoff gilt als einer der wichtigsten Rohstoffe Deutschlands und spielt eine entscheidende Rolle in den Gesprächen über die Energieunabhängigkeit des Landes. Die Bundesregierung hat sogar die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ ins Leben gerufen, die bei der Entwicklung von Strategien helfen soll, um die Verpflichtungen für das Klimaabkommen von Paris einzuhalten. 

    Schon im letzten Jahr war ein Rodungsstopp verhängt worden, der jedoch im April 2018 endete. 

    In einem Interview mit „The Guardian“ erzählte Thomas Bareiß, Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie, dass „wir für eine verlässliche Kohleversorgung immer noch auf Braunkohle angewiesen sind“. Er sei sich der Kritik gegen den fossilen Brennstoff bewusst, empfand es aber als eine Notwendigkeit, den Tagebau fortzuführen. 

    Zugunsten der Vergrößerung des Tagebaus Garzweiler II wurde die Kirche St. Lambertus in Immerath im Januar 2018 abgerissen.
    Foto von Daniel Chatard
    Am Tag vor dem Abriss liegen Blumen an der Absperrung rund um die Kirche St. Lambertus in Immerath.
    Foto von Daniel Chatard

    Schätze des Waldes 

    Wissenschaftlern zufolge ist Braunkohle aber nicht das einzig Wertvolle im Hambacher Forst. Da einige Teile des Waldes jahrtausendelang ungestört bestanden, bieten sie eine Möglichkeit, mehr über ein relativ unberührtes, altes europäisches Ökosystem zu lernen. 

    Die meisten Bäume im Hambacher Forst sind Eichen und Hainbuchen – zwei Arten, die nur in vier Prozent der geschützten Wälder Deutschlands vorkommen. Naturforscher betonen, dass der Boden des Waldes nie zur landwirtschaftlichen Nutzung umgewälzt wurde, wie es bei einem großen Teil der europäischen Landflächen der Fall ist. Forschungen haben gezeigt, dass Mykorrhiza – symbiotische Gemeinschaften aus Pilzen und Pflanzen – als eine Art „Wood Wide Web“ fungieren und Signale zwischen den Bäumen des Waldes übermitteln. 

    „Wir denken an Vögel und Säugetiere, an große und hübsche Tiere, aber es gibt auch Milben, Würmer, Bakterien und Pilze, die für einen Wald auch wichtig sind und nur noch nicht erforscht wurden“, erzählte Peter Wohlleben National Geographic Anfang des Jahres. 

    Die Aussichtsplattform „Terra Nova“ wurde von RWE gebaut, um Besuchern einen Blick auf den Tagebau zu ermöglichen.
    Foto von Daniel Chatard

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht. Zusätzliche Berichterstattung in Deutschland von Stephanie Glasa. 

    Energiepolitik

    Besetzt und umkämpft: Der langsame Tod des Hambacher Forsts

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