Dänische Sperrmüll-Trolle verweben Mythologie und Umweltschutz

Der dänische Recycling-Künstler Thomas Dambo „versteckt“ seine riesigen Kunstwerke weltweit in Parks und Wäldern.

Von Jennifer Barger
Veröffentlicht am 17. Juni 2020, 11:20 MESZ
Trollskulptur des Künstlers Thomas Dambo

Eine der Trollskulpturen des Künstlers Thomas Dambo aus recyceltem Holz steht auf einem Hügel im Kopenhagener Stadtteil Trine. Dambo baut seine Trolle, um auf Umweltthemen aufmerksam zu machen und die Menschen zu ermutigen, die Natur zu entdecken.

Foto von Thomas Dambo

Siebzehn Köpfe starren von den Regalen in jenem Kopenhagener Lagerhaus, in dem Thomas Dambo die Coronavirus-Pandemie ausgesessen hat. „Die habe ich aber nicht getötet – ich bereite sie nur für mein nächstes Projekt vor“, sagt der dänische Bildhauer mit einem verschmitzten Lächeln. Der selbsternannte „Recyclingkunst-Aktivist“ ist für seine riesigen Trolle aus recyceltem Holz bekannt.

Thomas Dambo premakes the heads for his giant trolls. He later adds them to sculptures he erects in outdoor locations around Denmark and the world.

Foto von Alexander Kaiser

Die gewaltigen Köpfe – jeder davon ein bis zwei Meter groß und mit komischen, aber trotzdem vage beängstigenden Gesichtszügen – sind für Dambos neueste Installation bestimmt: „The Great Troll Folk Fest“. Dort werden sie auf hölzernen Körpern in passender Größe prangen.

In den nächsten Monaten wird er mit Hilfe von Freiwilligen und Mitarbeitern (finanziert durch private Spenden) insgesamt zehn Figuren zusammenstellen und aufbauen. Die kolossalen Riesen von 4,5 bis 6,5 Metern Höhe werden in einigen weniger bekannten Grünflächen in ganz Dänemark versteckt sein – beispielsweise auf winzigen Inseln in der Nähe von Kopenhagen und in abgelegenen Parks. Hinweise auf ihre Standorte wird Dambo in den sozialen Medien veröffentlichen. „Es ist eine Art Schatzsuche, ein Geschenk für Familien in Dänemark, die vielleicht traurig sind, dass sie diesen Sommer nicht in den Urlaub fahren können“, sagt Dambo. „Die Trolle erinnern uns daran, dass es all diese schönen Orte praktisch direkt hinter unseren Häusern gibt.“

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BELIEBT

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    Seit 2014 hat Dambo Dutzende der hölzernen, folkloristisch inspirierten Kreaturen auf Grünflächen und in Parks auf der ganzen Welt errichtet: einen sitzenden, bärtigen Riesen in Kopenhagens Hippie-Enklave Christiana; ein Troll-Geschwisterpaar, das sich in Floridas Pinecrest Gardens „verirrt“ hat; eine Reihe von hölzernen Trollen (einer spielt Flöte) außerhalb von Seoul in Südkorea. Sie alle wurden mit Abfallmaterialien vor Ort gebaut: Sperrholz, mit dem Gebäude vor einem Hurrikan befestigt wurden, wird in Culebra (Puerto Rico) zu einem „Inselwächter“. Aus abgebrochenen Ästen und Zweigen zaubert Dambo in Dänemark eine verwegene Trollfrisur.

    „Die Menschen sollen wissen, dass Müll einen Wert hat“, sagt Dambo. „Und die Trolle vermitteln genau das. Und sie helfen mir auch dabei, Geschichten zu erzählen – wie die Legenden, mit denen ich aufgewachsen bin.“

    Woher die Trolle kamen

    Für alle, die Skandinavien bereisen oder dort leben, sind Trolle allgegenwärtig und doch unsichtbar, versteckt in den Wäldern, der Literatur und im Tourismus der Region.

    Lange bevor Dambo Trolle zu Öko-Kriegern machte, tauchten sie in der altnordischen Mythologie und Poesie auf. Erste Erwähnungen reichen in Island bis ins 12. Jahrhundert zurück. „Sie konnten groß und hässlich oder heiter und schön sein. Aber sie waren stets das ultimative Andere: uns ähnlich, aber anders und gefährlicher“, sagt Jonas Wellendorf, ein außerordentlicher Professor für das Altnordische an der University of California in Berkeley.

    Auf einer Wiese im belgischen Park De Schorre haben es sich zwei Trollskulpturen gemütlich gemacht.

    Foto von Thomas Dambo

    Eine hölzerne Trollskulptur von Thomas Dambo befindet sich in einem Park in Wulong, China.

    Foto von Thomas Dambo

    Für die Menschheit hielten Trolle eine doppelte Lektion bereit: Erstens, dass die unbekannte Welt jenseits der Dorf- oder Schlossmauern unsicher und potenziell bedrohlich sein kann; und zweitens, dass die Erkundung dieser unerforschten Räume mit Gold und Reichtümern belohnt werden kann. „Wenn man sich in ihre Wildnis hinauswagt, kehrt man höchstwahrscheinlich mit etwas Wertvollem zurück – Gold oder Erfahrung“, sagt Wellendorf. „Trolle stellen eine Bedrohung dar, aber wenn man mutig ist, gibt es bei ihnen was zu holen.“

    In der frühen Literatur und Erzählungen waren Trolle oft gewalttätige Monster oder furchterregende, kluge Wächter, die in Bergen, Felsen oder tief im Wald lebten. Ein bekanntes Beispiel ist die Huldra, ein langhaariger Naturgeist der norwegischen Mythologie, der Männer verführt. Noch bekannter ist wohl Grendel, der „schreckliche Dämon“ und die „grässlich gestimmte Kreatur“ aus dem alten englischen „Beowulf“ (das in Skandinavien spielt und auf dem nordischen Mythos basiert).

    Wie die Trolle die Welt eroberten

    Die Trolle wären vielleicht nie aus Skandinavien herausgekommen, wenn es da nicht die beiden Osloer Folkloristen Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Moe gegeben hätte. In den 1840er Jahren sammelten sie zahlreiche Märchen und veröffentlichten sie als „Norske Folkeeventyr“ (Nordische Volksmärchen). In Geschichten wie „Die Trollhochzeit“ oder dem Märchen vom Aschenpeter treiben die riesigen Sagengestalten ihr Unwesen. Das Werk, inspiriert von den Gebrüdern Grimm, wurde bald in fast alle Sprachen der Welt übersetzt.

    Im dänischen Mørke baut der Künslter Thomas Dambo einen Troll zusammen, der auf einem Auto sitzt.

    Foto von Thomas Dambo

    Einer von Thomas Dambos Trollen aus Recyclingholz versteckt sich zwischen den Bäumen im Park De Schorre in Belgien.

    Foto von Thomas Dambo

    Am bedeutendsten ist vielleicht, dass der Künstler Theodor Kittelsen den Trollen der „Nordischen Volksmärchen“ ein neues Aussehen verlieh. Seine schlappnasigen Oger mit den wilden Haaren waren deutlich alberner und zugänglicher als die geheimnisvollen Außenseiter von einst. Seine Gemälde und Zeichnungen von Trollen, Gnomen und anderen fantastischen Wesen können im Kittelsen-Museum bewundert werden. Es befindet sich eine Autostunde östlich von Oslo in den Cobalt Works, einem alten Industriekomplex, der zu einem Hotspot für Geschichte und Kultur umgebaut wurde.

    Mit ihrer großen Beliebtheit ebneten die Märchen den Weg für die fröhlichen Trollstatuen, die heute vor praktisch jedem Hotel und Café im ländlichen Norwegen aufgestellt sind, sowie für die Horden von grinsenden, zahnlückenbewährten Plastikfiguren in den Souvenirläden. Zu den kinderfreundlichen Attraktionen im Hunderfossen-Familienpark in Lillehammer, die von den Märchen inspiriert wurden, gehört auch das Trollsalan-Restaurant, das anstelle von Stützbalken von mehreren großen Trollen aufrecht gehalten wird (die Trollsuppe ist zum Glück nur Rindfleischeintopf).

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    Mensch gegen Natur

    „Es gibt eine gewisse Menge dieser kitschigen, lustigen, Touristen-Trolle, aber die haben nicht viel mit der nordischen Mythologie zu tun“, sagt der norwegische Filmregisseur André Øvredal. Seine Mockumentary „Trollhunter“ von 2010 befasst sich eher mit den traditionellen Monstern der Sagen. „Ich bin mit Trollgeschichten aufgewachsen, und es waren wirklich furchteinflößende, gewalttätige Kreaturen, die sich gegenseitig die Arme abrissen.“

    Eben diese Art von Trollen beschwor Øvredal in seinem Low-Budget-Film herauf und drehte Szenen in den Wäldern um Oslo und in der nördlichen Dovre-Region. Dort, so sagt er, geben einem die unberührten Berge und Fjorde „das Gefühl, im Land der Trolle zu sein. Man kann sich diese klassische Monsterfilm-Thematik richtig vorstellen, bei der die natürliche Welt im Konflikt mit der menschlichen steht“. In seinem Film geht es für das glücklose Dokumentarfilmteam, welches in das Gebiet der Trolle eindringt, nicht gut aus.

    Ein Troll namens Mamma Wok sitzt im botanischen Garten von Pyunggang bei Seoul, Südkorea. Der Künstler Thomas Dambo möchte, dass Kinder problemlos mit den hölzernen spielen können.

    Foto von Julian Lynch

    Dambos Kunst geht einen anderen Weg, indem sie die Mythologie spielerisch nutzt, um den Menschen zurück in die Natur zu locken. Seine Trolle „interagieren“ mit Touristen und der Welt auf skurrile Art und Weise, zum Beispiel der „Hector Protector" am Ufer von Culebra. Er greift nach einer Laterne und wird so zu einer Art kleinem Leuchtturm. Im Kunstbezirk Wynwood Walls in Miami befindet sich ein weiterer hölzerner Riese, der auf einem umgekippten Auto sitzt – Dambos Statement gegen fossile Brennstoffe.

    Bewusst gestaltete Merkmale – riesige Ohrläppchen, die Vögel zum Nestbau einladen, und klaffende Mäuler, durch die Kinder hindurchklettern können – lassen diese Wesen freundlicher erscheinen als ihre altnordischen Cousins. Dambo hofft, dass diese aus alten Hausschindeln und Paletten zusammengenagelten Goliaths die Menschen dazu inspirieren werden, mehr über Nachhaltigkeit und die Umwelt nachzudenken.

    „Ich möchte aus Müll etwas machen, das den Menschen die Augen und den Verstand öffnet“, sagt er. „Wir sollten die Welt nicht wegwerfen – denn dann haben wir eine Welt ohne Berge und ohne Wälder“.

    Und ohne Lebensräume, in denen sich Trolle tummeln könnten.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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