Hydrologen warnen: Deutschland trocknet aus
Hydrologen fordern Vorsorgemaßnahmen, denn Deutschland trocknet langsam aus.
Wenn es um Wasserknappheit geht, denkt kaum jemand an Deutschland. Die Wasserversorgung scheint für viele hierzulande kein reales Problem darzustellen. Doch neue Daten der Grace-Satelliten, die vom Global Institute for Water Security in Kanada (GIWS) zusammen mit der National Aeronautics and Space Administration (NASA) und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ausgewertet wurden, zeigen: Die Situation ist bereits dramatisch.
„Deutschland hat in 20 Jahren Wasser im Umfang des Bodensees verloren. Das ist unvorstellbar viel Wasser“, sagt Prof. Jay Famiglietti, geschäftsführender Direktor des Global Institute for Water Security an der Universität von Saskatchewan, Kanada und ehemaliger leitender Wasserwissenschaftler am Jet Propulsion Laboratory der NASA in Pasadena, Kalifornien. „Der Wasserrückgang in Deutschland beträgt etwa 2,5 Gigatonnen oder Kubikkilometer im Jahr. Damit gehört es zu den Regionen mit dem höchsten Wasserverlust weltweit." Das sei für die Forschenden selbst eine „schockierende Überraschung gewesen”.
Starker Wasserrückgang in ganz Deutschland
Deutschland liegt geografisch genau an einer Grenze: Die hohen Breiten werden feuchter, die niedrigen Breiten aufgrund des Klimawandels trockener. „Unsere Daten zeigen einen klaren Hinweis auf Dürrebedingungen, die vor etwa einem Jahrzehnt, begannen – im Jahr 2011”, sagt Famiglietti. Eine weitere Ursache neben dem Klimawandel sei offenbar das verstärkte Abpumpen von Grundwasser als Reaktion auf die abnehmende Verfügbarkeit von Oberflächenwasser. Laut NASA/DLR GRACE-Mission ähnelt das deutsche Dürremuster den Dürren der südlichen Teile Europas, die in den letzten zwei Jahrzehnten ebenfalls immer trockener geworden sind.
Durch höhere Temperaturen kommt es einerseits zu mehr Verdunstung, während mehr Wasser in Starkregenereignissen einfach in Flüssen abfließt und somit nicht in das Grundwasser gelangt, wo sich die Natur daran versorgen könnte.
Die Daten der Grace-Satelliten haben zwar ein relativ grobes Raster, ihre Ergebnisse sind in Quadraten von 150 Kilometern Seitenlänge dargestellt. Trotzdem zeigen sie regionale Unterschiede auf. „In der Region um Lüneburg sieht man ein besonders hohes Maß an Wasserrückgang. Auch in Baden-Württemberg und in Bayern.” Allerdings wird ganz Deutschland von den Grace-Satelliten als rot eingestuft – und das bedeutet konkret, dass es hierzulande Jahr für Jahr überall weniger Wasser gibt.
Zu hoher Wasserverbrauch bei Dürre
Auch Prof. Dr. Claudia Pahl-Wostl, Leiterin des Instituts für Umweltsystemwissenschaft und Experte für Water Governance an der Uni Osnabrück und Co-Chair des GIWS, forscht in Sachen deutsches Grundwasser. Ihre Forschungsergebnisse zeigen das gleiche Muster: Der Grundwasserspiegel sinkt, und er wird weiter sinken.
Pahl-Wostl bezieht sich dabei unter anderem auf den Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig (UFZ), der zunehmende Trockenperioden durch den Klimawandel klar und deutlich aufzeigt: „Der Verlust an Speicherkapazität der Landschaft aufgrund der immer noch anhaltenden Trockenlegung von Feuchtgebieten, Versiegelung von Böden, nicht nachhaltigen Praktiken in Land- und Forstwirtschaft sind ein grundlegendes Problem”, erklärt sie.
Vor allem in akuten Dürrephasen ist das problematisch. Die Auswirkungen waren in den vergangenen Sommern bereits deutlich spürbar: Der Sommer 2019 war mit seinen Rekordhitzen und -dürren, durch starke Hitzewellen und kaum Niederschlag geprägt. Hier kam es bereits zu regionalen Problemen mit der öffentlichen Wasserversorgung und auch auf den Feldern verdorrten die Pflanzen. Vor allem aber die Wälder trocknen aus.
Unterdessen versuchen private Haushalte mit viel Wasser gegen die Dürre im eigenen Garten anzukämpfen, Landwirte mit übermäßiger Bewässerung ihren Anbau und die Ernte zu retten. Auch Industrie und Gewerbe zapften ordentlich mit.
Grundwasser besser verwalten
In Deutschland stammen laut Umweltbundesamt 74 Prozent des Wassers in unseren Leitungen aus dem Grundwasser. Der tägliche Wasserverbrauch liegt bei 127 Litern pro Kopf. Das sind etwa 3,8 Milliarden Kubikmeter Wasser pro Jahr.
„Grundwasser wird häufig nicht bewirtschaftet und daher übernutzt”, sagt Famiglietti. Mehr als die Hälfte der großen Grundwasserleiter der Welt, darunter auch die unter Deutschland, würden schneller abgepumpt, als sie wieder aufgefüllt werden, und daher erschöpft. „Dennoch zeigen unsere Daten, dass die ‘Austrocknung’ Deutschlands in den letzten zehn Jahren im Vergleich zu den vorangegangenen zehn Jahren zugenommen hat“, so Famiglietti.
Auch hier sind Bewusstsein und Verständnis der Schlüssel, gefolgt von dem politischen Willen, Maßnahmen zu ergreifen, ermahnen beide Wissenschaftler im Gespräch mit National Geographic Deutschland. Die Industrie ist weltweit der größte Wasserverbraucher, über 80 Prozent aller Wasserentnahmen entfallen auf sie, insbesondere auf die Lebensmittelindustrie. „Um die Wassersicherheit in Deutschland und weltweit zu verbessern, sind ein starkes Engagement der Industrie und ein neues Maß an Wasserverantwortung der Unternehmen unerlässlich.”
Was in Deutschland für eine Kehrtwende passieren muss
Lange Zeit hat man die Wasserthematik in Deutschland vernachlässigt, sagt Pahl-Wostl: „Man ist davon ausgegangen, dass die Qualitätsprobleme gelöst sind und Mengenprobleme in Deutschland keine große Rolle spielen. Das hat sich aber letztes Jahr geändert, als erstmals eine nationale Wasserstrategie von Ministerin Schulze der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.” Diese stelle erstmals einen systemischen Ansatz dar. Zwar könnten Dinge konkreter benannt werden, es sei aber ein Schritt in die richtige Richtung, so Pahl-Wostl.
Für die Wiederherstellung eines natürlichen Wasserhaushalts der Landschaft und einer Erhöhung der Wasserspeicherkapazität brauche es ein integriertes Landschaftsmanagement, erklärt die Wissenschaftlerin. „Ein Beispiel von vielen möglichen Maßnahmen wäre die Wiedervernässung von Mooren. Das wäre auch höchst wünschenswert für die CO2-Bilanz und eine Bekämpfung des Klimawandels. Maßnahmen gibt es genug – man muss diese nun auch umsetzen”, erklärt Pahl-Wostl.
Auch einzelne Bürgerinnen und Bürger können hier täglich etwas beitragen, indem sie sparsam mit Wasser umgehen – vor allem im Sommer zu Spitzenverbrauchszeiten. Weniger Fleisch essen hilft, da für die Fleischproduktion wesentlich mehr Wasser benötigt wird als für pflanzliche Nahrung. Pahl-Wostl: „Auch wenn der Wasserstress in anderen Weltregionen aufgrund der dort schon lange herrschenden ungünstigen klimatischen Bedingungen wesentlich höher ist, zeigen die Daten: Wenn wir Konflikten und Wasserknappheit entgegenwirken wollen, müssen wir Maßnahmen schnell und konsequent umsetzen.”