Wie Musik Korallenriffe retten kann
Der Anstieg der Meerestemperaturen lässt Korallen bleichen. Dadurch sterben die einst so artenreichen Riffe. Unterwasser-Klänge könnten diesen Prozess umkehren.
Meeresbiologen installieren ein Unterwassermikrophon in einem Korallenriff vor der indonesischen Insel Sulawesi.
Wer ein Mikrofon in ein Korallenriff hält, bekommt als regelmäßiges „Grundrauschen“ das Knistern von Schrimps, ähnlich dem Geräusch von brutzelndem Speck in einer Bratpfanne. Darüber legen sich weitere teils bizarre Klänge von Fischen, abhängig von der Tages- und Jahreszeit und den örtlichen Populationen. Manche Töne klingen wie ein Grunzen oder Gurgeln, andere wie ein Klopfen an der Tür oder ein hoch singender Vogel. Junge Fische, die ihre ersten Ausflüge ins offene Gewässer machen, brauchen diese Klänge, um wieder nach Hause zu finden.
Wenn es in Korallenriffe laut zugeht, sind sie in der Regel auch gesund. Sie sind hochkomplexe Ökosysteme mit einer Vielfalt von bis zu 60.000 Tier- und Pflanzenarten. Jedes Lebewesen nimmt darin eine wichtige Funktion ein. Korallen sind Nesseltiere, auf ihnen leben Mikroalgen, die Photosynthese betreiben und sie so mit Kohlenhydraten versorgen. Verwinkelte Steinhöhlen und verästelte Kalkablagerungen bieten ein Zuhause für Schnecken, Würmer, Krebse, Quallen oder Muscheln. Wenn zu viele Algen oder Wasserpflanzen wuchern, rufen die Korallen mittels Botenstoffen Fische wie Grundeln zur Hilfe. Diese knabbern sich durch das Dickicht und verschaffen so dem Riff wieder Zugang zu frischem, zirkulierendem Wasser. Ihre Ausscheidungen hinterlassen Nährstoffe für Kleintiere. Weiter oben in der Nahrungspyramide sorgen Raubfische wie Barrakudas oder Haie dafür, Überpopulationen zu reduzieren und so das Ökosystem im Gleichgewicht zu halten.
In den letzten Jahren kam es gleich zu mehren Hitzewellen in den Gewässern vor Sulawesi. Vom einst blühenden Korallenriff hinterließen sie eine tote Kalkwüste.
Lautsprecher machen ein totes Riff wieder lebendig
Liegt die Wassertemperatur aber längere Zeit bei über 30 Grad, hören Mikroalgen auf, Photosynthese zu betreiben und werden giftig. Der Nährstoffwechsel zu den Korallen wird gestört und die Algen werden abgestoßen. Dadurch bleichen die einst farbenprächtigen Riffe aus. Zurück bleiben leblose Skelette aus Kalk, die Riffbewohner wandern ab, ihre „Musik“ verstummt. Die wichtigen Funktionen, die sie vorher übernommen haben, bleiben unerledigt. So verödet der Lebensraum und kann sich kaum noch selbst regenerieren.
Mittlerweile kommt es fast jährlich zu größeren Korallenbleichen. Eine der schlimmsten davon ereignete sich 2016, als etwa ein Drittel des 2300 Kilometer langen Great Barrier Reefs vor Australien in nur wenigen Wochen abstarb. Dort versuchten Meeresbiologen von der Universität Exeter mit einem ungewöhnlichen Vorgehen, den Korallen zu helfen. Sie stellten in einigen abgestorbenen Bereichen Lautsprecher auf, die die typischen Geräusche aus gesunden Riffen abspielten.
Die Aufnahmen hatten die Forscher schon 2012 gemacht. Ursprünglich wollten sie herausfinden, welche Töne in einem Riff zu hören sind und welchen Einfluss Lärmverschmutzung durch die Schifffahrt hat. Mit einem solchen Monitoring lässt sich der Gesundheitszustand von Korallenriffen über einen längeren Zeitraum miteinander vergleichen, ohne dabei auf Fotoaufnahmen angewiesen zu sein. Als die Meeresbiologen 40 Tage lang ihre Tonaufnahmen im Great Barrier Reef abspielten, zog dies gleich eine größer Zahl Fische der unterschiedlichen Arten an.
Taucher befestigen Gitter auf dem Meeresboden, an denen neue Korallen wachsen können. In Kombination mit der der Klangtherapie kann dies effektiv sein, um abgestorbene Riffe wieder herzustellen.
Der Sound der Fische hilft dem Ökosystem zu heilen
Aufgrund der Musik erwarteten die Fische statt trostlosen Steinhöhlen das pulsierende Leben. Im Vergleich zu Arealen, die keine Klangtherapie erhielten, kamen doppelt so viele Jungfische, die sich hier dauerhaft niederließen. Sie übernahmen sogleich wieder ihre Funktionen für das Ökosystem. In nur wenigen Wochen begannen sich die Bestände zu erholen. Sobald sich das Riff erst mal wieder stabilisiert hat, ist der Einsatz der Lautsprecher nicht länger notwendig.
Die Beschallung kann aber nur ein Baustein sein, um das Überleben von Riffen zu sichern. Zusätzlich sollten Korallen unter kontrollierten Bedingungen gezüchtet und anschließend ausgesetzt werden. Hilfreich sind auch künstliche Strukturen aus Bambus, Metall, Holz oder Beton im Meer, an denen die Korallen entlang wachsen können. Diese Mittel alleine ziehen noch keine neuen Fische an. „Man baut ein Haus, aber damit die Fische kommen, braucht man auch Werbung, die über die Lautsprecher ausgestrahlt wird“, so Tim Lamont von der Universität Exeter. Momentan ist sein Team unter anderem darauf bedacht, das Soundsystem günstig und anwendungsfreundlich zu gestalten, sodass es weltweit eingesetzt werden könnte.
Die Idee, Korallen mit Musik zu beschallen, kann sogar für andere Ökosysteme funktionieren. Lamont nennt als Beispiele Vogelgezwitscher oder Froschlaute, durch deren künstliches Abspielen sich weitere Tiere angezogen fühlen. Trotz der vielversprechenden Möglichkeiten warnt Lamont aber auch, dass die besten Maßnahmen zur Restaurierung von Korallenriffen nichts bringen, wenn diese immer und immer wieder durch Hitzewellen zerstört werden und die durchschnittliche Meerestemperatur langfristig weiter steigt. Die UNESCO erwartet, dass bis 2040 die meisten Korallenriffe etwa vier schwere Hitzewellen mit Ausbleichungen erleben werden. Bei einer globalen Erderwärmung schon von zwei Grad dürften 95 Prozent aller Riffe absterben. Damit auch noch in den kommenden Jahrzehnten in den Weltmeeren der Sound der Riffe zu vernehmen ist, muss der Klimawandel schnellstens gebremst werden.