Pazifischer Müllstrudel: Je mehr Abfall, desto mehr Leben?

Im Great Pacific Garbage Patch tummeln sich erstaunlich viele Meeresorganismen. Forschende fanden nun heraus, dass zwischen Plastikdichte und der Anzahl von Kleinstlebewesen ein Zusammenhang besteht. Ein gutes Zeichen?

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 17. Mai 2022, 09:35 MESZ
Plasztikflaschen schwimmen mit weiterem Müll in einem Teppich auf der Meeresoberfläche.

Plastikflaschen schwimmen auf der Meeresoberfläche. Im Gegensatz zu größeren Plastikteilen kann Mikroplastik von der Wasseroberfläche bis zum Meeresboden überall im Meer vorkommen.

Foto von EwaStudio / Adobe Stock

Zahnbürsten, Mülltüten, PET-Flaschen – Plastik, so weit das Auge reicht: Das ist der größte Müllstrudel der Welt, der Great Pacific Garbage Patch, kurz GPGP, der auf den Wellen des Pazifischen Ozeans zwischen Hawaii und Kalifornien schwimmt. In einer Studie aus dem Jahr 2018, die in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, wurde er auf eine Größe von 1,6 Millionen Quadratkilometer geschätzt – das entspricht etwa viereinhalb Mal der Fläche Deutschlands. Derzeit besteht er aus ungefähr 80.000 Tonnen Plastikmüll. Genau bestimmen lässt sich die Größe des GPGP allerdings nicht, denn die Lagen aus Plastik weisen an unterschiedlichen Stellen verschiedene Dichten auf. Zudem wächst der GPGP mit jedem Tag weiter. 

Von den etwa 1,8 Billionen einzelnen Plastikteilen, aus denen der GPGP besteht, sind etwas 94 Prozent Mikroplastikteile. Für die Tiere, die in dieser Zone leben, sind die lebensgefährlich: Seevögel oder Meeresschildkröten nehmen Mikroplastik mit ihrer Nahrung auf und können daran sterben – in manchen Regionen konnte mittlerweile bei jedem dritten untersuchten Seevogel Mikroplastik im Magen nachgewiesen werden. Durch den Verzehr von Mikroplastik kann außerdem die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigt werden, was das Schrumpfen von Populationen oder sogar das vollständige Aussterben einer Art nach sich ziehen kann. Zudem verheddern sich viele Tiere in den Fischernetzen, die 40 Prozent der Plastikmasse des GPGP ausmachen, und verenden darin.

“Am Punkt der höchsten Müllkonzentration sah es im Garbage Patch aus wie in einem Schneesturm.”

von Langstreckenschwimmer Benoît Lecomte
Langstreckenschwimmer Benoît Lecomte

Eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Rebecca Helm, Ökologin an der University of North Carolina in Chapel Hill, hat nun untersucht, ob der GPGP eine ausschließlich lebensfeindliche Umgebung ist – oder ob er für manche Meerestiere sogar günstige Lebensbedingungen bietet. Ihre Beobachtungen zeigen: Je dichter der Abfall, desto mehr Kleinstorganismen leben darin. Mitten im Plastic Patch war ihre Anzahl deutlich höher als an seinen Rändern. Bedeutet mehr Müll also mehr Leben?

Langstreckenschwimmer sammelt Wasserproben 

Die Ergebnisse der noch nicht veröffentlichten Studie auf bioRxiv basieren auf einer Expedition in den Müllstrudel, die im Sommer des Jahres 2019 unternommen wurde. Im Mittelpunkt der Forschungsarbeit stand das sogenannte erweiterte Neuston: die Lebensgemeinschaft, die sich in den ersten Zentimetern der Oberflächenschicht eines Gewässers befindet. Sie setzt sich unter anderem aus Bakterien, bestimmte Algen- und Quallenarten sowie Ozeanschnecken zusammen, die – genau wie Plastikteile – oftmals passiv mit der Strömung treiben.

Bisher konnten im pazifischen Garbage Patch kaum Untersuchungen zum Neuston unternommen werden, da er „tausende Meilen von der Küste entfernt ist, eine dynamische räumliche Struktur besitzt und sich über die Zeit signifikant verändert“, heißt es in der Studie. Mit der Unterstützung von The Vortex Swim – einer Segelcrew, die mit dem Langstreckenschwimmer Benoît Lecomte zusammenarbeitet –, konnten erste Proben direkt aus dem GPGP entnommen werden. Dafür schwamm Lecomte auf der 80-tägigen Expedition täglich fast sechs Stunden mitten durch den Garbage Patch und sammelte zwölf Proben aus der zentralen Region und zehn vom Rand des GPGP. „Am Punkt der höchsten Müllkonzentration sah es im Garbage Patch aus wie in einem Schneesturm“, berichtet Lecomte. „Es war abscheulich und sehr, sehr verstörend.“

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    Korrelation zwischen Plastik und Neuston

    Weil das Neuston äußerst fragil ist, wendeten die Forschenden statt biologischer Konservierungsmethoden fotografische Auswertungstechniken für die Analyse an. So stellten sie in den Wasserproben Individuen der Arten Velella, Porpita, Janthina, Glaucus und Physalia fest. „Wir nutzten daraufhin die Methode der linearen Regression, um zu bestimmen, ob ein Zusammenhang zwischen der Plastik- und der Neuston-Dichte im GPGP existiert“, erklärt das Forschungsteam in der Studie. 

    Ihre Ergebnisse waren so erstaunlich wie unerwartet: Sie fanden heraus, dass eine positive Korrelation zwischen der Plastik- und der Neuston-Dichte im GPGP existiert. „In Regionen mit hoher Plastik-Dichte war ebenfalls eine hohe Neuston-Dichte zu beobachten“, heißt es in der Studie. Es konnte sogar ein Unterschied zwischen den Randbereichen des GPGP und seiner Mitte festgestellt werden: „In der Mitte des GPGP wurden Dichten von bis zu 4,89 Individuen pro Quadratmeter erreicht. Diese waren systematisch höher als die Dichten in den Randregionen des GPGP, wo 0,02 Individuen pro Quadratmeter gefunden wurden.“

    Anpassung an den Lebensraum? 

    Haben sich die Lebewesen im Garbage Patch also an die Bedingungen ihres neuen Lebensraumes angepasst? Helm stellt klar, dass dem nicht so ist und dass sich die Plastikteile auch nicht positiv auf die Populationsgröße des Neuston auswirken. Es sei kein kausaler Zusammenhang zwischen Plastik- und Neuston-Dichte vorhanden, sondern lediglich eine Korrelation. „Diese Tiere interagieren nicht direkt mit den Plastikteilen“, sagt Helm. „Sie werden nur auf die gleiche Art und Weise wie das Plastik konzentriert.“ Die Ergebnisse werden also mit der Meeresströmung begründet, die Plastik und Neuston am selben Ort zusammentreibt.

    Helm betont jedoch, dass gerade bei Ozean-Säuberungsaktionen wie jenen von The Ocean Cleanup das Neuston in Zukunft stärker berücksichtigt werden müsse: Die Kleinstlebewesen und ihr Lebensraum werden neben den größeren Tieren, die unter dem Garbage Patch leiden, häufig übersehen. Für die einen bedeutet der Plastikteppich Schutz vor Fressfeinden und ungestörte Vermehrung, für die anderen akute Lebensgefahr. Sicher ist nur eins: Sollten wir unser Konsumverhalten nicht verändern, wird der Great Pacific Garbage Patch weiter wachsen – und die maritime Tierwelt nachhaltig verändern. 

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