Schwimmender Müllsammler soll Meere von Plastik befreien

Die 600 Meter lange Vorrichtung von The Ocean Cleanup ist zu ihrem ersten Testeinsatz im Großen Pazifikmüllfleck aufgebrochen.

Von Laura Parker
Veröffentlicht am 11. Sept. 2018, 13:43 MESZ
Ocean Cleanup - Ein Umweltprojekt von Boyan Slat

Update vom 07.01.2019: Der schwimmende Plastiksammler von The Ocean Cleanup wird aktuell zurück in den Hafen gebracht, nachdem im Dezember ein 18 Meter langes Endstück abgebrochen war. Der Defekt wurde während einer Routineinspektion entdeckt und geht wahrscheinlich auf Materialermüdung zurück – genaue Analysen laufen jedoch noch.


Die 600 Meter lange, U-förmige Vorrichtung entstammt einer Idee des niederländischen Unternehmers Boyan Slat und wurde im vergangenen September in Richtung seines Einsatzortes im Pazifik gebracht. „Natürlich deprimiert uns das ganz schön“, twitterte Slat. „Gleichzeitig ist uns aber auch klar, dass solche Rückschläge unvermeidbar sind, wenn man neue Technologien mit solcher Geschwindigkeit ausspielt.“ Er beschrieb die technischen Probleme als „Kinderkrankheiten“, die „lösbar“ seien. Außerdem versprach er, dass die Vorrichtung für die Reinigung des Großen Pazifikmüllflecks 2019 einsatzbereit sein würde.

Das große Projekt, das die Weltmeere vom Plastikmüll befreien will, feierte am vergangenen Samstag einen weiteren wichtigen Moment, als ein gigantischer schwimmender Müllsammler San Francisco verließ. Seine Mission: Die Säuberung des Great Pacific Garbage Patch – des Großen Pazifikmüllflecks.

Im Laufe der nächsten Monate wird das Gerät seinem ultimativen Härtetest unterzogen und einige wichtige Fragen beantworten: Haben die Ingenieure von The Ocean Cleanup in den Niederlanden die erste praktikable Methode entwickelt, um große Mengen Plastikmüll aus dem Meer zu holen? Oder wird der wilde Pazifik die Vorrichtung zerreißen, sodass sie am Ende selbst zu wenig mehr als Plastikmüll wird? Und wenn sie nicht von einem Sturm verschlungen wird, wird sie dann Meerestiere wie Delfine und Schildkröten anlocken, die sich darin verheddern und verenden?

„Ich glaube nicht, dass das funktionieren wird. Aber ich hoffe es“, sagt George Leonard, der Chefwissenschaftler der Ocean Conservancy. „Das Meer braucht alle Hilfe, die es kriegen kann.“

Das Projekt ist die Schöpfung von Boyan Slat, einem 24-jährigen niederländischen Studienabbrecher, der im Laufe von fünf Jahren mehr als 30 Millionen Dollar gesammelt hat, um eine Maschine zu bauen, die den Ozean säubert. Die Inspiration dazu kam ihm auf einem Tauchausflug während eines Urlaubs in Griechenland. Als Teenager sah er dort so viel Plastik im Meer, dass er beschloss, die Säuberung des Ozeans zu seiner persönlichen Mission zu machen. Zurück in den Niederlanden brach er sein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität Delft ab und gründete die gemeinnützige Organisation Ocean Cleanup. Mittlerweile steht er ihr als Geschäftsführer vor und beschäftigt 65 Ingenieure und Wissenschaftler.

Bisher wurde Slats Unterfangen sowohl mit überschwänglichem Lob als auch harter Kritik bedacht. Er wurde vom König von Norwegen ausgezeichnet, erhielt einen Umweltpreis von den Vereinten Nationen und landete auf diversen Listen, darunter auch auf einer Liste von erfolgreichen Jungunternehmern, die „Forbes“ erstellt hat. Von anderen Wissenschaftlern wurde er allerdings auch dafür kritisiert, das potentielle Risiko seines Geräts für Meerestiere zu unterschätzen.

Miriam Goldstein, die Direktorin für Meerespolitik des Center for American Progress – einer Expertenkommission mit Sitz in Washington – stand dem Projekt fast von Anfang an skeptisch gegenüber. Ihr zufolge kann die Vorrichtung wie ein Fischsammelgerät wirken. Solche Geräte werden von Fischern genutzt, um Hochseefische zu einem zentralen Bereich zu locken, in dem sie leicht zu fangen sind. Wenn sich die Fische unter dem Gerät sammeln, könnten sie weitere Meerestiere anlocken, die sich dort verheddern.

„Sobald es auf dem Meer ein schwimmendes Gerät von einer gewissen Größe gibt, versammeln sich die Fische gern darunter“, erklärt sie. „Das wird definitiv zu einem Fischsammelgerät werden. Es ist für die Fische nicht grundsätzlich schlecht, sich zu versammeln. Aber man weiß auch noch nicht, welche Auswirkungen das haben wird.“

SÄUBERUNG ODER PRÄVENTION?

Für andere Kritiker ist ein grundlegendes Problem, dass das Projekt von einer kostengünstigeren und konsequenteren Lösung zur Rettung der Meere ablenkt – nämlich einfach zu verhindern, dass Müll überhaupt in den Ozean gerät.

„Nur drei Prozent des Plastiks, das jedes Jahr ins Meer gelangt, schwimmt an der Oberfläche des ozeanischen Wirbels“, sagt Eben Schwartz, der Programmmanager für Treibgut von der California Coastal Commission. „Ich verstehe, warum die Leute von diesem strahlenden, cleveren neuen Gerät fasziniert sind. Aber das ist so eine Art digitale Lösung für ein analoges Problem. Die Lösung für den Plastikmüll, der in unsere Meere gelangt, fängt an Land an.“

Schwartz und Leonard verweisen auf jährliche Strandsäuberungen am 15. September, die von der Ocean Conservancy gefördert werden. Bei deren internationalen Reinigungsaktionen wurden im letzten Jahr mehr als neun Millionen Kilogramm Müll in mehr als 100 Ländern gesammelt. Bei einer ähnlichen Aktion der California Coastal Commission entfernte man 2017 allein von kalifornischen Stränden zwischen 360.000 und 450.000 Kilogramm Müll.

In einem Interview mit National Geographic bekräftige Slat nochmals, was er schon lange glaubt: dass Prävention der erste Schritt zum Schutz der Meere ist.

„Ich denke, es sollte klar sein, dass die Menschheit mehr als eine Sache auf einmal tun kann“, sagt er. „Aber das Plastik im Meer wird nicht von allein verschwinden. Wir sehen dort Plastik aus den Sechzigern und Siebzigern. Daher denke ich, es ist offensichtlich, dass wir beides tun müssen. Es ist keine besonders hoffnungsvolle Situation, wenn das einzige, das man tun kann, ist, es nicht schlimmer zu machen.“

Das Ingenieursteam von The Ocean Cleanup hat das Reinigungsgerät ein Jahr lang im kalifornischen Alameda zusammengesetzt. Am Samstag wurde es für einen letzten Test vor der Küste Kaliforniens in internationale Gewässer gezogen. Mitte Oktober soll es dann den Großen Pazifikmüllfleck erreichen und dort planmäßig ein Jahr lang zum Einsatz kommen.

Plastikmüll sammelt sich in ozeanischen Wirbeln, die Teil des komplexen Strömungssystems sind. Der Große Pazifikmüllfleck des Nordpazifikwirbels ist die größte und bekannteste Ansammlung schwimmenden Mülls. Allerdings ist es optisch eher eine Plastiksuppe als ein durchgehender Fleck. Es gibt keine geschlossene Oberfläche, auf der man stehen oder liegen könnte. Der Großteil des dortigen Mülls besteht aus Mikroplastik. Die größeren Plastikteile werden im Laufe der Zeit durch die Sonneinwirkung und die Wellen in diese winzigen Teilchen zersetzt. Slats Teams zufolge enthält der Pazifikmüllfleck auch schätzungsweise 70.000 Tonnen Fischereiausrüstung, die verloren oder absichtlich aufgegeben wurde.

DESIGN IST ALLES

Das Design von Slats Reinigungssystem wurde mehrfach verändert. Zunächst sah das Konzept vor, es am Meeresboden zu verankern. Diese Idee wurde zugunsten des aktuellen Designs als passives Driftsystem wieder verworfen.

Es besteht aus einem hochverdichteten Polyethylenrohr mit einem Durchmesser von etwa 1,20 Metern und einer Länge von 600 Metern. Es schwimmt U-förmig auf der Meeresoberfläche und verfügt über einen Auffangschirm, der drei Meter in die Tiefe reicht. Die Vorrichtung wird von den Strömungen und dem Wind langsam über das Wasser getrieben und kann Plastik an der Oberfläche und der obersten Wasserschicht auffangen. Wenn das Gerät wie erwartet funktioniert, werden bald 60 weitere den Ozean nach Müll durchkämmen.

Laut Plan sollte es im ersten Jahr zwischen 45.000 und 70.000 Kilogramm Müll sammeln. Die vollständige Flotte aus 60 Geräten – die größer sein werden als die aktuelle Ausführung – würde Slats Schätzungen zufolge mehr als 13.000 Tonnen pro Jahr sammeln.

Die Vorrichtung ist mit Lichtern und einem speziellen System versehen, um Zusammenstöße mit Schiffen zu verhindern. Über Kameras, Sensoren und Satelliten können die Projektmanager den Müllsammler steuern.

Das gesammelte Plastik wird von einem Schiff abgeholt und zunächst nach Kalifornien transportiert. Von dort aus tritt es dann seine Reise nach Europa zu den Kunden von The Ocean Cleanup an, wie Slat erklärt.

„Es ist ziemlich aufregend zu sehen, wie die Idee lebendig wird“, so Slat. „Wir fangen gerade erst an. Am meisten freue ich mich auf den Moment, wenn wir das erste Plastik zurückholen und die Technologie sich bewährt hat. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir jedes eliminierbare Risiko eliminiert haben, bevor wir zum Müllfleck aufgebrochen sind. Ich schätze unsere Erfolgschancen ziemlich hoch ein.“

Die verbleibenden Herausforderungen betreffen allesamt Dinge, die sich Slat zufolge schwer mit Modellen kalkulieren ließen. Wie viel Plastik wird das System aufsammeln? Das erklärte Ziel von The Ocean Cleanup ist es, innerhalb von fünf Jahren 50 Prozent des Pazifikmüllflecks zu säubern.

„Es ist ja schön, dass es ein Reinigungssystem gibt. Aber wenn es kein Plastik sammelt, ist es nicht sehr nützlich. Wie effizient ist das System, welche Grenzen hat es und wie groß ist das kleinste Stück, das wir einsammeln können? Wir hoffen, dass wir in den ersten Monaten die Antwort auf diese wichtigste aller Fragen erhalten werden“, so Slat.

Die letzte Herausforderung sei aber die Überlebensfähigkeit des Systems. Die Ingenieure von The Ocean Cleanup haben das Gerät so entwickelt, dass es einem Jahrhundertsturm standhalten könnte. Sein Design ermöglicht es den Wellen außerdem, durch das System hindurchzulaufen, sodass es ihre zerstörerische Kraft nicht zur Gänze absorbieren muss.

„Kann es den härtesten Bedingungen auf dem Planeten standhalten? Die Meereswellen, der Wind, die Strömungen, das Salz und die Korrosion – all diese zerstörerischen Kräfte arbeiten gegen einen. Wenn sich bis April noch keine erheblichen Schäden daran gezeigt haben, können wir die Sektkorken knallen lassen und feiern“, so Slat.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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