Amazonas: Expedition zur ältesten Felsenkunst des amerikanischen Kontinents

Der deutsche National Geographic Fotograf Thomas Peschak hat zwei Jahre lang den Amazonas auf seinem Weg von den Anden zum Atlantik begleitet und im Nationalpark Chiribiquete die ältesten indigenen Piktogramme Amerikas dokumentiert.

Der Nationalpark Chiribiquete ist das größte Naturschutzgebiet Kolumbiens. Ein besonderes Merkmal sind die Tepuis, Tafelberge, die aus dem Regenwald ragen. Das Gebiet, dessen Fließgewässer den Amazonas speisen, verfügt über eine hohe Artenvielfalt und ist Heimat vieler ungewöhnlicher Spezies, die es nur hier gibt.

Foto von Thomas Peschak
Von Thomas Peschak
Veröffentlicht am 24. Apr. 2023, 16:57 MESZ

Dieser Artikel wurde durch die Unterstützung von Rolex ermöglicht. Das Unternehmen pflegt eine langjährige Partnerschaft mit der National Geographic Society, um die Herausforderungen der Ökosysteme zu beleuchten, die unseren Planeten am Leben halten – mit Forschung, Geschichten und Expeditionen.

Zwei Jaguare stürzen sich in einem Fluss auf Pakas. Die großen Nagetiere, deren Fell mit Flecken und Streifen gemustert ist, sind flinke Schwimmer. In der Nähe versammeln sich Piranhas, die von dem Tumult angelockt wurden.

Um diesen Moment mit der Kamera einzufangen, musste ich mich nicht wie sonst auf einen Tauchgang begeben, sondern einen Felsvorsprung hoch über dem Regenwald erklimmen. Die Jaguare, Pakas und Piranhas sind keine Tiere aus Fleisch und Blut. Bei der Jagdszene handelt es sich um eine künstlerische Darstellung aus prähistorischen Zeiten, detailverliebt mit Hämatit, einem ochsenblutroten Oxid-Mineral, auf Felsen gebannt. Der Anblick fasziniert mich, als sähe ich gerade zum ersten Mal das Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle. 

Die National Geographic Society, deren Ziel es ist, die Wunder der Welt zu erforschen und zu schützen, unterstützt den Explorer Thomas Peschak seit 2019 bei seinen Naturreportagen.

Foto von ILLUSTRATION BY JOE MCKENDRY

Die Zehntausende Jahre alten Piktogramme im kolumbianischen Nationalpark Chiribiquete sind Zeugen der Verbindung, die seit Jahrtausenden zwischen den Menschen und dem größten Süßwasserökosystem der Welt besteht. Im Rahmen der Expedition von National Geographic und Rolex Perpetual Planet in das Amazonasgebiet arbeite ich eng mit anderen National Geographic Explorern zusammen. Unser Ziel: durch kritische Forschung die Zukunft des von Wissenschaft und Medien vernachlässigten Wasserreichs in diesem Teil der Welt zu sichern.

Als so essenzielles wie bedrohtes Gegengewicht zum Klimawandel hat der Amazonas-Regenwald und seine Situation viel Aufmerksamkeit bekommen. Der mächtige Fluss, der ihm seinen Namen gibt, führt in dieser Hinsicht eher ein Schattendasein. Von seinem Ursprung in den Anden bis zu seiner Mündung in den Atlantischen Ozean legt er eine Strecke von rund 6.400 Kilometern zurück. Er ist die Hauptschlagader eines Netzwerks aus über tausend Nebenflüssen und zehntausenden Fließgewässern auf einem Gebiet von der Größe Australiens. Zwei Jahre lang habe ich den Amazonas auf seinem Weg von den Bergen zum Meer fotografisch begleitet und dabei auch unter seine Oberfläche geblickt, um seltene Einblicke in die Unterwasserwelt zu gewinnen.

In der Kosmologie der Ticuna, einem der größten indigenen Völker im Amazonasgebiet, sind die rosafarbenen Amazonasdelfine schelmische Geister und Hüter der Wasserwelt. Auf diesem Foto posieren die Stammesältesten Nuria Pinto und Pastora Guerrero mit Tänzern, die Delfinkostüme aus der inneren Rinde von Sapucaia-Bäumen tragen.

Foto von Thomas Peschak

Vor einigen Monaten stand ich auf dem Gipfel des Nevado Mismi, einem Berg im Südwesten Perus. Er ist der am weitesten von der Mündung des Amazonas entfernte Punkt. Das Wasser sprudelt hier das ganze Jahr über. Im Nationalpark Chiribiquete bin ich jedoch einer anderen Art von Ursprung auf der Spur.

Hier befinden sich die ältesten Felsmalereien, die je auf dem amerikanischen Kontinent entdeckt wurden. Mehr als 75.000 Zeichnungen und über 70 Wandgemälde machen ihn zum Louvre der amerikanischen Felsenkunst. Die Piktogramme bilden Flora, Fauna, Menschen und geometrische Muster ab. Jaguare – teilweise lebensgroß – sind eines der häufigsten Motive. Jeder von ihnen trägt individuelle Muster aus Wirbeln oder Linien.

Diese Felsenmalerei mit dem Titel Hojarasca – was so viel bedeutet wie gefallenes Laub – zeigt Jaguare, die sich im Wasser, in dem Piranhas schwimmen, auf Pakas stürzen. Über 75.000 Piktogramme wurden bislang im Nationalpark Chiribiquete entdeckt. Manche von ihnen sind rund 20.000 Jahre alt und damit die ältesten des amerikanischen Kontinents. Sie bilden Tiere, Pflanzen, Menschen und geometrische Muster ab. Die häufigsten Motive sind Jaguare und Wassertiere.

Foto von Thomas Peschak

Für ihre Piktogramme wählten die urgeschichtlichen Schamanenkünstler die spektakulärsten Orte aus. Hojarasca wurde auf dem Felsen links außen verewigt, der vom Vorsprung im Vordergrund leicht verdeckt ist. Die Expedition von National Geographic und Rolex Perpetual Planet war erst die neunte, der erlaubt wurde, den riesigen Nationalpark Chriribiquete zu erkunden.

Foto von Thomas Peschak

Die Freifläche aus unebenen Felsen, auf der das Basislager der Expedition errichtet wurde, glich einem Backofen. Die von der Sonne aufgeheizten Felsen ließen die Temperatur in den Zelten auf über 37 Grad Celsius ansteigen. Der Mangel an Schatten und die Überzahl an Schmal- und Furchenbienen nahmen dem Ort jede Idylle.

Foto von Thomas Peschak

Zu dem kleinen Team, mit dem ich unterwegs bin, gehören auch der Wasserbiologe und National Geographic Explorer Fernando Trujillo und der Archäologe Carlos Castaño-Uribe. Eine Gruppe kolumbianischer Kletter- und Dschungelspezialisten sorgt dafür, dass wir uns in der Wildnis nicht verlaufen. Unsere Expedition ist erst die neunte, der die Genehmigung erteilt wurde, die spektakuläre Landschaft, den dichten Regenwald und die schwindelerregenden Tafelberge – die sogenannten Tepuis – dieses größten Nationalparks Kolumbiens zu erkunden.

25 Jahre lang habe ich erst als Meeresbiologe und dann als Fotojournalist die wildesten Meere der Welt dokumentiert. Ich weiß, wie man es vermeidet, von einem Hai gebissen oder einem fressenden Wal erdrückt zu werden. Doch der Dschungel ist für mich Neuland. Darüber hinaus ist der Nationalpark Chiribiquete grundsätzlich nur schwer zugänglich – die prähistorischen Künstler haben sich an fast unerreichbaren Orten verewigt.

Unzugängliches Terrain

Unser Hubschrauber verlässt den kleinen Flughafen von San José de Guaviare in der südlichen Mitte Kolumbiens und überfliegt eine Landschaft aus Wiesen und Weiden. Irgendwann erscheint ein dichter Teppich unberührten Regenwalds am Horizont. Als die ersten Berge zu sehen sind, setzt der Pilot zur Landung an. Die Felswände der Schluchten sind so nah, dass man sie fast berühren kann. Wir landen auf einer offenen Fläche mit unebenem Felsboden, auf dem kaum genug Platz für den Hubschrauber ist.

 

Auf den ersten Blick erscheint die Stelle idyllisch. Doch während wir das Camp errichten, haben wir das Gefühl, uns in einem Backofen zu befinden. Der von der Sonne aufgeheizte, felsige Untergrund erwärmt die Luft in unseren Zelten schnell auf über 37 Grad Celsius. Während ich versuche einzuschlafen, sehne ich mich nach einer kühlen Brise. Meine Matratze ist schweißgetränkt.

Ohne Hubschrauber lässt sich der schwer zugängliche Nationalpark Chiribiquete kaum erreichen. Um zu den Felszeichnungen zu gelangen, muss man sich von Klippen abseilen, durch dichten Regenwald wandern und sich mit hartnäckigen Schmalbienen herumschlagen.

Foto von Thomas Peschak

Der Wasserbiologe und National Geographic Explorer Fernando Trujillo (links) und sein Team untersuchen einen Amazonasdelfin, eine Schlüsselspezies des Amazonas. Ihre Analyse, die nach festgelegten Sicherheitsprotokollen erfolgt, liefert wichtige Informationen – nicht nur zum Gesundheitszustand der Delfinpopulationen, sondern auch dem der Flüsse, in denen sie leben.

Foto von Thomas Peschak

Ein Geräusch wie von zehntausenden kleinen Hubschraubern weckt uns aus dem Schlaf. Die Schmal- und Furchenbienen sind da. Bald bedecken sie jede Oberfläche im Camp: Kameraequipment, Stiefel, Kleidung, Geschirr, Besteck. Ich mache den Fehler, mein Zelt nicht ordentlich zu verschließen, und habe innerhalb kürzester Zeit mehrere Dutzend kleine Mitbewohner. Ich lasse die Insekten ihren Durst an dem kleinen Schweißtümpel in meinem Bauchnabel stillen. Widerstand ist zwecklos. Die Bienen sind überall. Sie krabbeln in unsere Nasen und Ohren, eine verirrt sich sogar unter mein Augenlid. Kopfnetze gehören ab sofort obligatorisch zur Ausrüstung.

In den Niederungen entlang des Flusses gibt es nur wenige Bienen, doch man hat uns geraten, uns dort nicht aufzuhalten. Bei Hochwasser sollen die letzten Rebellen der FARC den Fluss als Transportweg nutzen. Ich ziehe die Insekten ihren AK-47 vor.

Während einer Expedition im Jahr 2017 wurde Trujillo mitten in der Nacht von Schritten geweckt. Er dachte, sie stammen von einem anderen Expeditionsmitglied und schlief wieder ein. Am nächsten Morgen entdeckte das Team in seinen eigenen Stiefelspuren die Abdrücke kleiner, nackter Füße. Im Quellgebiet des wichtigsten Flusses des Nationalparks leben – seit gewaltsamen Zusammenstößen mit Kautschukhändlern im 19. Jahrhundert  – vollkommen isoliert mehrere indigene Völker. Obwohl zwischen ihrem Territorium und unserem Camp mehr als 80 Kilometer liegen, achte ich, bevor ich einschlafe, auf das Geräusch von raschelndem Laub oder knackenden Ästen.

Die klaren Flüsse und Ströme, die über die felsigen Plateaus fließen, sind Heimat einzigartiger Tiere und Pflanzen. Rhyncholacis clavigera, eine Wasserpflanze, die im Schatten grün und im Schein der Sonne rot gefärbt ist, wächst ausschließlich in der Serranía de la Macarena, einem Gebirgszug im Nordwesten des Chiribiquete.

Foto von Thomas Peschak

Ein Wolfssalmler (Hoplias malabaricus) unter einem Wasserfall im Fluss Caños Cristales, der durch die Serranía de la Macarena fließt. Vor den Felsen perfekt getarnt wartet der Räuber auf Schulen kleiner Beutefische, auf die er sich stürzt, wenn sie ihm nahekommen, und sie im Ganzen verschlingt.

Foto von Thomas Peschak

Entdeckt wurden die Zeichnungen an den Felsen des Chiribiquete in den Vierzigerjahren von Richard Evans Schultes, damals Ethnobotaniker an der Harvard University. Ihm war nicht klar, dass es sich bei den von ihm als „Indianermalerei“ bezeichneten Piktogrammen um eine der größten Felsenkunst-Sammlungen der Welt handelte. Dies wurde erst deutlich, als eine Chessna, mit der Castaño-Uribe in den Achtzigerjahren das Gebiet überflog, durch einen Sturm vom Kurs abgebracht wurde. So entdeckte er einen Gebirgszug, der auf keiner seiner Karten eingezeichnet war.

Er kehrte für Erkundungen an den Ort zurück, fand die Piktogramme und beschloss, sein Leben der Erforschung des Chiribiquete zu widmen. Er war nicht nur der erste, der die Felsenkunst beschrieb und Zusammenhänge zur indigenen Kosmologie herstellte, sondern auch ein wichtiger Protagonist der Gründung des Nationalparks im Jahr 1989, seiner Erweiterung in den Jahren 2013 und 2018 und seiner Anerkennung als UNESCO Weltkulturerbe.

Die ältesten Malereien wurden mithilfe der Radiokarbonmethode auf ein Alter von 20.000 Jahren datiert. Die jüngsten stammen aus den Siebzigerjahren und es gibt einige deutliche Hinweise darauf, dass manche sogar noch später entstanden sind. Auf einer seiner Expeditionen entdeckte Castaño-Uribe unterhalb einer Felsenmalerei eine kleine Feuerstelle, an der Tierknochen und Pigmente zurückgelassen worden waren – ein Hinweis darauf, dass die Kunstform bis heute für die indigene Kosmologie und ihre Rituale von Bedeutung ist.

Wandern, Klettern, Bienenstiche

Im Vorfeld der Expedition hatte Castaño-Uribe bei einem Schamanen in der Sierra Nevada de Santa Marta, einem Gebirgszug an der karibischen Küste, Rat gesucht. Dieser empfahl ihm, die Geister der heiligen Felsenkunststätten vor dem Besuch mit Tabak zu besänftigen, der von vielen indigenen Völkern des Amazonasgebiets als heilig angesehen wird. Am Fuße der Sandsteinfelsen entzündet Castaño-Uribe darum eine dicke Zigarre und lässt sie von den Expeditionsmitgliedern herumreichen. Wir paffen kräftig, baden in dem Rauch, legen unsere Handflächen an den Felsen und erklären den Grund für unser Kommen. Zur Sicherheit bläst Castaño-Uribe noch einige Tabakrauchwolken über unsere Köpfe.

Erst dann beginnen wir mit dem Aufstieg.

Schmal- und Furchenbienen belagern den Videografen Otto Whitehead. Hunderte von ihnen haben sich innerhalb von Minuten auf ihm niedergelassen, um sich an den Nährstoffen und Proteinen in seinem Schweiß zu laben. Auf den Tafelbergen des Chiribiquete sind mindestens elf verschiedene Spezies der stachellosen Bienen heimisch. Ihre ständige Anwesenheit machte Kopfnetze während des Aufenthalts unerlässlich.

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Nachdem wir uns über Stunden durch dichtes Gebüsch geschlagen haben, erreichen wir am Ende einer dunklen Schlucht einen schmalen Felsvorsprung direkt neben einem vertikalen Abhang. Dieser Ort trägt den Namen Los Gemelos – die Zwillinge. Die Felswände sind mit fantastischen Zeichnungen von Rochen, Ottern und Schildkröten geschmückt – und werden erbarmungslos von Bienen verteidigt. Dieses Mal sind es jedoch nicht die nervtötenden, stachellosen Schmal- und Furchenbienen, sondern Honigbienen.

Innerhalb einer halben Stunde werden die Mitglieder des Teams mehr als hundertmal gestochen. Wir treten den Rückzug an, doch die Insekten verfolgen uns. Das Seil, über das man aus der Schlucht herausklettern muss, wird zum Nadelöhr. Castaño-Uribe und ich stellen uns in die Warteschlange. Kurz darauf hat er von den Stichen genug. Er rennt in gebückter Haltung an dem Seil vorbei und erklimmt die fast senkrechte, neun Meter hohe Felswand, indem er sich wie Tarzan an Ästen und Baumwurzeln entlang hangelt. Ich folge seinem Beispiel, um den Angriffen zu entkommen – obwohl ich 15 Jahre jünger bin als Castaño-Uribe, fällt es mir schwer, mit ihm mitzuhalten.

Jeden Morgen starten wir unsere Tour mit dem Hubschrauber und setzen sie zu Fuß fort. Wir klettern über steile, dicht bewaldete Hänge, seilen uns von Felsen ab und schleppen Leitern durch dunkle, feuchte Schluchten. Meine rüstungsähnliche Kleidung sorgt dafür, dass ich bei einem unserer Abstiege fast ohnmächtig werde. Ich trage eine gepolsterte Arbeitshose, zwei Hemden, Handschuhe, ein Kopfnetz und Gamaschen gegen Schlangenbisse – alles, um mich vor echten und möglichen Gefahren zu schützen.

Der Caño Cristales hat tiefe Mulden, sogenannte Gletschertöpfe, in den Fels gegraben. Sie entstehen, wenn Steine in kleine Öffnungen fallen und darin von der Strömung herumgewirbelt werden. So werden die Löcher im Flussbett aus Quarzit mit der Zeit immer größer und tiefer.

Foto von Thomas Peschak

In den Bergen des Nationalparks, die sich über dem Regenwald erheben, herrscht ein komplexes Mikroklima. Aufsteigender Wasserdampf sättigt die Wolken und beschleunigt das Entstehen von Regen. Mehr als die Hälfte des Niederschlags im Amazonasgebiet wird durch regionale Verdunstung erzeugt. Ein Fünftel des globalen Süßwassers befindet sich hier.

Foto von Thomas Peschak

Der Giftstich der 24-Stunden-Ameisen erreicht eine 4 auf dem Schmidt Sting Pain Index, einer Schmerzskala für Insektenstiche. Das entspricht einem Gang über glühende Kohlen, während einem ein sieben Zentimeter langer Nagel in der Ferse steckt. Für die meisten Schlangenbisse im Amazonasgebiet ist die Terciopelo-Lanzenotter verantwortlich. Stiche von weiblichen Sandmücken aus der Unterfamilie Phlebotominae übertragen potenziell Leishmaniose. Mit jedem Schritt, den ich in der unerträglichen Hitze mache, drängt sich mir mehr und mehr die Frage auf, was ich eigentlich im Amazonasgebiet will.

Doch dann erinnere ich mich daran, dass dies nur ein Aspekt meiner Reise ist. Bald werde ich wieder in meinem Element, dem Wasser, sein und Arten fotografieren, die so sehr nicht von dieser Welt zu sein scheinen, dass sie als Komparse in der Star Wars-Kantine nicht fehl am Platz wären. Amazonasdelfine navigieren mithilfe von Sonar durch Mangroven. Der Arapaima wiegt so viel wie ein Silberrücken, springt aber so elegant und hoch aus dem Wasser wie ein Marlin. Zitteraale sind wie schwimmende Batterien, deren Stromschläge mit 600 Volt so stark sind, dass sogar einen Menschen töten können. Schwarze Süßwasserrochen mit gelben Punkten verstecken sich in Laubhaufen auf dem Boden überschwemmter Wälder.

Der Archäologe Carlos Castaño-Uribe erscheint winzig neben dem Felsenbild Los Gemelos, das von Honigbienen bewacht wird. Nachdem die Mitglieder der Expedition innerhalb kürzester Zeit über hundert Stiche erlitten, waren sie gezwungen, den Rückzug anzutreten.

Foto von Thomas Peschak

Unter den National Geographic Explorern, die mit mir reisen, sind einige der renommiertesten Amazonas-Forschenden: Fernando Trujillo, João Campos-Silva, Ruthmery Pillco Huarcaya, Angelo Bernardino, Thiago Silva, Baker Perry und Hinsby Cadillo-Quiroz. Sie haben bahnbrechende Erkenntnisse zu Amazonasdelfinen, Arapaimas, Brillenbären, Mangroven, dem Klimawandel und Quecksilberbelastung erzielt.

Inspirierende, prähistorische Felsenmalerei

Die berühmten Naturforscher Alexander von Humboldt, Henry Walter Bates und Alfred Russel Wallace haben im 19. Jahrhundert einiges von dem, was sie auf ihren Expeditionen ins Amazonasbecken entdeckt haben, in wunderschönen Illustrationen festgehalten. Doch ich bin in den Chiribiquete gekommen, um Abbildungen der Flora, Fauna und vor allem der Wassertiere zu finden, die die frühen Menschen dieser Region hinterlassen haben. Auf den felsigen Wänden tummeln sich Fische, Schildkröten, Kaimane und andere Lebensformen so, wie sie sie sahen.

In nur fünf Tagen im Chiribiquete haben wir Hunderte dieser Piktogramme besucht. Hojarasca hat mir am besten gefallen: So, wie die beiden Raubkatzen auf den Felsvorsprung gemalt sind und auf den Betrachter herunterblicken, vermitteln sie mir das Gefühl, ich würde mich unter Wasser befinden und zusehen, wie sich die Szene über mir abspielt.

Flachlandtapire ernähren sich von Wasserpflanzen und können wie Nilpferde unter Wasser laufen. Das Fell der Jungtiere ist zur Tarnung gestreift und gepunktet – wie bei diesem verwaisten Jungen, das bald ausgewildert werden soll. In der Zeit zwischen den Fütterungen kann es sich frei im Wald der Ranch in der Serranía de la Macarena bewegen, auf der es versorgt wird.

Foto von Thomas Peschak

Castaño-Uribe vermutet, dass die Kunstwerke von Schamanen im Rahmen religiöser Rituale gemalt wurden. Die Schamanen des Volks der Baniwa glauben, dass sie sich durch die Einnahme heiliger Pflanzen in Jaguare verwandeln und so mit den Geistern kommunizieren können. Im Volksglauben der Ticuna sind Amazonasdelfine heilig. Sie sollen in Langhäusern auf dem Grund des Flusses leben und werden in Tänzen verehrt. Anakondas gelten als Erschaffer des Universums. Laut einer Legende der Desano soll sich einst eine riesige Schlange aus dem Amazonas erhoben haben, die auf ihrem Rücken die Vorfahren aller Menschen trug.

Beim Malen kommunizierten die Schamanen wahrscheinlich mit übernatürlichen Wesen, um so die Balance zwischen der Welt der Menschen und dem Rest der Natur zu sichern. Die Beweggründe meiner eigenen Arbeit sind ähnlich: Die Beziehung zwischen Menschen und der biologischen Vielfalt der Erde ist aus dem Gleichgewicht geraten. Die Wasserwelt des Amazonas wird durch Dämme, Bergbau, Überfischung, Umweltverschmutzung und den Klimawandel bedroht. Bei der Betrachtung der lebendigen, zeitlosen Felsenbilder fühle ich eine tiefe Verbindung zu den Künstlern und ihren Werken. Ich erkenne, dass wir ähnliche Geschichten erzählen. Ich hoffe, dass meine Bilder die Zeit wenigstens im Ansatz so gut überdauern wie ihre.

 

Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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