Wächter des Ozeans: Wie Palaus Inselgemeinschaft ihr Südsee-Atoll mit Tradition und Technik schützt
Eine kleine Inselgemeinschaft schützt die Natur ihres Südsee-Atolls für kommende Generationen. Neben moderner Technik nutzen die Bewohner traditionelles Wissen.
Schwarzspitzen-Riffhaie schwimmen in der südlichen Lagune der Rock Islands. Der Inselstaat Palau war das erste Land, das 2009 eine Schutzzone für Haie einrichtete.
Es war ein klarer Morgen im Dezember 2020. Am südwestlichen Rand des Archipels Palau begannen die Ranger des Helen Reef Resource Management Program den Tag mit Aufräumen. Als sie gerade die Harpunen überprüften, hörten sie den Motor. Bald darauf entdeckten sie ein unbekanntes Schiff. Ihnen war klar: Das konnte nur Ärger bedeuten. Kam ein legitimes Schiff nach Hotsarihie – so nennen die Hatohobei, die traditionellen Verwalter, das Atoll Helen Reef –, dann informierte man sie zuvor. „Dieses Boot kam mit einer Menge Waren“, erinnert sich die Rangerin Petra Tkel. Es war Teil einer kleinen Flotte von sechs Motorbooten, die zu einem chinesischen Schiff gehörten, das Seegurken wilderte. Ein Kilogramm kann in Hongkong bis zu 1800 Dollar einbringen. Als das Boot sich der Rangerstation auf Helen Island näherte, einer Sandbank am Nordrand des Atolls, gab das Team den illegalen Fischern durch Handzeichen zu verstehen, dass sie zu ihrem Schiff zurückkehren und auf weitere Anweisungen warten sollten.
„Ich hatte Angst“, sagte Tkel. „Das war das erste Mal, dass ich Wilderern begegnet bin.“ Per Satellitentelefon informierte sie den Programmmanager in Koror, der größten Stadt Palaus. Nun war Hilfe auf dem Weg, doch es würde mehrere Tage dauern, bis ein Boot der Marine Law Enforcement sie über den 580 Kilometer offenen Ozean erreichen würde. Die Ranger dürfen zu ihrer eigenen Sicherheit nicht an Bord fremder Schiffe gehen. Aber sie mussten die Wilderer aufhalten. Die illegalen Fischer kehrten zurück – mit Reis, Bier, 20000 Dollar in bar und dem Versprechen, weitere 30 000 Dollar zu überweisen. Die Gesamtsumme entsprach dem Jahresgehalt eines Rangers. Für Hercules Emilio, leitender Naturschutzbeauftragter des Teams, kam das nicht infrage. „Wir wissen, dass wir dies letztendlich für unsere Leute tun, für die zukünftige Generation“, sagte er. Emilio stammt von der nahen Insel Hatohobei. Die Chinesen navigierten ihr Hauptschiff durch den Kanal in die geschützten Gewässer der Lagune und schickten Taucher zum Plündern hinunter. Immer wieder boten sie den Rangern Geld und Waren an. Die blieben standhaft. Am dritten Tag traf das Patrouillenboot ein. Es blockierte den Kanal, sodass das chinesische Schiff in der Lagune festsaß.
Die Beamten enterten das Schiff, nahmen die 28-köpfige Besatzung fest und beschlagnahmten Bargeld, Motorboote, Fischereigerät und 225 Kilogramm illegal erbeutete Seegurken. „Ich bin so stolz auf unsere Ranger“, sagt Rosania Victor, Leiterin des Programms, in einem Video über den Vorfall. „Auf die Opfer, die sie gebracht haben, um die abgelegene Station fernab von ihren Familien zu besetzen. Auf ihre Tapferkeit beim Abfangen eines illegalen Fischereifahrzeugs, bei dem sie ihre Erfahrung und die in den Schulungen erlernten Taktiken eingesetzt haben. Und auf ihre Integrität, die Bestechungsgelder abzulehnen.“ Seit das Helen Reef Resource Management Program vor mehr als 20 Jahren ins Leben gerufen wurde, leitet die traditionelle Hatohobei-Verwaltung den Schutz des Atolls. Das Programm ist ein Musterbeispiel für die Erhaltungsbemühungen um die Natur in Palau, einem der bestgeschützten und artenreichsten Gebiete der Weltmeere.
Das nördliche Drittel des Riffs ist für die Subsistenzfischerei von Gemeindemitgliedern und Rangern wie Brian Fidiiy nutzbar.
Besatzung und Ausplünderung
Hotsarihie bedeutet „Riff der Riesenmuscheln“, nach den einst reichlich vorhandenen Muscheln der Gattung Tridacna. Angeblich wurden die Mollusken einst so groß, dass ein Taucher bequem darin Platz fand. Die Lagune, der Kanal und die ausgedehnten Riffe des Atolls beherbergen eine bemerkenswerte Anzahl von Hart- und Weichkorallenarten, die unter Wasser Lebensraum für Meeresschnecken, Seegurken und große Rifffische wie den Napoleon-Lippfisch bieten. Auf der Insel haben Grüne Meeresschildkröten und Tausende von Seevögeln ihre Brutplätze. Die Menschen von Hatohobei haben eine starke Beziehung zu Land und Meer. Aus ihrem tief verankerten Wissen stammen ihre Praktiken und Traditionen, moumou genannt. Dazu zählen Anbau- und Fischfangmethoden sowie Seefahrertraditionen. Hatohobei bedeutet etwa „stärkere Magie wirken und finden“ – eine Erinnerung daran, wie sich die Vorfahren auf der Insel niederließen, nachdem sie rund 1300 Kilometer über die See navigiert waren. Frühe Generationen von Hatohobeianern legten auf der Insel ein riesiges Taro-Feld als verlässliche Nahrungsquelle an. Es wird noch heute genutzt. Sie entwickelten eigene Fischfangmethoden: das Fischen mit Tauchnetz bei Fackelschein, das Angeln von Haien mit Schlingen, das Fischen unter treiben – den Baumstämmen oder mit Drachen.
Obwohl viele dieser Techniken nicht mehr praktiziert werden, hat sich das Wissen darüber in den Überlieferungen der Hatohobei-Gemeinschaft über zwei von Umwälzungen geprägte Jahrhunderte hinweg erhalten. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gelangten die mehr als 340 Inseln und Atolle Palaus aus dem Besitz Spaniens nacheinander zu Deutschland, Japan und den Vereinigten Staaten, die sie jeweils beherrschten und ausbeuteten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kontrollierten die USA Palau, bis es im Jahr 1994 die Unabhängigkeit erlangte. Im Rahmen eines Abkommens zwischen den beiden Ländern erhält Palau Wirtschaftshilfe und Zugang zu den Post-, Wetter- und Luftverkehrsdiensten der USA; im Gegenzug behalten die USA die Befugnis zur militärischen Verteidigung.
Im Lauf der Jahre haben ausländische Besatzungen, Epidemien, Stürme, Erosion und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen die meisten Hatohobeianer gezwungen, ihre Heimatinsel zu verlassen. Von den etwa 200 Menschen mit Hatohobei-Abstammung in Palau leben nur noch etwa 30 das ganze Jahr über auf ihrer Insel. Doch Hatohobei und Hotsarihie stellen bis heute soziale und kulturelle Fundamente dar, die die Menschen pflegen. In den 1990er-Jahren plünderten Fischer aus Indonesien und den Philippinen das Riff mit Dynamit, Zyanid und großen Netzen, um Seegurken, Meeresschnecken, Riesenmuscheln, Haie, Zackenbarsche und Schildkröten zu ernten. Mit Unterstützung amerikanischer Wissenschaftler wandte sich die Gemeinde an andere pazifische Inselbewohner, um zu erfahren, wie diese mit der Überfischung umgehen.
Im Jahr 2020 widerstanden die Ranger Tony Chayam (l.), Petra Tkel (M.) und Hercules Emilio einem Bestechungsversuch. Sie halfen, illegale Fischer vor Hotsarihie im Südwesten Palaus festzunehmen.
Erklärung der Insel zum Kollektiveigentum
Doch zunächst war eine Frage zu beantworten: Wem gehörte das Riff? 1999 versammelten sich Mitglieder aller Hatohobei-Familien und beschlossen: Das Riff ist kollektives Eigentum des Hatohobei-Volkes. „Der Älteste fragte die Familienoberhäupter: ‚Was sagt ihr?‘ Und alle stimmten mit Ja“, sagt Wayne Andrew. Der Hatohobeianer ist leitender Direktor des Mikronesien-Programms bei der gemeinnützigen Naturschutzorganisation OneReef. Dieser Ansatz unterscheidet sich von den Landbesitzverhältnissen auf Hatohobei, die auf Clans basieren, mütterlicherseits weitergegeben werden und oft umstritten sind. Die innovative Erklärung des Kollektiveigentums entkoppelt die Zukunft des Riffs von Streitigkeiten und ermöglicht eine Bewirtschaftung zum Wohle aller. „Die Gemeinschaft besteht nicht nur aus Menschen“, sagte Andrew. „Gemeinschaft ist ein Ort, das Riff.
Der Respekt vor all dem ist so wichtig.“ Im Jahr 2000 sicherte eine Gruppe von Hatohobeianern mit weiteren Palauern und internationalen Gruppierungen staatliche und private Förderung, um das Helen Reef Resource Management Program ins Leben zu rufen. Im darauffolgenden Jahr verabschiedete das Parlament des Bundesstaates Hatohobei ein Gesetz, das das Riff zum Schutzgebiet erklärte. In den ersten vier Jahren war es für die Entnahme von Meereslebewesen gesperrt. Als sich die Natur erholte, wurden etwa 30 Prozent des Atolls für nachhaltigen Fischfang freigegeben. „Wenn wir einen Überfluss haben, kann die Gemeinschaft davon profitieren“, erklärt Thomas Patris. Der ehemalige Gouverneur des Bundesstaates Hatohobei war maßgeblich an der Einrichtung des Reservats beteiligt.
Schließlich wurden im Rahmen des Programms eine ständige Rangerstation eingerichtet, Hatohobeianer und andere Palauer als Naturschützer ausgebildet sowie ein umfassender Managementplan entwickelt, der wissenschaftliche Untersuchungen ebenso berücksichtigte wie traditionelles Wissen. Die Ranger bekämpfen nicht nur die illegale Fischerei; sie überwachen auch die Wildtiere, um die Wiederherstellung und Gesundheit des Atolls zu gewährleisten. Patris erinnert sich daran, wie er als Kind das Riff besuchte: „Abends, bei Ebbe, kamen die Vögel von der Jagd und flogen so tief, dass die Riesenmuscheln reagierten und ihre Panzer schlossen, sodass das Wasser herausspritzte.“ Jahre später nahm er seine Kinder mit, um das Phänomen zu beobachten – ohne Erfolg. „Aber jetzt erholen sich die Ressourcen“, sagt er. „Wir wollen, dass das so bleibt.“
National Geographic Magazin 7/24
Wie die Insel-Bewohner versuchen, das beste aus ihren Ressourcen zu machen, lesen sie in der vollständigen Reportage im NATIONAL GEOGRAPHIC Magazin 7/24. Verpassen Sie keine Ausgabe mehr: Sichern Sie sich die nächsten 2 Ausgaben zum Sonderpreis!