Biodiversität: Diese Schlüsselarten sichern die Zukunft des Menschen
Die Artenvielfalt der Erde spielt nicht nur für die Tierwelt eine große Rolle - auch die Menschheit ist Teil des Ökosystems. Welche Auswirkung hat ein globales Artensterben langfristig auf den Homo sapiens?

Bunte Korallenriffe wie dieses sterben mehr und mehr aus, obwohl sie eine Heimat für ein gesundes und vielfältiges Leben sind.
Von großen Raubtieren bis hin zu kleinen Insekten – Wildtiere aller Art spielen eine wichtige Rolle in den Ökosystemen, welche wiederum einen direkten Einfluss auf das Leben der Menschen haben. Viele Arten, darunter auch sogenannte Schlüsselarten wie Seetang, Biber oder Wölfe, drohen auszusterben. Was bedeutet das für die Menschheit?
Wann gilt eine Art als ausgestorben?
Als ausgestorben gilt eine Art dann, wenn das letzte Individuum der Art verstorben ist. Ein Artensterben beginnt jedoch schon, wenn der Bestand von Generation zu Generation kleiner wird. Zu den bekanntesten ausgestorbenen Arten und Artengruppen zählen Mammuts, Säbelzahnkatzen, Dodos oder die Riesenseekuh.
Im Laufe der Geschichte kam es immer wieder zu Artensterben – wie beispielsweise das der großen Dinosaurier. Der Unterschied zu damals liegt jedoch in der Beteiligung des Menschen: Heute handelt es sich nicht um natürliche Prozesse und die Geschwindigkeit des Aussterbens liegt mehrere Zehn- bis Hundertmal höher als bei einer natürlichen Aussterberate. Heute sterben durch das Eingreifen des Menschen täglich mehrere Arten aus.
Menschheit ist verantwortlich für das größte Artensterben seit der Dinosaurierzeit
Der Living Planet Report 2024 des WWF zeigte, dass seit 1970 die untersuchten Populationen von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien durchschnittlich um 73 Prozent zurückgegangen sind.
„Den stärksten Rückgang verzeichnen die Süßwasserökosysteme mit 85 Prozent, gefolgt von Land- (69 Prozent) und Meeresökosystemen (56 Prozent). Geografisch sind Lateinamerika und die Karibik (95 Prozent), Afrika (76 Prozent) und die Asien-Pazifik-Region (60 Prozent) am stärksten betroffen“, so der WWF. Damit sei die Menschheit nachweislich für das größte Artensterben seit der Dinosaurierzeit verantwortlich.
Gesundes Ökosystem bietet Schutz für Menschen
Viele dieser aussterbenden Tierarten sind allerdings für gesunde Ökosysteme und somit für ein gesundes Leben auf der Erde essenziell. Anne Hanschke, Artenschutzexpertin beim WWF Deutschland, erklärt den Zusammenhang: „Wir Menschen sind in jeder Hinsicht auf die Natur angewiesen. Wir brauchen Sauerstoff zum Atmen, verlässliche Wasserversorgung, Blütenbestäubung oder gesunde Fischbestände für unsere Nahrungssicherung, fruchtbare Böden für die Landwirtschaft, Schutz vor der Ausbreitung von Krankheiten und „Schädlingen“, natürliche Arzneimittel, CO₂-Speicherung gegen die Klimaerhitzung oder Schutz vor Überschwemmungen“.

Jedes Tier trägt seinen Teil zu einem gesunden Ökosystem bei, doch die Menschen greifen ein und bringen somit vieles aus dem Gleichgewicht.
Diese Beiträge von Wildtieren für ein gutes, gesundes und sicheres Leben des Menschen könnten niemals hinreichend von technischen Alternativen ersetzt werden, weshalb man vom Überleben dieser Arten abhängig sei.
Folge man statistischen Berechnungsmethoden, hänge weltweit mehr als die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts (55 Prozent des BIP) mäßig oder stark von den bestehenden Umweltbedingungen und den Leistungen der Ökosysteme ab, so Anne Hanschke gegenüber National Geographic. Dazu zählten beispielsweise die verlässliche Wasserversorgung, die Nährstoffkreisläufe im Jahresrhythmus und die Blütenbestäubung durch Insekten und andere Tierarten.
Dennoch würden die aktuellen betriebswirtschaftlichen Methoden diesem sogenannten Naturkapital und den Ökosystemleistungen nicht annähernd ihren ökonomischen Wert beimessen – und das, obwohl der Global Risk Report 2025 den Verlust der biologischen Vielfalt und der Zusammenbruch des Ökosystems auf der Top-10-Liste der größten Bedrohungen setzt.
„Der Mensch reißt sich selbst in den Abgrund.“
Obwohl Natur und Mensch nachweislich auf Wildtiere angewiesen sind, ist das Artensterben schon weit vorangeschritten. Wildlebende Säugetiere machen nur noch einen minimalen Anteil von vier Prozent der Säugetierbiomasse aus, während es bei Menschen 36 Prozent und bei Nutztieren ganze 60 Prozent sind. „Der Mensch ist für das Artensterben verantwortlich und reißt sich damit selbst in den Abgrund. Der einzige Ausweg ist es, das Artensterben zu stoppen und die Bestände von Wildtieren, die uns in der Natur noch bleiben, zu erhalten und zu stärken. Dazu müssen wir die Arten selbst und ihre Lebensräume schützen, sie vor Übernutzung, Wilderei und illegalem Artenhandel bewahren“, so Anne Hanschke.
Welche Arten sind besonders wichtig für den Menschen?
Unter den wichtigen Arten wird zwischen verschiedenen Überkategorien unterschieden: den Bestäubern (z.B. Bienen), Bodenverbesserern und -auflockerern (z.B. Mistkäfer), Raubtieren (z.B. Wölfe), Weidetieren (z.B. Gnus und Zebras) Samenverbreitern (z.B. Elefanten und Hornvögel) und Planktonfressern (z.B. Wale). Diese Tiere wirken alle positiv auf das jeweilige Ökosystem, in dem sie leben.
So sind 90 Prozent aller Pflanzenarten und 75 Prozent aller Nahrungsmittelpflanzen weltweit auf Tiere angewiesen, die sie bestäuben. Zudem graben Mistkäfer und Regenwürmer den Boden um, um diesen fruchtbar zu machen, während Raubtiere die Zahl der Pflanzenfresser klein und in Bewegung halten, sodass diese nicht alle Pflanzenbestände zerstören.
Weidetiere erhalten die Pflanzenvielfalt, indem sie mit ihren Ausscheidungen düngen und auch als Samenverbreiter agieren, auf welche die Hälfte aller Pflanzen angewiesen sind – was wiederum positive Auswirkungen auf das Klima hat.
Planktonfresser wie Wale transportieren Nährstoffe durch die Ozeane. Das Meer ist das größte zusammenhängende Ökosystem der Welt. Korallenriffe beispielsweise beherbergen etwa 60.000 bisher bekannte Arten, die nicht nur darin leben, sondern es auch pflegen. Durch Überfischung werden diese Tiere weniger, die Korallenriffe sterben ab - denn dieses Ökosystem ist besonders sensibel und reagiert auf kleinste Abwandlungen von Wassertemperatur und pH-Wert.

Bunte Korallenriffe wie dieses sterben mehr und mehr aus, obwohl sie eine Heimat für ein gesundes und vielfältiges Leben sind.
Wer trägt die Verantwortung für ineffiziente Ökosysteme?
Die Natur hat es über Millionen von Jahre als aufwendiges System geschafft, sich selbst zu regulieren. Erst durch zeitlich junges menschliches Eingreifen werden natürliche Prozesse gestört und Arten verschwinden.
Dr. Holger Buschmann, Landesvorsitzender des NABU Niedersachsen, sieht die Verantwortung vor allem in der Politik. „Die Ursachen des Artensterbens liegen in der intensiven wirtschaftlichen Nutzung von Land- und Meeresflächen, durch die Lebensräume verloren gehen. Auch die Übernutzung biologischer Ressourcen sowie extreme Wetterereignisse infolge der Klimakrise bedrohen die Artenvielfalt massiv. Wir erleben gerade das größte Artensterben der Menschheitsgeschichte. (…) Nur funktionierende Ökosysteme können unsere Lebensgrundlagen langfristig sichern und es ist ureigenste Aufgabe der Politik, den Kollaps der Ökosysteme zu verhindern, statt diesen noch zu befördern.“
Prio 1: Bewahren, was übrig ist
Um den Kollaps der Ökosysteme zu verhindern, müssten alle Arten in ausreichend großen Population vorkommen, um sich langfristig ohne Hilfe erhalten zu können. Es sei deswegen auch eine wichtige Aufgabe, (in kleiner Zahl) bestehende Populationen wieder aufzubauen, so Hanschke vom WWF. Man müsse sich dabei vor allem auf die Arten, deren Rückgang die größten negativen Auswirkungen auf die Ökosysteme haben, konzentrieren. Die Bewahrung dessen, was noch übrig ist, habe oberste Priorität.
Dies sei in den meisten Fällen billiger und effektiver als die komplette Wiederherstellung von Wildtierpopulationen – denn Arten neu anzusiedeln, sei sehr kostspielig. Jedes einzelne Tier müsse gezüchtet oder gefangen, auf das eigenständige Leben vorbereitet und dann ausgewildert werden, was ein immenser Aufwand sei.
Abgesehen davon könne es das ganze Ökosystem destabilisieren, wenn eine Art verschwinde. Im schlimmsten Fall lasse sich das gar nicht mehr rückgängig machen, so der WWF.
So kann die Stabilisation einer Population gelingen
Wenn die Stabilisation einer Population erfolgreich gelingt, hat das zeitnah positive Effekte auf die Ökosysteme, wie ein Beispiel aus Nordamerika zeigt: Die Seeotterbestände in Alaska und Kanada konnten sich innerhalb weniger Jahrzehnte erholen und somit unter anderem einfachen Meeresboden in Kelpwälder verwandeln, die wiederum große Populationen an Fisch beherbergen können.
Seeotter wurden im 18. und 19. Jahrhundert für ihre Felle fast bis zur Ausrottung bejagt, so der WWF gegenüber National Geographic. Die Populationen konnten sich erholen, weil der Fellhandel endete und die Otter zusätzlich besser geschützt wurden.
In diesem Fall konnten die Tiere von Schutzmaßnahmen profitieren und ihre „Arbeit“ für den Erhalt eines gesunden Klimas fortführen. Der Faktencheck der BMBF-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) ergab jedoch: Mehr als die Hälfte aller weltweiten Ökosysteme sind in einem schlechten Zustand. Grund dafür seien vor allem fünf Dinge: Der Umgang des Menschen mit der Natur, ein enormer Ressourcenabbau, der Klimawandel, Umweltverschmutzung und invasive Arten, die heimische Arten vertreiben.
„Der Living Planet Index zeigt: Wir zerstören, was uns am Leben hält. Unsere Gesundheit, unsere Lebensmittelversorgung, unser Zugang zu sauberem Wasser, die Stabilität der Wirtschaft und erträgliche Temperaturen sind abhängig von intakten Ökosystemen und gesunden Wildtierbeständen. Was wir für ein gutes und sicheres Leben benötigen, steht durch unsere Lebensweise auf dem Spiel“, so Kathrin Samson, Vorständin Naturschutz beim WWF Deutschland.
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