Redwoods: Die roten Riesen

Im Redwood Forest stehen Rotholzriesen, die so alt sind wie die Bibel. In den Zeiten des großen Trecks nach Kalifornien wurden sie zu den meistbegehrten Objekten der Holzindustrie. Zwei Biologen erkundeten die Wälder der größten Bäume der Erde.

Von Joel K. Bourne, Jr.
Foto von Michael Nichols

Der abgeholzte Hügel in Kalifornien ist überwuchert von spirrigem Mammutbaumnachwuchs, Besenginster und Giftsumach. J. Michael Fay rutscht aus und spürt in seinem linken Fußrücken einen Stich wie von einem Dolch. Der 52-jährige Biologe ist schon Hunderte von Kilometern nur in Sandalen durch den Busch gelaufen und an solche Verletzungen eigentlich gewöhnt. Aber das hier ist wirklich ein unangenehmer Splitter. Er ist am Knochen abgerutscht und steckt nun in einer Sehne fest. Von Hand lässt er sich nicht herausziehen. Schließlich packt Lindsey Holm, Fays Begleiterin, das Holzstück mit einer Zange und reißt es mit ein paar kräftigen Rucken aus dem Fuß.

"Man konnte mich bis zum nächsten Gipfel schreien hören", erzählt Fay. "Solche Schmerzen hatte ich selten." Das will etwas heißen bei einem Mann, der in Afrika schon von einem Elefantenstoßzahn aufgespießt wurde. Er versorgt die Wunde, schultert den Rucksack und geht weiter. Wie in den vergangenen Monaten. Fay ist vom Mammutbaumfieber gepackt.

In früheren Jahren hat sich der Biologe und Umweltschützer vor allem für den Schutz afrikanischer Wälder eingesetzt. Gefördert von der National Geographic Society hatte er 1999/2000 zu Fuß den Regenwald entlang dem Kongo durchquert. Das Ergebnis seiner mehr als 2000 Kilometer langen (Tor-)Tour war die Einrichtung mehrerer großer Nationalparks in Gabun wenige Jahre später.

Jetzt richtet er sein Interesse auf den Küstenmammutbaum Sequoia sempervirens, den Inbegriff der amerikanischen Bäume, wegen ihres roten Holzes auch Redwoods genannt.
Irgendwann bei einer Fahrt an der Küste Nordkaliforniens waren ihm die riesigen Kahlschläge und struppigen Sekundärwälder aufgefallen. So bezeichnen Biologen den Folgewald, der auf abgeholzten Flächen nachwächst. Dann erregte in einem Naturschutzgebiet die mannshohe Baumscheibe eines alten Redwood seine Aufmerksamkeit. An den Jahresringen waren kleine Messingschilder angebracht, eine Art Kalender. Nicht weit vom rötlichen Mittelpunkt der Scheibe stand "1492, Kolumbus".

"Noch mehr aber hat mich ein anderes Schild gepackt", sagt Fay. "Es war etwa acht Zentimeter vom Rand entfernt und trug die Beschriftung «1849, Goldrausch». Da wurde mir bewusst, dass wir im Laufe der letzten paar Zentimeter aus der Lebenszeit dieses Baumes einen 2000 Jahre alten Wald fast vollständig zerstört haben."
So stand im Herbst 2007 sein Entschluss fest: Er wollte selber sehen, wie der Wald mit den höchsten Bäumen unserer Erde früher genutzt wurde und wie man heute mit ihm umgeht. Auf einer Tour durch das Verbreitungsgebiet der Redwoods von Big Sur im Süden Kaliforniens bis hinauf nach Oregon wollte er herausfinden, wie man die profitable Holzproduktion in Einklang bringen kann mit dem ökologischen und gesellschaftlichen Nutzen der Wälder.

Wenn das hier gelänge – davon ist Fay überzeugt –, müsste es auch in anderen Regionen der Erde möglich sein, wo Wälder aus kurzfristigem Gewinnstreben abgeholzt werden. Zusammen mit der Naturforscherin Lindsey Holm, eine Autodidaktin, die sich in der Region bestens auskennt, machte er sich auf den Weg. Die beiden dokumentierten umfassend die Tier- und Pflanzenwelt sowie den Zustand von Wald und Wasserläufen. Und sie redeten mit den Menschen im Land der Mammutbäume: mit Holzfällern, Förstern, Biologen, Umweltschützern, Cafébesitzern, Managern der Holzindustrie – mit Leuten also, die ein Interesse an den Wäldern haben.

Die Expedition startet in einer Phase heißer Debatten: Die heftig kritisierte Pacific Lumber Company, die mit ihrer Abholzungspraxis zwei Jahrzehnte lang im Kreuzfeuer von Umweltschützern stand und immer wieder mit den Behörden in Konflikt geriet, ist pleite. Wirtschafts- und Immobilienkrise führen dazu, dass überall in der Redwoodregion Sägewerke schließen müssen. Und obwohl die verbliebenen alten Baumbestände heute zum größten Teil geschützt sind, setzt sich der Niedergang der bekanntesten in diesen Wäldern lebenden Tierarten – Fleckenkauz, Marmel-Alk und Silberlachs – weiter fort. Bei Waldbränden gehen Hunderttausende von Hektar in Flammen auf. Der Tourismus liegt brach.

Dafür keimt ein neuer Gedanke: die Einsicht, dass die Wälder der Mammutbäume an einem historischen Scheideweg stehen. Nicht nur Umweltschützer und Forstwirte, auch Waldbesitzer und – einige – Verantwortliche in der Holzindustrie sagen, dass es um mehr gehe als um Abholzen oder nicht Abholzen. Es sei Zeit für eine neue Form der Forstwirtschaft. Eine Art der Holznutzung, die für den Menschen, die Tiere und vielleicht sogar für den ganzen Planeten gut ist. Und je länger Fay wandert, desto mehr wächst seine Überzeugung: "Kalifornien hat die Welt mit Computern revolutioniert – warum sollte es nicht auch mit gutem Waldmanagement möglich sein?"

(NG, Heft 10 / 2009, Seite(n) 36)

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