Beeindruckendes Dinosaurierfossil gehört einer neuen Art an

Eine neue Studie des Fossils stellt auch eine gewagte Behauptung über einen Abwehrmechanismus des gepanzerten Kolosses auf, der ihn vor Räubern schützen sollte.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:38 MEZ
Kopf des Nodosaurus
Vor etwa 110 Millionen Jahren trampelte dieser gepanzerte Pflanzenfresser durch das Gebiet des heutigen Kanadas, bis ein reißender Fluss ihn ins offene Meer trug. Das Unterwassergrab des Dinosauriers sorgte dafür, dass seine Panzerung in vorzüglichem Detail erhalten blieb.
Foto von Robert Clark- National Geographic

Vor etwa 110 Millionen Jahren fand ein fast 1.300 Kilogramm schwerer Dinosaurier seinen Tod in einem Fluss im heutigen Alberta, Kanada.

Nun ist er eines der am besten erhaltenen Fossilien seiner Art, die je gefunden wurden – und hat endlich auch einen Namen: Borealopelta markmitchelli, ein pflanzenfressender, gepanzerter Nodosaurier, der während der Kreidezeit lebte. Nach seinem Tod versank der Leichnam mit dem Rücken voran im schlammigen Grund eines alten Seewegs, wo seine vordere Hälfte bemerkenswert detailliert und dreidimensional erhalten blieb.

2011 entdeckte man das Fossil durch Zufall. Seit Mai 2017 wird es im Royal Tyrrell Museum im kanadischen Alberta ausgestellt und bietet der Welt einen beispiellosen Einblick in die Anatomie und das Leben gepanzerter Dinosaurier.

„Es ist ein wunderschönes Exemplar“, sagt Victoria Arbour. Die Forscherin am Royal Ontario Museum untersucht aktuell das Fossil eines anderen gut erhaltenen Dinosauriers namens Zuul crurivastator. „Es ist toll, Exemplare wie dieses und Zuul zu haben, die uns eine Vorstellung davon vermitteln, wie diese Dinosaurier wohl zu Lebzeiten ausgesehen haben.“

Neben der Verkündung seines Namens wurde gestern auch die erste wissenschaftliche Beschreibung des Nodosauriers in „Current Biology“ veröffentlicht.

„Wir wussten schon vor sechs Jahren, dass das etwas Besonderes sein würde“, sagt Don Henderson, der Kurator für den Bereich Dinosaurier am Royal Tyrrell Museum. „Aber ich glaube, wir begriffen damals nicht, wie besonders es war.“

BEFREIUNGSAKTION

Borealopelta hat einen langen Weg hinter sich. Die unterirdische Ruhe des Tiers fand 2011 ein jähes Ende, als der Baggerfahrer Shawn Funk in einer Ölsandmine des Unternehmens Suncor im Norden Albertas darüber stolperte.

Das Fossil reiste dann ins Präparationslabor des Royal Tyrrell Museum, wo Mark Mitchell das Gestein, welches das Fossil umgab, in mühevoller Kleinarbeit wegmeißelte. Insgesamt verbrachte er im Lauf von sechs Jahren mehr als 7.000 Arbeitsstunden mit dieser Aufgabe. Allein für das Freilegen des Schädels benötigte er acht Monate.

„Ohne sein Engagement wäre [Borealopelta] wahrscheinlich nie ans Tageslicht gekommen“, sagt Caleb Brown, ein Forscher am Royal Tyrrell Museum und der Hauptautor der neuen Studie. „Es ist ein extremer Arbeitsaufwand.“ Die Präparatoren sind oft die unbesungenen Helden der Archäologie.

All die Arbeit wurde aber mit einer außerordentlichen Ehre gewürdigt. Die neue Studie bestätigt, dass der Dinosaurier zu einer neuen Gattung und Art gehört. Sein wissenschaftlicher Name lässt sich als „Mark Mitchells nördlicher Schild“ übersetzen – eine Anspielung auf den Befreier des Fossils, dessen gut erhaltenen Panzer und den Fundort.

„Ich war richtig begeistert [als ich seinen Namen herausgefunden habe]“, sagt Mitchell. „Ich hab meine Arme hochgerissen und gejubelt.“

BELIEBT

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    Der präparationstechnische Assistent des Royal Tyrrell Museums, Mark Mitchell, befreit den Fuß des Nodosauriers langsam von dem umgebenden Gestein. Mitchells sorgfältige Arbeit wird die charakteristischen Merkmale des Dinosauriers für lange Zeit erhalten.
    Foto von Robert Clark

    GUT GETARNT

    Die provokanteste Behauptung der Studie bezieht sich auf die potenzielle Färbung des Nodosauriers, deren Spuren laut den Autoren noch in einer schwärzlichen Schicht erhalten sein sollen, die einen Großteil des Dinosauriers überzieht.

    In diesem Film – der Vermutungen zufolge einen Überrest der Haut des Tieres darstellt – hat der Paläobiologe Jakob Vinther von der Universität von Bristol chemische Spuren des Rotbraun-Pigments Phänomelanin entdeckt.

    Vinther und seine Kollegen betonen, dass sie solche Pigmentspuren nicht an allen Stellen auf dem Tier gefunden haben. Nachdem sie an mehreren Stellen Proben des Fossils untersucht hatten, kamen sie laut Vinther zu dem Schluss, dass der Dinosaurier kein Phänomelanin an seiner Bauchunterseite aufwies. Dadurch wäre dieser Teil des Körpers heller gewesen.

    Manche Tiere haben dunklere Rücken und hellere Bäuche, um ihre Körpertemperatur besser zu regulieren. Anderen kommt diese Art der Farbgebung als spezielle Form der Tarnung zugute, die man Konterschattierung nennt. Der Zweiton-Look lässt die Tiere von Weitem flach erscheinen und macht es für Raubtiere schwerer, sie zu entdecken.

    Der Paläobiologe Jakob Vinther sagt, dass das rötlich-braune Pigment Phänomelanin an vielen Stellen des Borealopelta nachweisbar war, mit Ausnahme seines Bauches. Sofern das stimmt, könnte diese zweifarbige Färbung Borealopelta bei der Tarnung vor Räubern geholfen haben.
    Foto von MANUEL CANALES, NGM STAFF; PATRICIA HEALY. KÜNSTLERISCHE DARSTELLUNG: DAVIDE BONADONNA. QUELLEN: CALEB MARSHALL BROWN UND DONALD HENDERSON, ROYAL TYRELL MUSEUM OF PALAEONTOLOGY; JAKOB VINTHER; C. R. SCOTESE, PALEOMAP PROJECTUMHELLER, Alberta

    In modernen Ökosystemen benötigen Landsäugetiere mit einem Gewicht von mehr als einer Tonne – wie zum Beispiel Nashörner – so eine visuelle Verteidigungsstrategie nicht, um sich vor Raubtieren zu schützen. Im Gegensatz dazu kann man sich vorstellen, dass die Raubtiere zu seiner Zeit erschreckend effektiv gewesen sein mussten, wenn der schwere und gepanzerte Borealopelta eine farbliche Tarnung benötigte.

    „Kurz gesagt: Die Kreidezeit war verdammt furchteinflößend“, sagt Vinther. „Wir haben Hinweise darauf gefunden, dass Theropoden Dinosaurier wie Borealopelta und andere gepanzerte Pflanzenfresser gefressen haben. Sie haben sie erlegt und verschlungen.“

    FARBENFROHE VORSTELLUNG

    Einige Experten sind aber der Ansicht, dass die neue Studie nicht genügend Beweise liefert, um auf eine Konterschattierung zu schließen.

    „Dieses Exemplar ist zweifelsohne ganz erstaunlich. Es ist eine absolut großartige paläontologische Entdeckung“, sagt Alison Moyer. Die Forscherin der Drexel Universität hat Studien an versteinertem Gewebe durchgeführt. Aber, so sagt sie, „die Studie, die sich auf die Pigmentierung und Farbgebung bezieht – und damit auch auf Schlussfolgerungen zu Jäger-Beute-Beziehungen – hat haufenweise Probleme.“

    Vinthers Beweise – die er durch Tests erlangt hat, die finanziell von der National Geographic Society gefördert wurden – sind indirekt. Trotz des erstaunlich gut erhaltenen Zustands des Nodosauriers konnte er nur chemische Spuren finden, von denen er glaubt, dass sie durch den Zerfall dieses speziellen Pigments hinterlassen wurden.

    Zu Lebzeiten war der Nodosaurier etwa 5,5 Meter lang und circa 1.400 Kilogramm schwer. Die Forscher vermuten, dass er ursprünglich vollständig versteinerte. Bei seiner Entdeckung 2011 war aber nur die vordere Hälfte noch so gut erhalten, dass man sie bergen konnte.
    Foto von Collage Aus Acht Bildern, Fotografiert im Royal Tyrrell Museum Of Palaeontology, Drumheller, Alberta

    Moyer findet, dass sich die Studie nicht ausreichend damit befasst, wie sich die chemische Zusammensetzung des Fossils mit der Zeit verändert haben könnte oder ob der schwarze Film wirklich versteinerte Haut ist und nicht nur der Rest eines Bakterienfilms, der sich einst auf dem verwesenden Dinosaurier gebildet hat. Sie weist auch darauf hin, dass die erhaltene Haut nicht bis zum Unterbauch von Borealopelta reicht. Daher ist sie nicht überzeugt davon, dass dieser Bereich keine Pigmentierung hatte.

    Zudem haben diverse wissenschaftliche Arbeiten das Abbauprodukt aus der Studie als einen natürlichen Bestandteil des Meeressediments nachgewiesen – also der Schicht, in der auch Borealopelta gefunden wurde.

    „Es gibt endlos viele Möglichkeiten, die nicht berücksichtigt wurden und die mit den Fakten etwas sparsamer umgehen würden als diese Konterschattierung“, sagt sie.

    Die Paläontologin Mary Schweitzer der North Carolina State Universität – eine führende Expertin auf dem Gebiet der Konservierung von Dinosauriergewebe – stimmt Moyer in jedem Punkt zu. „Meiner Meinung nach stützen die Daten die Schlussfolgerung nicht“, schrieb sie in einer E-Mail.

    Vinther entgegnet, dass er die chemische Verbindung nirgendwo im Sediment um das Fossil herum fand – nur in der vermeintlichen Haut von Borealopelta, und zwar in hoher Konzentration.

    Trotzdem ist es möglich, so der Paläontologe Johan Lindgren von der Lund Universität, dass die Verbindung, die mit dem Phänomelanin in Zusammenhang gebracht wird, aus anderen Substanzen in oder am Dinosaurier stammt. Diese könnten während des Prozesses der Versteinerung zerfallen sein. „Das zeigt wieder ganz deutlich, wie wenig wir darüber wissen, wie tierisches Weichgewebe konserviert“, sagt er.

    Die Forscher, die Borealopelta untersuchen, betonen, dass ihre Studie die ersten Äußerungen zur Farbgebung des Dinosauriers enthalten mag, aber sicher nicht die letzten.

    Henderson fügt hinzu, dass er sich schon auf eine jahrelange, gesunde Debatte freut, die der Nodosaurier sicherlich hervorrufen wird. Das Exemplar befindet sich in einem Museum, wo es für andere Wissenschaftler mit allen möglichen Untersuchungsmethoden für Studien zur Verfügung steht.

    Borealopelta, sagt er, „befindet sich an einem sicheren Ort für etwas so Außergewöhnliches, und nicht versteckt in irgendeinem Wohnzimmer.“

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