Saturn ohne Ringe? Berühmtestes Merkmal des Planeten könnte überraschend jung sein

Womöglich entstanden die charakteristischen Ringe erst zu Zeiten der Dinosaurier.

Von Nadia Drake
Veröffentlicht am 9. Jan. 2018, 15:43 MEZ
Saturn
Im August 2009 sah Cassini als erste Sonde der Erde eine Tag- und Nachtgleiche des Saturn, als die Sonne direkt auf den Äquator des Gasriesen schien.
Foto von NASA, JPL, Cassini

Die Ringe des Saturn zählen wohl zu den markantesten Blickfängen unseres Sonnensystems – aber das ist vielleicht noch gar nicht so lange der Fall. Eine neue Analyse lässt darauf schließen, dass die majestätischen Ringe des Planeten so jung sind, dass die Dinosaurier – wenn sie in den Himmel geblickt hätten – einen eher schlichten, strohgelben Saturn erblickt hätten, der plötzlich einen Ring bekam. Und für eine kurze Zeit wäre es ein sehr gewaltiger Ring gewesen.

„Selbst mit dem bloßen Auge wäre der Saturn so hell wie die Venus und merklich langgezogen gewesen“, sagt Matija Cuk vom SETI Institute. „Wenn die Dinosaurier ein ähnliches Sehvermögen wie Vögel hatten, hätten sie das definitiv sehen können. Es ist aber nicht ganz klar, ob es sie interessiert hätte.“

Die Menschheit hatte hingegen das Glück, genau zur richtigen Zeit zu entstehen, um davon beeindruckt zu sein. Laut den neuen Beobachtungen des NASA-Raumsonde Cassini könnten die Ringe gerade mal 100 bis 200 Millionen Jahre alt sein. Damit wären Säugetiere die einzige Tierklasse, die sich nach der Entstehung der Ringe entwickelt hat. Alle anderen - Fische, Reptilien, Vögel, Pflanzen - waren schon vor den Ringen da.

Cassinis letzte Beobachtungen lassen vermuten, dass die Ringe nicht annähernd so alt wie der Planet sind, der sich zusammen mit dem restlichen Sonnensystem vor etwa 4,5 Milliarden Jahren bildete. Das Cassini-Team, das sich im September 2017 von der Sonde verabschiedete, präsentierte die vorläufigen Erkenntnisse beim jährlichen Treffen der American Geophysical Union im vergangenen Dezember.

„Es ist spannend zu sehen, wie dynamisch unser Sonnensystem ist“, sagt Jeff Cuzzi von der NASA. „Die meisten Wissenschaftler gingen immer davon aus, dass das, was wir da draußen im Kosmos sehen, irgendwie permanent ist und schon immer so war.“

BELIEBT

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    WIE SCHMIEDET MAN EINEN PLANETAREN RING?

    Die Ringe des Saturn, die vor 400 Jahren erstmals von Galileo durch ein Teleskop entdeckt wurden, sind in unserer Nachbarschaft einzigartig. Jene Ringe, die andere große Planeten unseres Systems umgeben – Jupiter, Uranus und Neptun –, sind dunkler und zerklüfteter als die hellen, üppigen Schlaufen um den Saturn herum.

    Aber seit dem ersten Vorbeiflug der Voyager-Sonde in den frühen Achtzigern haben sich Wissenschaftler gefragt, ob die charakteristischen Ringe sich ebenfalls schon mit dem Beginn des Sonnensystems geformt haben.

    „Die Frage ist, ob die Ringe alt oder neu sind“, sagt Bonnie Buratti vom Jet Propulsion Laboratory. „Die meisten von uns glauben, dass die Ringe durch eine Kollision entstanden, aber passierte das vor langer Zeit oder relativ kürzlich?“

    Cassinis Kamera machte diese Aufnahme der charakteristischen Ringe.
    Foto von NASA, JPL Cal-tech, Space Science Institute

    Die Daten von Voyager deuteten darauf hin, dass die Ringe nicht besonders viel Masse haben, was ein Hinweis auf ihre Jugend ist. Insgesamt machen sie nur einen Bruchteil der Masse des kleinen Saturnmonds Mimas aus. Damit haben die Ringe nicht genug Masse, um den dunklen Staub anzuziehen, der durch das äußere Sonnensystem fliegt, und hätten auch nicht über Milliarden von Jahren hinweg so hell bleiben können. Zudem bewegen sich die kleinen Monde im Umkreis der Ringe zu schnell von Saturn weg, um schon während der gesamten Existenz des Planeten dort gewesen zu sein.

    Aber niemand hatte eine Idee dazu, wie sich ein so junges Ringsystem um den Saturn herum hätte bilden können. Ein Ur-Ring hingegen wäre recht einfach zu erzeugen gewesen: Damals schossen Planetenkörper noch wie Billardkugeln durch das Sonnensystem und es hätte genug Zusammenstöße in Saturns Nachbarschaft gegeben, um die eisigen Ringe zu erzeugen. (Lesenswert: Saturns Eismond könnte den richtigen Treibstoff für Leben haben)

    „All diese katastrophalen Dynamiken ereigneten sich am Anfang“, sagt Cuzzi.

    Als das Sonnensystem älter wurde, beruhigten sich die Dinge aber merklich. Heutzutage ist es deutlich schwieriger, einen Kometen oder Asteroiden zu finden, der den Orbit des Saturn kreuzt und groß genug wäre, um einen Ring entstehen zu lassen.

    EINE FRAGE DES TIMINGS

    Das Geheimnis warf noch mehr Fragen auf, als die Cassini-Wissenschaftler ihre Daten nach dem Ableben der Sonde analysierten.

    Während ihrer letzten Phase der Saturnerkundung umflog Cassini den Planeten in zunehmend kleineren Umlaufbahnen. Während die Sonde zwischen Saturn und seinen Ringen umherflog, machte sie sorgfältige Messungen der Anziehungskräfte des Planeten und der Ringe. Damit sollte schließlich die Masse der Ringe bestimmt werden. Auch diese Daten deuteten wieder darauf hin, dass die Ringe recht kümmerlich sind und nur etwa 40 Prozent der Masse von Mimas besitzen. Die Sache hatte allerdings einen Haken: Als Cassini versuchte, ins Innere des Saturn zu blicken, entdeckte sie eine seltsame Gravitationsanomalie, die es dem Team erschwerte, die Masse der Ringe genau zu bestimmen.

    „Das Innere des Saturn hat irgendetwas sehr Seltsames an sich, das niemand so recht zu verstehen scheint“, sagt Cuzzi.

    Obwohl die Masse der Ringe aktuell noch nicht eindeutig ermittelt werden konnte, sind sich Cuzzi und andere Forscher sicher, dass sie nicht annähernd auf die fünf bis zehn Mimas-Massen kommen, die nötig sind, damit sich ein heller Ring zu Beginn des Sonnensystems gebildet haben könnte.

    Aber das ist nicht alles, was auf relativ junge Ringe hindeutet. Während ihrer 13 Jahre im Saturnsystem entdeckte Cassini, dass deutlich mehr Staubpartikel mit dem System zusammenstoßen, als Wissenschaftler vor 30 Jahre annahmen. Sie stellte auch fest, dass die meisten dieser Körnchen aus den dunklen Eiskörpern hinter der Umlaufbahn des Neptun stammen. Oder mit Cuzzis Worten: „Das Problem der Verschmutzung ist ein bisschen schlimmer.“

    Das macht ein hohes Alter der dünnen Ringe sogar noch unwahrscheinlicher, da sie umso dunkler sein sollten, je älter sie sind. Indem die Wissenschaftler also ermittelten, wie viele dieser dunklen Staubpartikel Cassini einfing, konnten sie errechnen, wie alt die Ringe sind. Durch das Zurückdrehen der Staubuhr konnten sie ermitteln, dass die Ringe vor 100 bis 200 Millionen Jahren entstanden.

    „Die alten Ringe sind Geschichte“, sagt Larry Esposito von der Universität von Colorado Boulder, der einer der großen Verfechter der Theorie der alten Ringe war. „Ich habe kein gutes Modell, um die Ringe innerhalb der letzten 200 Millionen Jahre entstehen zu lassen – das ist extrem unwahrscheinlich. Wir müssen also einfach richtig Glück gehabt haben!“

    Aber noch ist nicht jeder davon überzeugt. Buratti verweist darauf, dass wir nicht genau wissen, wie viele Objekte tatsächlich in der Nähe des Saturn herumfliegen. Ohne dieses Wissen ist es schwer, die Wahrscheinlichkeit für eine kürzlich erfolgte Kollision einzuschätzen.

    „Ich denke nicht, dass das ein klarer Fall ist“, sagt sie. „Ich bin noch skeptisch.“

    Julien Salmon vom Southwest Research Institute hat Modelle, die darauf schließen lassen, dass die heutige Ringmasse nicht unbedingt der ursprünglichen Ringmasse entspricht. Auch er ist nicht davon überzeugt, dass sich dunkles, verunreinigendes Material einfach an den Eispartikeln der Ringe sammeln würde.

    „Es gibt eine Menge Dinge, die wir erst noch besser verstehen müssen, bevor wir behaupten können, dass die Ringe jung oder alt sind“, sagt er.

    Cassini machte diese Aufnahme des Saturn, auf dem die Schatten seiner stattlichen Ringe zu sehen sind.
    Foto von NASA, JPL, Cassini

    ENTSTEHUNGSGESCHICHTE

    Falls der Saturn seine Ringe tatsächlich erst seit recht kurzer Zeit trägt, lässt sich nur schwer erklären, wie es dazu gekommen sein könnte – große Kometen oder Asteroiden, die mit dem Planeten hätten zusammenstoßen können, sind sehr selten.

    An dieser Stelle setzten Matija Cuk und seine Kollegen an. Was, so fragten sie, wenn der Planet einen seiner eigenen Monde gefressen hat?

    Laut Cuks Modell umkreiste der Saturn samt seinen Eismonden die Sonne für Milliarden von Jahren, bis die Anziehungskraft der Sonne ein paar der inneren Eismonde durcheinanderbrachte. Diese Anziehungskraft wirkt selbst noch in Millionen Kilometern Entfernung. Cuks Modell zeigt, dass es einen idealen Punkt im Orbit des Planeten gibt, an dem die kleinen Eismonde von der Sonne gestört werden können. Die Sonne hat sich also einen kleinen Spaß erlaubt, die Umlaufbahn der Monde verschob sich, diese stießen zusammen und voilà. (Lesenswert: Fragen und Antworten: Wasser im Inneren des Mondes entdeckt)

    „Die Monde wurden vermutlich gründlich zertrümmert“, sagt er.

    Das daraus resultierende Spektakel hätte für kurze Zeit für einen gigantischen Ring um den Saturn herum gesorgt – einen, der zehnmal so hell und so groß wie jene ist, die wir aktuell sehen können.

    Die Konsequenz aus Cuks Theorie wäre, dass alle Monde mit einer Umlaufbahn zwischen Saturn und Rhea jung sind. Sie wurden zertrümmert und entstanden neu, nachdem sich der Staub gelegt hatte. Die äußeren Monde wie Titan und Iapetus sind deutlich älter. Das würde allerdings bedeuten, dass Enceladus mit seinen riesigen Geysiren ebenfalls recht jung wäre – viel zu jung, als dass sich in seinem Meer Leben entwickelt haben könnte. (Lesenswert: Saturnmond Iapetus hat die merkwürdigste Bergkette des Sonnensystems)

    Ein anderes Problem wäre die komplexe, von Kratern übersäte Oberfläche von Monden wie Enceladus, Rhea, Dione und Mimas, die sehr alt zu sein scheint.

    „Ich denke, wir haben ein Problem, wenn all diese Geologie in den letzten 200 Millionen Jahren passiert sein soll“, sagt Buratti. „Diese Oberflächen sehen wirklich alt aus.“

    Unabhängig vom Alter der Ringe steht fest, dass sie so schnell nicht verschwinden werden – obwohl sie nicht immer so strahlend hell wie jetzt sein werden. Mit anderen Worten: Die Menschheit hatte Glück, genau zur richtigen Zeit ein Gehirn entwickelt zu haben, das ein Teleskop erfinden konnte, um den Saturn in seiner jetzigen Form zu sehen.

    Werden die Ringe in 100 Millionen Jahren verschwunden sein? „Die Antwort ist Nein“, sagt Cuzzi. „Sie sind stabil genug, um lange Zeit dort zu bleiben. Sie werden nur immer dunkler werden.“ (Lesenswert: So gut sind die Ringe des Saturn erst 2023 wieder sichtbar)

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    Mission Saturn: Was wir von Cassini gelernt haben
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