Altes Kaisergrab enthielt die Knochen eines unbekannten Primaten

Das Tier mit den eindrucksvollen Zähnen scheint ein frühes Beispiel für eine Art zu sein, die durch menschliches Zutun ausstarb.

Von Maya Wei-Haas
Veröffentlicht am 26. Juni 2018, 11:04 MESZ
Dieses Schädelfragment gehört Junzi imperialis, einem neu beschriebenen Gibbon aus China, der mittlerweile ausgestorben ist.
Foto von Samuel Turvey, ZSL

Das Grab von Xia muss einen beeindruckenden Anblick geboten haben. Es wurde im Jahr 2004 ausgegraben und gehörte der Großmutter des ersten Kaisers von China, Qin Shihuangdi. Im Inneren des Grabes befanden sich große Reichtümer in Form von Jade, Gold, Silber, verzierten Keramiken und zwei Kutschen mit insgesamt zwölf Pferden, wie chinesische Staatsmedien berichteten.

Darüber hinaus fand man in zwölf Gruben Knochen einer recht exotischen Menagerie: Unter anderem leisteten ein Kragenbär, ein Leopard, ein Luchs, ein Kranich und ein ungewöhnlicher Gibbon der kaiserlichen Großmutter Gesellschaft. Der Schädel des kleinen Affen ist so sonderbar, dass Forscher mittlerweile glauben, das Tier gehöre einer neu beschriebenen, aber bereits ausgestorbenen Gattung und Art an.

Die Wissenschaftler tauften das Tier auf den Namen Junzi imperialis – eine Anspielung auf den kaiserlichen Fundkontext und das Image des Gibbons in der chinesischen Mythologie als gelehrter Mann von Stand (eine grobe Übersetzung des Wortes „junzi“).

Wichtiger ist allerdings, dass die Entdeckung ein Beleg für die frühe menschliche Nutzung dieser Tiere ist. Sie hilft den Forschern dabei, das Ausmaß unseres Einflusses auf das Aussterben früherer Primatenarten zu begreifen, wie die Wissenschaftler in ihrer Studie erläutern, die in „Science“ erschien.

„Es ist nur sehr wenig über das Verschwinden von Primaten bekannt – fast nichts“, erklärt der Co-Autor der Studie James Hansford, ein Wissenschaftler der Zoological Society of London. Die Gibbonüberreste in Asien beschränken sich größtenteils auf Zähne und kleine Knochenfragmente. Damit ist der Fossilbericht für diese Tiere alles andere als vollständig.

„Es ist schon unglaublich wichtig, dass man die Existenz dieser Art überhaupt als Tatsache etablieren konnte“, so Hansford.

ZÄHNE ZEIGEN

Aufgrund der großen archäologischen Bedeutung des Fundes konnten die Forscher die DNA des Primaten nicht untersuchen, da dafür Teile der kostbaren Knochen zerstört werden müssten. Stattdessen beschränkten sie sich auf eine morphometrische Untersuchung, analysierten also die genauen Formen, Maße und Winkel der Schädelknochen und Zähne.

Für das ungeübte Auge mag der alte Gibbonschädel den Köpfen seiner heutigen Verwandten auffallend ähnlichsehen. „Sie sehen sich oft ziemlich ähnlich, [...] besonders, wenn man erst mal das ganze Fell aufträgt“, sagt Susan Cheyne, die Vizevorsitzende der Primate Specialist Group Section on Small Apes der Weltnaturschutzunion. Sie selbst war an der aktuellen Studie nicht beteiligt.

 

BELIEBT

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    Ein weiblicher Nördlicher Weißwangen-Schopfgibbon hält seinen Nachwuchs im Arm.
    Foto von Doug Gimesy

    Also erstellte das Studienteam eine Datenbank mit den Messdaten von Zähnen und Schädeln vier lebender Gibbongattungen. Mit Lasern vermaßen die Forscher insgesamt 789 Zähne von 279 Tieren sowie 477 Schädel. Auf Basis dieser Datenbank konnten sie den imperialen Affen dann mit bekannten Arten vergleichen. „Dadurch fanden wir heraus, dass er sich in einem außergewöhnlichen Maße unterscheidet“, sagt Hansford.

    Die Stirn ist steiler und die Braue dezenter, wie die Co-Autorin Alejandra Oritz erklärt, eine Forscherin an der Arizona State University. Und dann sind da noch die Zähne: Einfach ausgedrückt hat er sehr große Zähne, so Hansford.

    John Fleagle, ein Primatenanatom der Stony Brook University, stimmt mit den Studienautoren darin überein, dass es sich bei dem Tier aus dem Grab um eine eigene Art und Gattung handelt. Er lobt vor allem ihren gründlichen Vergleich mit Hunderten von Exemplaren.

    Er verweist aber auch darauf, dass sich einige der seltsamen Knochenformen durch ein Leben in Gefangenschaft erklären lassen würden. „Tiere, die von Menschen aufgezogen und mit komischen Dingen gefüttert wurden, haben manchmal auch komische Skelette.“ Allerdings könnten durch solche Effekte wahrscheinlich keine so riesigen Zähne entstehen, fügt er hinzu.

    „Es ist eindeutig ein seltsames Exemplar“, sagt er.

    TOD DURCH HANDEL UND ABHOLZUNG?

    Heutzutage gelten alle chinesischen Gibbons als vom Aussterben bedroht. Die Tiere durchstreifen mittlerweile nur noch einen Bruchteil ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes und werden vor allem durch die fortschreitende Entwaldung und Wilderei bedroht.

    Manche Forscher glauben, dass eine derartige Gefährdung von Primatenbeständen ein vergleichsweise neues Phänomen ist. „Es gab diese Vorstellung, dass die Affen früher der anthropogenen Belastung und dem anfänglichen Verlust ihres Lebensraums gegenüber widerstandsfähiger waren“, schrieb Oritz in einer E-Mail. Die Entdeckung des kaiserlichen Gibbons lässt jedoch vermuten, dass das nicht der Fall war.

    Die meisten bedeutenden Fälle aussterbender Arten ereigneten sich zumindest teilweise im Zuge beträchtlicher Klimaveränderungen. Vor etwa 11.000 Jahren löste die letzte Kaltzeit ihren frostigen Griff um die Nordhalbkugel. Die Gletscher wichen zurück, die Temperaturen stiegen und zahlreiche Tierarten begannen ihre Abwärtsspirale gen Auslöschung: riesige Faultiere der Gattung Megatherium, Wollhaarmammuts, Säbelzahlkatzen und viele mehr.

    Aber die Gibbons hielten durch. Der Fossilfund lässt vermuten, dass sie sich vor rund 2.000 Jahren während einer Phase des recht stabilen Klimas in der heutigen chinesische Provinz Shaanxi durch die Bäume schwangen. Bis vor ein paar Jahrhunderten schienen sie sich in den Wäldern wohlzufühlen – aber den historischen Berichten zufolge verschwanden sie dann aus der Region.

    Was war passiert? Die meisten Anzeichen deuten auf menschliche Eingriffe hin.

    Während jener Zeit stieg der Bedarf an Ackerland zusammen mit der Populationsgröße beständig an, worunter vor allem die Wälder und ihre Bewohner zu leiden hatten. Gibbons leben hoch über dem Boden in Ästen und Baumkronen. Verschwindet ihr Waldlebensraum, können sie diesen Verlust nicht kompensieren. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Tiere als eine Art Statussymbol auch gefangen und gehandelt wurden – wie man an dem Gibbon aus dem Grab erkennt.

    Auch im Zeitalter des Internets geht es den verbleibenden Gibbons nicht viel besser, wie Cheyne erklärt. „Gibbons werden öffentlich auf Twitter und Instagram und Facebook zum Verkauf angeboten.“

    Viele der Arten taumeln jetzt schon am Rande der Ausrottung entlang. Hansford und seine Kollegen arbeiten daran, eine dieser Arten zu schützen: den Hainan-Schopfgibbon. Derzeit gibt es nur noch 26 Exemplare auf der ganzen Welt.

    „Wir können langsam sehen, dass [die modernen Gibbonarten] ein Überbleibsel einer einst womöglich viel weiteren Ausbreitung von Gibbons und Primaten in ganz Asien sind“, so Hansford. „Wir haben mehr und mehr von ihnen verloren. Wir können nicht mal quantifizieren, was wir verloren haben, weil wir keine Aufzeichnungen darüber haben.“

    Die Entdeckung des kaiserlichen Gibbons ist ein Beleg für die lange Geschichte des Niedergangs dieser Tiere – und er zeigt die Bedeutung des Schutzes heutiger Arten auf. „Das Wichtige ist, dass wir aus unserer Vergangenheit lernen können“, sagt Cheyne, „und versuchen können, unsere Zukunft zu ändern.“

     

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