Algen aus dem All

Wie gewinnt man Nahrung und Sauerstoff im Weltraum? Eine mikroskopisch kleine Grünalge an Bord der Internationalen Raumstation ISS könnte eine zukunftsweisende Rolle spielen.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 23. Juli 2018, 12:48 MESZ
Reaktorkammer-System
Die Grünalgen wachsen in einer Nährlösung im Reaktorkammer-System.
Foto von IRS – Universität Stuttgart

Chlorella vulgaris heißt die unscheinbare Hauptdarstellerin eines neuen Weltraumexperiments. Die mikroskopisch kleine Grünalge hat zwar nur einen Durchmesser von rund vier bis zehn Mikrometern, doch sie vermehrt sich schnell, braucht wenig Platz und Wasser, produziert Sauerstoff und ist reich an Proteinen. Damit ist sie wie geschaffen für Experimente, die sich um die Entwicklung so genannter Lebenserhaltungssysteme für die bemannte Raumfahrt drehen. Wissenschaftler verstehen darunter Technologien, die Menschen im All mit Atemluft und Nahrung versorgen.

Gisela Detrell
Gisela Detrell am Photobioreaktor: LED-Lämpchen versorgen die Grünalgen mit rotem und blauem Licht für die Photosynthese.
Foto von IRS – Universität Stuttgart

Das Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart (IRS) forscht gezielt an solchen Versorgungssystemen. Seit 2015 arbeitet das Institut gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Firma Airbus Defence and Space an einem Mikroalgen-Experiment für die Internationale Raumstation ISS. Kernstück sind zwei Photobioreaktorkammern. In den jeweils rund 40 X 20 Zentimeter großen Behältern soll Chlorella vulgaris ab November 2018 rund 400 Kilometer über der Erde kultiviert werden. Ein halbes Jahr lang wollen die Wissenschaftler beobachten, wie die Mikroalgen auf die extremen Bedingungen im All reagieren. Im Zentrum steht die Frage: Lässt sich im All mit Hilfe von Algenkulturen eines Tages Sauerstoff aus Kohlendioxid in großen Mengen zurückgewinnen und gleichzeitig essbare Biomasse erzeugen, um Astronauten damit zu versorgen?

BELIEBT

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    Grünalge
    Unscheinbare Energielieferanten: die einzellige Grünalge Chlorella vulgaris unter dem Mikroskop.
    Foto von IRS – Universität Stuttgart

    Reaktorkammern als Nahrungsquelle

    „Ein vergleichbares Experiment über einen solch langen Zeitraum gab es noch nie“, freut sich Gisela Detrell. Als Arbeitsgruppenleiterin für Lebenserhaltungssysteme am IRS ist die Ingenieurin maßgeblich an dem Experiment beteiligt. „Wir wollen testen, wie die Algen langfristig mit der Schwerelosigkeit und der kosmischen Strahlung klarkommen.“ Licht für die Photosynthese erhalten die Einzeller über rote und blaue LED-Lämpchen. Durch eine Membran gelangt Kohlendioxid in die Kammern hinein – und der von den Algen produzierte Sauerstoff hinaus. Alle zwei Wochen sollen die Astronauten ein Nährmedium in das System geben. Dabei hilft ein spezielles Gerät, das – wie die Photobioreaktorkammern – ebenfalls vom Stuttgarter Team entwickelt und gebaut wurde. Mit diesem Liquid Exchange Device kann auch die überschüssige Algenbiomasse entnommen werden.

    Reinhold Ewald
    Astronaut und Astronautik-Professor Reinhold Ewald von der Uni Stuttgart testet das Liquid Exchange Device. Mit dem Gerät können Astronauten die gewonnene Algenbiomasse ernten und ein Nährmedium ins System geben.
    Foto von IRS – Universität Stuttgart

    Als Astronauten-Snack kommt die so gewonnene grüne Brühe allerdings noch nicht infrage. „Wie Suppe löffeln lassen sich die Algen nicht“, lacht Detrell. Die erzeugte Biomasse müsse zunächst akribisch aufbereitet werden. „Wir werden Proben zurückbekommen und analysieren.“ Auch bis zur Atemluftversorgung ist es noch ein langer Weg. Das Reaktorsystem auf der ISS wird Detrell zufolge rund 0,8 Gramm Sauerstoff pro Tag liefern. Zum Vergleich: Ein erwachsener Mensch verbrauche etwa 0,6 Gramm pro Minute. Dennoch: Das Demonstrationsexperiment auf der ISS soll nur der Anfang sein. Detrell ist überzeugt: „Grundsätzlich könnte man große Reaktoren konstruieren und so bauen, dass sie beispielsweise Bestandteile der inneren Wände eines Weltraum-Habitats etwa auf dem Mond oder Mars sind. Wir wollen beweisen, dass es funktioniert.“

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