Auf der Jagd nach den Nachfahren der „Hobbits“

In der Nähe der Höhle, in der die Überreste des kleinen Homo floresiensis entdeckt wurden, leben heute noch Pygmäen. Könnten sie verwandt sein?

Von Maya Wei-Haas
Veröffentlicht am 7. Aug. 2018, 14:23 MESZ
Der Archäologe Douglas Hobbs in der Höhle Liang Bua, in welcher die Überreste von H. floresiensis ...
Der Archäologe Douglas Hobbs in der Höhle Liang Bua, in welcher die Überreste von H. floresiensis entdeckt wurden.
Foto von Fairfax Media via Getty Images

Zunächst wirkte das Skelett wie das eines Kindes. Es wurde in der Kalksteinhöhle Liang Bua auf der indonesischen Insel Flores entdeckt. Der weibliche Hominini-Vertreter wäre zu Lebzeiten gerade mal einen Meter groß gewesen. Es war aber kein Kind, und so wurde klar, dass der kleine Menschenaffe etwas Besonderes war: eine nie zuvor gesehene Art, die von den Forschern Homo floresiensis getauft wurde.

Der Fund, der 2004 verkündet wurde, hat seither eine rege Debatte darüber entfacht, an welche Stelle unseres Familienstammbaums dieser ungewöhnliche Hominini-Vertreter gehört. Eine Studie, die Anfang August in „Science“ erschien, ist das neuste Kapitel in dem, was der Studienautor Richard E. Green „das große Rätsel des Hobbits“ nennt.

Zusammen mit einer internationalen Gruppe aus Kollegen untersuchte der Biologe das genetische Material der modernen Rampasasa. Die Pygmäengruppe lebt in der Nähe der Höhle, in welcher die Fossilien von H. floresiensis entdeckt wurden. Die Forscher wollten herausfinden, ob die DNA der alten „Hobbits“ in den heutigen kleinwüchsigen Menschen der Region fortbesteht.

„Kurz gesagt lautet die Antwort: nein“, sagt Green. „Wir haben sehr genau nachgesehen und wirklich gar keine Anhaltspunkte dafür gefunden.“ Stattdessen scheint es, als hätten die Bewohner von Flores mindestens zwei Mal eine kleine Statur ausgebildet, wobei diese evolutionären Anpassungen im Abstand von zehntausenden von Jahren stattfanden.

„VERDAMMT INTERESSANT“

In den letzten Jahren haben Forscher die Geschichte von H. floresiensis langsam zusammengesetzt. Die kleinwüchsigen Hominini stammten wahrscheinlich von Homo erectus ab, der schon vor bis zu einer Millionen Jahren in dieser Region lebte. Es ist nicht ganz klar, wann genau H. floresiensis auf der Insel lebte. Anhand der Entdeckungen eines Kieferknochens und einiger Zähne in der Nähe der Höhle nimmt man aber an, dass einige Inselbewohner ihre kurze Statur bereits vor 700.000 ausgebildet hatten. Die fossilen Überreste der Art sind zwischen 100.000 und 60.000 Jahre alt, während Analysen ihrer Steinwerkzeuge darauf hindeuten, dass sie schon vor 190.000 bis 50.000 Jahren auf der Insel lebten.

Manche Forscher argumentieren jedoch, dass der „Hobbit“ keine neue Art ist, sondern Mikrosomie oder Down-Syndrom seine kurze Statur erklären könnten. In einer kontroversen Studie aus dem Jahr 2011 stellen Forscher die These auf, dass H. floresiensis unter Mikrozephalie litt, was den Kleinwuchs der Individuen erklären könnte. Green stimmt dieser Theorie nicht zu, findet aber, dass die Forscher „auf eine verdammt interessante Sache hingewiesen“ haben.

Sie entdeckten auffällige Ähnlichkeiten zwischen den Gesichtsproportionen von H. floresiensis und den heutigen Rampasasa-Pygmäen. „Das schien mir einfach ein zu großer Zufall zu sein“, sagt er.

Damals hatte Green gerade eine Arbeitsversion des Neandertaler-Genoms fertiggestellt. Im Rahmen seiner Forschungen identifizierte er genetische Spuren dieser alten Verwandten in modernen Menschen. Ihm zufolge war das damals gerade so etwas wie der Zeitgeist der Forschung: „Vielleicht mischt sich alles mit allem, wenn die Gelegenheit besteht.“ Und vielleicht traf das auch auf die Hobbits zu.

Also machten sich Green und seine Kollegen – darunter Forscher aus Europa, Australien und Indonesien – auf, um das Genom der heutigen Pygmäen zu analysieren und festzustellen, ob ihre Vorfahren auf H. floresienses zurückgehen oder sich mit dieser Art der Homo-Gattung vermischt hatten.

2 ÜBERSETZER, 32 SPEICHELPROBEN

Seit der Entdeckung der Fossilien von H. floresiensis – und womöglich auch schon zuvor – glauben die Rampasasa, dass ihre Herkunft mit der riesigen Liang-Bua-Höhle in Verbindung steht, erzählt Serena Tucci. Die Forscherin der Princeton University hat an der aktuellen Studie mitgeschrieben. Sie glauben, dass die dort gefundenen Fossilien zu einem ihrer Vorfahren gehören, und bringen oft Essen und Blumen als Opfergaben in die Höhle, wie sie erzählt.

Vor der Sammlung der Proben gab sich das Team große Mühe, seine Ziele und den Vorgang der Probeentnahme zu erklären, sagt Tucci. Dabei kamen zwei Übersetzer zum Einsatz: Einer übersetzte aus dem Englischen ins Indonesische und einer aus dem Indonesischen in die Lokalsprache Manggarai. Insgesamt waren die Rampasasa begierig darauf, an der Forschungsarbeit teilzunehmen. „Sie wollten mehr über ihre Geschichte erfahren“, sagt sie.

Die Forscher wählten dann zufällig 32 Erwachsene aus einer Gruppe Freiwilliger aus, die jeweils in ein Röhrchen spucken mussten. Von zehn dieser Freiwilligen wurden vollständige Genome erstellt. Dann verglichen sie die genetischen Daten mit der DNA von mehr als 2.500 heutigen Individuen aus 225 Populationen in Ostasien, Malaysia, Indonesien, Papua-Neuguinea und anderen Staaten.

Da es bisher noch niemandem gelungen ist, DNA aus den Fossilien von H. floresiensis zu extrahieren, konnten die Forscher die alte DNA nicht direkt mit moderner vergleichen. Stattdessen suchten sie mit einer etwas anderen Taktik nach Spuren der Hobbits. Sie fragten: „Was für Dinge finden wir, die wir nicht erklären können?“, sagt Green. „Und die Antwort ist: Nichts, das so aussieht, wie wir es vom Hobbit erwarten würden.“

Die Analysen deuten darauf hin, dass die Vorfahren der Rampasasa sich zu einer Region Ozeaniens zurückverfolgen lassen, zu der auch Papua-Neuguinea, die Salomonen und der Bismarck-Archipel gehören. Ein weiterer großer Anteil ihrer Gene scheint auf eine relativ aktuelle Migration aus Ostasien zurückzugehen.

Es gibt auch ein paar Spuren alter Vertreter der Gattung Homo, darunter Spuren von Neandertaler-Genen und etwa 0,8 Prozent von Genen des Denisova-Menschen. Aber die Forscher konnten keine Spuren von Hominini-Vertretern finden, die alt genug waren, um von einer Art wie H. floresiensis zu stammen.

„[Ich] hätte mich sehr gefreut, wenn die Antwort Ja gelautet hätte“, so Green. „Aber das tut sie einfach nicht.“

INSELLEBEN

„Wo auch immer wir hinsehen, finden wir [genetische] Vermischungen, sogar in Populationen, die wir für verschiedene Arten hielten“, sagt Amy Goldberg, eine Populationsgenetikerin an der Duke University, die an der Studie nicht beteiligt war. Die jüngste Studie ist ihr zufolge einer der ersten Fälle in der Ära der modernen Genomstudien, in denen die Forscher keine Belege für solche Kreuzungen gefunden haben.

Sie lobt die Gründlichkeit der Analyse und verweist darauf, dass sich möglicherweise trotzdem Spuren der Hobbits in den Genomen befinden könnten, sie mit aktuellen Methoden nur nicht nachweisbar sind. Ihr zufolge ist es aber auch absolut möglich, dass sich die geringe Körpergröße im Laufe der Zeit einfach zwei Mal herausgebildet hat.

„Wir glauben, dass auf Inseln viele seltsame Dinge geschehen“, erklärt Tucci. Lebewesen auf Inseln, die oft mit einem begrenzten Nahrungsangebot und einer anderen Verteilung – bis hin zur völligen Abwesenheit – von Raubtieren zurechtkommen müssen, entwickeln sich oft auffallend anders als Lebewesen auf Kontinenten. Viele werden im Laufe der Zeit kleiner – ein Phänomen, das man Inselverzwergung nennt. Genau das geschah vermutlich mit den kleinen Madagassischen Flusspferden und den Zwergelefanten, die sich die Insel einst mit H. floresiensis teilten. Andere Arten hingegen werden größer, darunter die riesigen Ratten auf Flores, die noch heute über die Insel huschen. Sie sind „so groß wie meine Katze“, sagt Tucci.

Gerrit Van den Bergh von der University of Wollongong warnt jedoch davor, voreilige Schlüsse über die Ursache des Kleinwuchses zu ziehen. Es sei ihm zufolge nicht geklärt, ob die geringe Größe der Rampasasa auf Inselverzwergung zurückzuführen sei. Die Rampasasa sind erfolgreiche Bauern, weshalb ein Nahrungsmangel – der üblicherweise als eine Voraussetzung für die Inselverzwergung angenommen wird – vermutlich keine große Rolle bei der Selektion spielt.

„Inselverzwergung ist an und für sich schon ein kleines Rätsel“, stimmt Green zu. „Das ist eines der Dinge in der Wissenschaft, von denen man denken würde, sie seien bereits entschlüsselt.“

„Für mich zeigt diese Studie, dass die Körpergröße eine komplexe Architektur hat“, sagt Sohini Ramachandran, eine Populationsgenetikerin der Brown University, die an der Studie nicht beteiligt war. Es sei noch immer nicht geklärt, warum genau sich diese kurze Statur herausgebildet hat. „Es gibt in Zukunft ein paar spannende Forschungsprojekte, bei denen diese Proben genutzt werden können, um die Genetik dieses Merkmals zu verstehen.“

Derzeit arbeitet das Team daran, den Rampasasa die Ergebnisse mitzuteilen. „Es ist ein Kernstück unserer Forschung, die Ergebnisse [zu ihnen] zurückzubringen“, sagt Tucci. Sie arbeitet aktuell mit einem indonesischen Illustrator zusammen, um eine verständliche Grafik für die Dorfbewohner zu entwerfen. Trotzdem gibt es noch viel zu tun. Die Forschungsarbeit scheint mehr Fragen über H. floresiensis aufzuwerfen als zu beantworten.

„Das große Rätsel bleibt“, sagt Green. „Was war er?“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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