Weltraumwetter aus dem Labor

Gewaltige Plasmaströme von der Sonne kollidieren mit dem irdischen Magnetfeld – nicht nur im Weltraum, sondern auch im Keller des Imperial College London.

Von Robin George Andrews
Veröffentlicht am 4. Dez. 2018, 13:53 MEZ

Im August schoss die NASA ihre Parker Solar Probe ins Weltall. Die Sonde befindet sich auf direktem Weg zur Sonne. Dort soll sie die Sonnenwinde erforschen, jene Ströme geladener Teilchen, die unser Heimatstern ins All schleudert. In 24 immer enger werdenden Umläufen um die Sonne wird die Sonde sich dem Stern schließlich bis auf etwa 6,5 Millionen Kilometer nähern – eine Entfernung, die atemberaubende Detailaufnahmen verspricht.

Derweil nutzen Forscher hier auf der Erde einen abgeschalteten Kernfusionsreaktor, um die Teilchenströme der Sonne realistischer als je zuvor zu simulieren.

One Strange Rock: Die Sonne

Der MAGPIE – Mega Ampere Generator for Plasma Implosion Experiments – ist eine zwei Stockwerke hohe Maschine, die sich im labyrinthischen Keller des Imperial College London befindet. Darin sitzt, im Herzen einer Ansammlung gigantischer Rohre, ein kleiner Schmelztiegel. Gelegentlich kommt es dort für ein Millionstel einer Sekunde zu einer Explosion. Dann entsteht ein winziger Sonnenwind, den die Wissenschaftler untersuchen können, während er mit seinem magnetischen Ziel interagiert.

Auch in anderen Laboren in anderen Teilen der Welt wird das Phänomen mit ähnlichen Maschinen untersucht, aber etwas an dem Projekt der MAGPIE-Forscher ist einzigartig: Das Team hat ein Miniaturmodell des Sonnensystems gebaut, um zu erforschen, wie der Tanz der Sonnenwinde und der planetaren Magnetfelder im Dunkel des Weltalls aussieht.

Schnappschuss des Sonnenwinds

Die Existenz der Sonnenwinde wurde 1958 erstmals vom Namenspatron der NASA-Sonde postuliert, Eugene Parker. Er erläuterte, wie Materie der enormen Anziehungskraft der Sonne entkommen könnte. In den darauffolgenden Jahren wurden die Sonnenwinde von der sowjetischen Mondsonde Luna 1 und der NASA-Mission zur Venus, Mariner 2, nachgewiesen. Dennoch ist das Phänomen nach wie vor in vielerlei Hinsicht ein Mysterium. Niemand weiß, wie genau Sonnenwinde entstehen und warum es schnelle und langsame Winde gibt.

Auch, wie Sonnenwinde mit unserer Erde interagieren, ist von Bedeutung. Wenn das Plasma auf unsere Atmosphäre trifft, können in der Nähe der magnetischen Pole wunderschöne Polarlichter entstehen. Besonders heftige Ausbrüche, die als koronale Masseauswürfe bezeichnet werden, können jedoch geomagnetische Stürme auslösen, in deren Folge elektronisches Equipment im Orbit (beispielsweise Satelliten) und auf der Erdoberfläche zerstört werden kann.

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BELIEBT

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    Satelliten, die an mehreren Punkten zwischen Erde und Sonne platziert wurden, können geladene Teilchenströme und Magnetfelder mit beeindruckender Präzision entdecken. Aber sie liefern nur Schnappschüsse der Interaktionen zwischen Sonnenwinden und dem Planeten. Daher haben wir bislang nur ein unvollständiges Bild von der Wirkungsweise dieses Weltraumwetters.

    „Wenn man nur sieht, was die Sonne tut, dann kann man nicht mehr sehen als das, was sie erzeugt“, sagt Jonathan Eastwood, ein Dozent für Weltraumphysik am Imperial College London. „Im Labor kann man aber fast jedes Ereignis erzeugen und so systematisch herausfinden, was genau passiert und welche Funktionsweisen dem zugrunde liegen.“

    Und im Gegensatz zu anderen Laboren kann MAGPIE die Sonnenwinde, die auf das Magnetfeld der Erde treffen, in zwei Ebenen darstellen. Dadurch erhält das Team „ein globales Bild des Ganzen“, so Eastwood.

    Mini-Sonnensystem

    Man sollte meinen, dass gewaltige Energiemengen nötig wären, um Prozesse nachzustellen, die in der Sonne ablaufen. Dem ist glücklicherweise nicht so.

    „Das Labor verbraucht genau so viel Energie wie nötig ist, um einen Topf Wasser zu kochen“, sagt Suttle. „Aber wir können dieses Experiment nicht mit Strom aus dem Überlandleitungsnetz betreiben, da würden wir die gesamte Nachbarschaft kurzschließen.“ Stattdessen wird die Energie in Kondensatoren gespeichert und schließlich mit unglaublichen Geschwindigkeiten in das Herzstück der Maschine befördert – und Geschwindigkeit ist hier der ausschlaggebende Faktor.

    Eine Reihe von Kabeln, die die Sonne repräsentieren, werden plötzlich von diesem Energieschub durchflutet und verglühen. Dadurch entsteht ein Äquivalent zum Plasma der Sonnenwinde, welches mit dreifacher Schallgeschwindigkeit auf ein magnetisiertes Ziel geschleudert wird, das das Magnetfeld der Erde imitiert.

    “Das Labor verbraucht genau so viel Energie wie nötig ist, um einen Topf Wasser zu kochen.”

    LEE SUTTLE, IMPERIAL COLLEGE LONDON

    Diese gewaltsamen Begegnungen werden durch ein mysteriöses Phänomen angetrieben, das man als magnetische Rekonnexion bezeichnet. Wenn die Magnetfeldlinien der Erde und der Sonne aufeinandertreffen, kommt es zu einer dramatischen Rekonfiguration. Die Magnetfeldlinien brechen auf und große Mengen aufgestauter Energie werden freigesetzt. Laut Theorien aus den Sechzigern, die ihre Gültigkeit bislang noch nicht verloren haben, spielt sich dieser Prozess im Laufe mehrerer Tage ab. Moderne Satelliten haben aber auch schon beobachtet, wie er binnen Minuten von statten geht.

    „Wir versuchen noch zu begreifen, warum wir den zeitlichen Rahmen für diese Ereignisse so grundlegend falsch eingeschätzt haben. Das ist eine der großen Fragen“, so Suttle.

    Diverse Experimente, bei denen die magnetische Rekonnexion nachgestellt wurde, lieferten bereits einige Einblicke in dieses Rätsel. Durch den Aufbau von MAGPIE können Forscher aber sowohl die erste magnetische Rekonnexion auf der Tagseite der Erde als auch den zweiten Rekonnexionspunkt auf der Nachtseite beobachten.

    Bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter

    Die Forschung soll aber nicht nur Erkenntnisse über die Erde liefern. Eastwood hofft, dass MAGPIE auch Sonnenwinde nachstellen könnte, die auf ferne Planeten und Monde unseres Sonnensystems treffen, lange bevor Weltraumsonden dort eintreffen. Was die etwas exotischeren Objekte im Universum angeht, verhilft uns der gewaltige HERCULES-Laser der University of Michigan zu neuen Erkenntnissen.

    HERCULES – offiziell der stärkste Laser der Welt – kann Metall auf so enorm hohe Temperaturen erhitzen, dass nicht nur Plasma entsteht, sondern Elektronen auch fast bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden.

    Das geht weit über Sonnenwinde hinaus, wie Louise Willingale erzählt, eine Professorin am Center for Ultrafast Optical Science der Michigan University und eine der Leiterinnen der HERCULES-Arbeiten. Bei diesen Experimenten werden eher Bedingungen erzeugt, welche den Energieströmen ähneln, die Pulsaren entkommen.

    „Wir gehen da so ein bisschen in eine etwas verrücktere Richtung, hinein ins Unbekannte“, sagt sie.

    Mit Maschinen wie MAGPIE und HERCULES, welche die Arbeit der zahlreichen Weltraumsonden ergänzen, könnten Wissenschaftler bald ein besseres Verständnis für die hochenergetischen Prozesse haben, die sich im Universum abspielen.

    „Für mich ist das alles Magie“, sagt Willingale.

     

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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