Die Menschheit überlebt nur, wenn sie den Mars kolonisiert

So zumindest sieht es der Physiker Michio Kaku. Im Interview spricht er über Reisen per Laser, Aliens und die Technik der Zukunft.

Von Simon Worrall
Veröffentlicht am 5. März 2018, 17:50 MEZ

Als Jugendlicher baute er in seiner Heimat im kalifornischen Palo Alto einen Teilchenbeschleuniger in der Garage. Später wurde er einer der Begründer der Stringtheorie. Heutzutage ist Michio Kaku mit seiner gewellten Silbermähne eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Wissenschaft, hat mehrere Bestseller geschrieben und hatte zahlreiche Auftritte in Fernsehproduktionen, unter anderem von Discovery Channel und der BBC.

In seinem neuen Buch „The Future of Humanity“ argumentiert er, dass die Zukunft der Menschheit in den Sternen liegt.

In einem Telefoninterview mit National Geographic erklärt er, wie Milliardäre wie Elon Musk Weltraumreisen verändern, warum Laserportierung die beste Reisemöglichkeit zu fernen Sternen sein könnte und warum es eines Tages vielleicht Balletttänzer auf dem Mars geben wird.

„The Future of Humanity“
Foto von Doubleday

Gleich zu Anfang schockieren Sie die Leser Ihres Buches mit einer Vorhersage: „Wir müssen die Erde verlassen, sonst werden wir untergehen.“ Sind die Zukunftsaussichten für die Menschheit wirklich so furchtbar? Und bestärkt das nicht den nihilistischen Eindruck, dass wir eh nichts mehr tun können, um den Planeten zu retten?

Wenn man sich die Evolution auf der Erde mal ansieht, dann sind schon 99 Prozent aller Lebensformen ausgestorben. Wenn sich Dinge verändern, passt man sich entweder an oder stirbt. Das ist das Gesetz von Mutter Natur. Wir sehen uns diversen Bedrohungen ausgesetzt. Zunächst haben wir hausgemachte Probleme wie den Klimawandel, die nukleare Aufrüstung und die bakteriologische Kriegsführung. Noch dazu hat Mutter Natur der Erde ein paar Aussterbezyklen in den Weg geworfen. Die Dinosaurier hatten zum Beispiel kein Weltraumprogramm. Darum gibt es heutzutage keine Dinosaurier mehr.

Andererseits sollten wir das nicht als Ausrede benutzen, um die Erde zu verschmutzen oder die globale Erwärmung Amok laufen zu lassen. Wir sollten diese Probleme lösen, ohne dass wir vorher schon zum Mars oder zu einem anderen Planeten fliegen müssen, weil es sowieso unmöglich ist, die gesamte Erdbevölkerung auf den Mars umzusiedeln. Wir sprechen hier von einer Versicherung – ein Plan B, falls der Erde etwas passiert. Ich habe mal mit Carl Sagan darüber gesprochen, der gesagt hat: „Wir leben mitten in einer Schießbude mit Tausenden von Asteroiden in unserem Weg, die wir noch nicht mal entdeckt haben. Also sollten wir als Plan B mindestens eine Zwei-Planeten-Art sein.

Eines der hübschen Bilder, die Sie heraufbeschwören, ist ein Ballett auf dem Mars. Erklären Sie uns, warum das eines Tages gar nicht mehr so unrealistisch scheinen könnte.

Wir haben die Olympischen Spiele, bei denen die Athleten die Gesetze der Schwerkraft der Erde begreifen. Aber sobald wir auf dem Mond oder dem Mars sind, unterliegen wir dort völlig anderen physischen Beschränkungen. Hier können Eiskunstläufer höchstens einen Quad hinlegen – vier Umdrehungen in der Luft, und das war‘s. Niemand hat je einen Quint geschafft. Auf dem Mars beträgt die Schwerkraft allerdings nur 30 Prozent der Erdschwerkraft. Eines Tages könnten wir also vielleicht Olympische Spiele auf dem Mars haben, bei denen Menschen vier, fünf, sechs, sieben Umdrehungen in der Luft machen könnten, oder Ballett oder Akrobatik und Gymnastik. Es könnte ein ganz neuer Schlag an Athleten entstehen, die an eine neue Umgebung angepasst sind, in der die Schwerkraft und der Luftdruck niedriger sind. Der Astronaut Alan Shepard war der erste, der auf dem Mond Golf spielte – Golf! Er hat ein paar Golfschläger an Bord geschmuggelt. Die NASA war entsetzt, aber heutzutage kann man im Smithsonian Museum eine Nachbildung der Golfschläger sehen, die er benutzt hat. Das beweist, dass der interstellare Sport durchaus möglich werden könnte.

Sie sprechen von der „vierten Welle der Wissenschaft“. Was bedeutet das und wie könnte uns das dabei helfen, den Mars zu terraformen?

Wir hatten drei Wellen der wissenschaftlichen Innovation. Die erste Welle war die industrielle Revolution. Sie brachte uns die Dampfmaschine, die Eisenbahn und Fabriken. Die zweite Welle war Elektrizität und Magnetismus, was uns Fernsehen, Verbrennungsmotoren und den Beginn des Weltraumprogramms bescherte. Die dritte Revolution ist Hightech: Computer, Laser, das Internet.

Jetzt erleben wir die vierte Welle der Innovation: künstliche Intelligenz, Biotechnologie und Nanotechnologie. Das wird die Art und Weise verändern, wie wir den Mars sehen. Viele Leute sagen, dass der Mars kalt und öde ist und dass man dort nichts anbauen kann. Wir können Pflanzen und Algen genetisch so modifizieren, dass sie in der Marsatmosphäre wachsen. Aber wer wird die ganze körperlich schwere Arbeit erledigen? Wir würden alle gern futuristische Städte auf dem Mars sehen, aber bis zum Ende des Jahrhunderts werden Roboter viel besser an die Arbeit in diesen unwirtlichen Umgebungen angepasst sein. Wir rechnen also damit, dass Roboter-Bauarbeiter die fantastischen Kuppelstädte erbauen, die wir aus Science-Fiction-Romanen kennen.

Elon Musk hat vor Kurzem seinen alten Tesla ins All geschossen. Erzählen Sie uns etwas über den „Kampf der Milliardäre“ und wie er die Zukunft verändert.

In den 1960ern war der Weltraum ziemlich teuer. Darum haben wir das Interesse daran verloren, nachdem wir zum Mond geflogen sind. Jetzt sprechen wir von einem neuen goldenen Zeitalter der Weltraumforschung, teils auch dank einer ganzen Flotte von Silicon-Valley-Milliardären, die ihre Kindheitsträume verwirklichen und ihre eigenen Raumhäfen bauen. Die Falcon-Heavy-Rakete von Space X hat Elon Musk aus seinem eigenen Taschengeld finanziert. Es war die leistungsstärkste Rakete, die wir je hatten, und der Steuerzahler hat dafür nicht einen Pfennig bezahlt.

BELIEBT

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    Apollo 14 war 1971 die dritte Mission, die auf dem Mond landete. Mit an Bord waren die Astronauten Alan Shepard (links) und Edgar Mitchell (rechts).
    Foto von STF, AFP, Getty Images

    Sowohl für Musk als auch für die NASA ist der Mars die nächste Herausforderung. Welche Probleme stehen uns dort bevor und welche Lösungen könnten wir dafür finden?

    Wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn wir unsere Astronauten zum Mars schicken wollen. Die Reise zum Mond hat nur drei Tage gedauert. Man könnte zum Mond fliegen und Freitag schon wieder zurückkommen. Die Reise zum Mars ist eine ganz andere Nummer. Man braucht schon neun Monate, nur um zum Mars zu kommen. Dann muss man ein paar Monate warten, damit die Planeten wieder günstig zueinanderstehen, und dann braucht man noch mal neun Monate für den Rückflug. Das ist also eine Reise von zwei Jahren, bei der Schwerelosigkeit, kosmische Strahlung und Mikrometeoriten ein Problem sein werden. Außerdem ist der Mars gefroren, man muss also die Oberfläche aufheizen, was man als Terraforming bezeichnet.

    Die Siedler, die vor fast 400 Jahren nach Amerika kamen, hatten dort Tiere für die Jagd, Pflanzen zum Anbauen und hochwertigen Boden, auf dem sie Ackerbau betreiben konnten. Aber zum Mars werden wir das alles selbst bringen müssen. Darum sind die Kosten so wichtig, und darum wollen wir Roboter, die Sachen bauen, genetisch modifizierte Pflanzen, die in dieser Umgebung wachsen können, und Nanotechnologie, um leichte, aber robuste Baumaterialien zu entwickeln, die vorgefertigt werden, um Kuppelstädte zu errichten.

    Die Reise zu fernen Sternen wird neue Transportarten erfordern. Erzählen Sie uns etwas über das Breakthrough Starshot Project und andere fantastische Ideen, an denen gearbeitet wird.

    Wieder einmal sind es die Silicon-Valley-Milliardäre, die ihre Scheckbücher zum Klang von 100 Millionen Dollar öffnen, um das erste Raumschiff zu bauen, das zum nächstgelegenen Stern Proxima Centauri fliegt. Hollywood hat uns weisgemacht, dass wir ein riesiges Raumschiff wie die Enterprise mit heroischen Captains wie Kirk brauchen. Aber das erste Raumschiff, das zu Proxima Centauri fliegt, könnte so groß wie eine Briefmarke sein – ein Computer, der mit Kameras und Sensoren vollgestopft ist und an einem Fallschirm hängt. Den Fallschirm bläst man auf, indem man von der Erde aus einen Laser darauf schießt, so etwa 800 Megawatt an Energie. Der würde diesen winzigen Fallschirm ungefähr auf 20-prozentige Lichtgeschwindigkeit bringen. Das ist machbar, ob Sie‘s glauben oder nicht. In nur 20 Jahren könnten einige davon den nächsten Stern erreichen, nur mit handelsüblicher Technologie. Wenn man noch weiter in die Zukunft schaut, träumen Physiker bereits von einer Raketenära jenseits chemischer Treibstoffe, wenn wir Antimaterie, Fusionsenergie oder Staustrahlreaktoren benutzen, um mit halber Lichtgeschwindigkeit zu fliegen. Damit können wir zu den Sternen fliegen.

    Ein weiteres Problem mit Reisen im tiefen Raum ist, dass manche Ziele Hunderte Lichtjahre entfernt sind. Sie schlagen vor, dass man Astronauten einfrieren und sie am Ende der Reise wieder auftauen könnte. Um den Tennisspieler John McEnroe zu zitieren: Das können Sie doch nicht ernst meinen, oder?

    Die Sterne sind ziemlich weit weg, aber wir hoffen, dass wir eines Tages fortgeschrittene Physik nutzen können, um uns schneller als das Licht fortbewegen zu können – mit einem Warpantrieb. Aber bis wir den Warpantrieb haben, müssen wir uns mit Raketen begnügen, die langsamer als das Licht sind. Um die erdähnlichen Planeten zu erreichen, die wir bisher entdeckt haben, bräuchten wir Jahrhunderte. Das bedeutet, dass wir das Geheimnis entdecken müssen, um die menschliche Lebensdauer zu verlängern, oder lernen müssen, wie wir uns einfrieren. Manche Unternehmen bieten bereits an, dass sie einen einfrieren – und wenn man aufgetaut wird, gibt es dann Heilmittel für Krebs und andere Krankheiten. Glauben Sie das nicht. Diese Unternehmen sind ein Schwindel, wenn Sie mich fragen. Allerdings ist es eine Möglichkeit, die wir in Betracht ziehen müssen.

    Wir haben ungefähr 60 Gene entdeckt, welche die Lebensdauer des Menschen zu beeinflussen scheinen, und wir wissen, dass gewisse Gene es Tieren ermöglichen, jahrhundertelang zu leben. Der Grönlandhai kann beispielsweise über 400 Jahre alt werden. Genetik ermöglicht es also, den Alterungsprozess zu verlangsamen.

    Sie ziehen als Lösung etwas vor, das Sie Laserportierung nennen. Erklären Sie uns, was das ist und wie das Human Connectome Project dafür die Grundlagen legen könnte.

    Das erste große Wissenschaftsprojekt war das Manhattan Project, das uns die Atombombe beschert hat. Das zweite war das Human Genome Project, mit dem wir das menschliche Genom entschlüsselt haben. Das dritte könnte das Connectome Project sein. Viele Länder, auch die USA, haben gesagt, dass das Gehirn der Schlüssel ist, um die geistige Gesundheit, Depression und Suizid zu verstehen. All das könnte eventuell aufgeklärt werden, wenn wir das Konnektom verstehen, eine Karte des gesamten Gehirns.

    Wir vermuten, dass wir diese Karte vielleicht am Ende des Jahrhunderts haben werden. Aber wenn wir sie dann haben, was machen wir damit? Wir könnten uns mit psychischen Erkrankungen beschäftigen, aber wir könnten sie auch auf einem Laserstrahl durch den Weltraum schießen. In einer Sekunde könnte man auf dem Mond sein, in 20 Minuten auf dem Mars, und in einigen Jahren auf dem nächstgelegenen Stern. Laserportierung ist vielleicht der effizienteste Weg, um die Galaxie ohne Raketenantrieb, Gefahr durch Strahlung oder Asteroideneinschläge zu durchqueren. Man laserportiert sich einfach!

    Schließen wir mit der Millionenfrage: Werden wir eines Tages Kontakt mit einer anderen Zivilisation im Weltraum herstellen? Und falls ja, wann? Stimmen Sie Stephen Hawking zu, der vor so einem Kontakt gewarnt hat?

    Ich glaube definitiv, dass wir uns diese Warnung zu Herzen nehmen sollten, weil wir eines Tages andere planetenbewohnende Lebensformen treffen werden. Sie werden uns vermutlich um Jahrtausende voraus sein. Sie werden unsere Ressourcen nicht plündern wollen, da es keinen Mangel an unbewohnten Welten wie dem Mars gibt, die sie plündern können, ohne sich mit widerspenstigen Einheimischen wie uns auseinandersetzen zu müssen. Die größte Bedrohung könnte sein, dass wir einfach im Weg sind. In dem Roman „Krieg der Welten“ wollten die Marsianer die Erde nicht übernehmen, weil sie böse waren und den Homo sapiens nicht mochten. Sie mussten uns beseitigen, damit die Marsianer selbst auf der Erde leben und sie so terraformen konnten, dass sie wie der Mars aussah.

    Wir haben bisher 4.000 Planeten in der Galaxie entdeckt, und wir wissen, dass im Schnitt jeder Stern in der Galaxie einen Planeten hat. Daher glaube ich, dass es unausweichlich ist, dass wir auf eine dieser fortschrittlichen Zivilisationen treffen werden, und das wird die Geschichte unserer Welt verändern. Nicht wie damals, als Cortez Moctezuma traf und die aztekische Zivilisation in ein paar Monaten zerschlug. Die Konquistadoren hatten eine geheime Agenda. Sie wollten das Gold der Azteken plündern. Ich denke nicht, dass Aliens das auch wollen werden. Und ich hoffe, dass es einen Mentor geben wird, der uns den Weg in eine Zukunft zeigen wird, in der wir nicht in Krieg und Barbarei verfallen werden.

    Dieses Interview wurde zugunsten von Länge und Deutlichkeit redigiert.

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