5-Sekunden-Regel: „Kann man das noch essen?“

Trotz eigentlich eindeutiger Forschungsergebnisse scheiden sich auch in der Wissenschaft die Geister daran, ob man runtergefallenes Essen noch verzehren sollte.

Von Sarah Whitman-Salkin
Veröffentlicht am 3. Mai 2019, 18:00 MESZ
five second rule
Ist diese Scheibe Toast mit Lyoner mit Bakterien kontaminiert?
Foto von Becky Hale, National Geographic

Wer kennt es nicht? Gerade will man sich genüsslich seinen Snack in den Mund schieben, da schlägt einem die Schwerkraft ein Schnippchen und er landet auf dem Boden. Man beugt sich runter, hebt ihn auf, pustet mal kurz drauf – und hofft einfach, dass mit dem Staub auch sämtliche Keine verschwunden sind. Und schon landet der Snack doch noch im Mund, denn die gute alte 5-Sekunden-Regel besagt, dass Essen noch gut ist, wenn es nicht länger als fünf Sekunden auf dem Boden gelegen hat.

Aber sollte man den heruntergefallenen Leckerbissen wirklich noch essen? Ist ein Kartoffelchip oder ein Stück Toast, das man vom Boden gerettet hat, noch unbedenklich?

Die Antwort der Wissenschaft: vielleicht.

Forscher der Aston University im englischen Birmingham sind der Meinung, dass die 5-Sekunden-Regel stimmt. Aber eine Studie der Clemson University in South Carolina aus dem Jahr 2007 besagt, dass es kein Sicherheitszeitfenster für Essen gibt, das auf den Boden gefallen ist. Diese Wissenschaftler plädieren für eine 0-Sekunden-Regel.

Das Seltsame daran ist eher, dass beide Studien fast identische Methoden benutzten und schlussendlich fast dasselbe Ergebnis erhielten – daraus aber völlig unterschiedliche Schlussfolgerungen zogen. Was stimmt denn nun?

Bakterientransfer

Wenn Essen auf den Boden fällt, bleiben alle Bakterien daran haften, die sich so auf dem Boden tummeln. Wenn man das heruntergefallene Lebensmittel dann trotzdem noch isst, isst man auch diese Bakterien mit. Beide Studien wollten herausfinden, wie lange es dauert, bis die Bakterien auf dem Boden am Essen hängen bleiben.

Dafür wurden Test mit drei verschiedenen Bodenbelägen durchgeführt: Fliesen, Laminat oder Parkett und schließlich Teppichboden. Die Aston-Studie testete dabei die Bakterien Escherichia coli und Staphylococcus aureus, während es die Clemson-Studie mit Salmonella typhimurium versuchte. Bei der Clemson-Studie erfolgten die Versuche nur mit Brot und Lyoner Wurst, während bei der Aston-Studie verschiedene Lebensmittel mit unterschiedlichem Feuchtigkeitsgehalt zum Einsatz kamen (beispielsweise ein trockenes Stück Toast und ein klebriges Bonbon).

Die Studien stimmen in mehreren Punkten überein. Wenn Nahrungsmittel in Kontakt mit einer kontaminierten Oberfläche kommen, erfolgt der Transfer der Bakterien auf das Essen umgehend. Auf Hartböden werden dabei deutlich mehr Bakterien übertragen als auf Teppich. Wenig überraschend ist das Ergebnis der Aston-Studie, dass feuchte Nahrungsmittel (gekochte Nudeln oder klebrige Bonbons) eher Bakterien aufnahmen als trocknere Nahrungsmittel (Kekse oder Toaststücke).

Gilt die 5-Sekunden-Regel?

„Es scheint, als hätte Professor [Anthony] Hilton [der die Aston-Studie geleitet hat] unsere Ergebnisse bekräftigt“, sagt Paul Dawson. Der Professor für Lebensmittel-, Ernährungs- und Verpackungswissenschaften der Clemson University ist der leitende Wissenschaftler hinter der Studie aus dem Jahr 2007.

Hilton von der Aston-University sieht das nicht so: „Unsere Ergebnisse untermauern die von Professor Dawson insoweit, als dass Bakterien bei Kontakt sofort übertragen werden.“ Allerdings fügt er an, dass die Effektivität der Übertragung enorm gering sei. „Deshalb die 5-Sekunden-Regel.“

Die beiden Professoren sind sich also beim Grad der Kontamination uneins.

Hiltons Ansicht nach ist „der anfängliche Transfer [von Bakterien auf das Essen] unzureichend [um das Essen zu kontaminieren]. In unserer Studie wurde nur ein Millionstel der auf dem Boden vorhandenen Bakterien auf die trockenen Lebensmittel übertragen und etwa 20 Mal mehr auf die feuchten. Es gibt aber Belege dafür, dass auf diesen Bodentypen weniger Bakterien auf feuchte Nahrungsmittel übertragen werden, wenn sie schnell aufgehoben werden.“

Dawson widerspricht. „Völlig unabhängig von der Kontaktdauer und der Oberfläche wurden genügend Bakterien übertragen, um bei Messungen aufzufallen und jemanden krank zu machen.“

Würden die Wissenschaftler das noch essen?

Da überrascht es nicht, dass sich die beiden Professoren auch hinsichtlich der 5-Sekunden-Regel unterschiedlich verhalten.

Gummiente & Co: Ein Paradies für Bakterien
Eine Studie lässt darauf schließen, dass sich Bakterien an mehr Oberflächen als gedacht befinden – sogar in Gummienten.

„Ich vergleiche das Aufheben und Essen von runtergefallenen Nahrungsmitteln damit, sich beim Autofahren nicht anzuschnallen“, sagt Dawson. „Man kann sein ganzes Leben lang ohne Gurt fahren, dabei nie in einen Unfall verwickelt werden und sich nie verletzen. Man kann auch sein Leben lang Lebensmittel essen, die runtergefallen sind, ohne krank zu werden. Im ersten Fall wird man sich aber wahrscheinlich verletzen, wenn man in einen schlimmen Unfall verwickelt wird. Und im zweiten Fall wird man vermutlich krank, wenn das heruntergefallene Essen mit einer Oberfläche in Berührung kam, die eine hohe Konzentration von Krankheitserregern aufweist.“

„Ich bleibe bei der 0-Sekunden-Regel“, sagt er. „Wenn mir Essen runterfällt, sehe ich keine Notwendigkeit, es danach noch zu essen, auch wenn die Chancen gut stehen, dass es vollkommen unbedenklich ist.“

Hilton sieht das ganz anders: „Ich habe drei Jungs, die alle damit groß geworden sind, ihren runtergefallenen Toast vom Boden aufzuheben und zu essen“, sagt er. „In meinem eigenen Zuhause, von dem ich weiß, dass es hygienisch sauber ist, ist das Risiko äußerst gering, dass sie sich da etwas Unschönes einfangen.“ Allerdings gibt er zu: „Wenn man Essen auf der Straße fallen lässt, ist das was völlig anderes.“

 

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

 

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