Paradox: Pestizide können für mehr Mücken sorgen

Die lästigen Blutsauger entwickeln Resistenzen gegen die Wirkstoffe, während ihre Fressfeinde sterben.

Von Jake Buehler
Veröffentlicht am 3. Juni 2019, 13:06 MESZ
Eine Asiatische Tigermücke saugt am Arm eines Mannes. 
Eine Asiatische Tigermücke saugt am Arm eines Mannes. 
Foto von Brian Gordan Green, Nat Geo Image Collection

Insektizide sollen eigentlich lästige und schädliche Insekten von uns oder unseren Nutzpflanzen fernhalten. Aber in mindestens einem Bereich versagen sie nicht nur dabei, die Mückenpopulation in Schach zu halten, sondern sorgen sogar dafür, dass sich die Blutsauger ungestört vermehren können – weil ihnen die Fressfeinde fehlen.

Eine Studie, die im Fachmagazin „Oecologia“ erschien, beleuchtete die potenziellen Auswirkungen von Insektiziden auf Ökosysteme. In dem untersuchten Bereich in Costa Rica haben Stechmücken eine Resistenz gegen chemische Wirkstoffe entwickelt, die sowohl sie als auch anderes Ungeziefer bekämpfen sollten. Die Fressfeinde der Stechmücken hinken dieser Evolution hinterher, was einen regelrechten Boom der Mückenpopulation ermöglicht hat.

Dem Ökologen und Hauptautor der Studie Edd Hammill von der Utah State University kam der Verdacht, dass die Insektizide nicht wie beabsichtigt wirkten, erstmals während seiner Forschungen in Orangenplantagen im Norden Costa Ricas.

Mücken verhalten sich unauffällig, um an Blut zu kommen

„Wir hatten den Eindruck, dass wir uns in den Plantagen viel mehr Mückenstiche einfingen als in unberührter Natur, und fragten uns, warum das so war“, sagt Hammill.

Er und sein Team machten sich daran, die Quelle der Mücken ausfindig zu machen, und wurden in Bromeliengewächsen fündig.

Diese Vertreter dieser Pflanzenfamilie sind in den warmen Gebieten Amerikas heimisch und hierzulande eher als Zierpflanzen bekannt. In ihren Blattkelchen staut sich das Wasser und bildet ein ideales Kinderzimmer für Insektenlarven. Dort brütete auch die Mückenart Wyeomyia abebela.

Das Team verglich daraufhin die Bromelien in den Plantagen – von denen einige seit mehr als 20 Jahren mit Insektiziden behandelt werden – und in unbehandelten Wäldern. Die Plantagenbesitzer in Costa Rica behandeln ihre Bäume mit Dimethoat gegen Blattläuse; der Wirkstoff tötet jedoch auch viele andere Insektenarten. In den USA wird er großflächig zur Behandlung von Zitronenbäumen, Mais und anderen Pflanzen eingesetzt. Auch in vielen EU-Staaten ist der Wirkstoff zugelassen, allerdings gibt es bereits Bestrebungen, ihn aufgrund von Gesundheitsbedenken EU-weit verbieten zu lassen.

Hammills Team fand heraus, dass die Mückenpopulationen in den Orangenhainen trotz es Insektizideinsatzes etwa doppelt so groß waren wie in den unberührten Wäldern. Libellenlarven, die zu den wichtigsten Fressfeinden der Mückenlarven zählen, waren auf den Plantagen hingegen kaum zu finden.

Als die Forscher einige Insekten ins Labor mitnahmen und sie unterschiedlichen Konzentrationen von Dimethoat aussetzten, entdeckten sie, dass die Mücken aus den Plantagen eine zehnmal höhere Konzentration vertrugen als die Mücken aus den Wäldern. Die Libellen hingegen zeigten keine solche Resistenz.

Weltweiter Trend

Für den Insektenökologen Don Yee von der University of Southern Mississippi, der an der Studie nicht beteiligt war, passen die Ergebnisse zu einem größeren Bild, das sich global abzeichnet: Es wird zunehmend schwieriger, die Mückenpopulationen in Schach zu halten. Schon jetzt sind viele Populationen weltweit gegen große Gruppen von Wirkstoffen resistent. Besonders bedenklich ist das in Gebieten, in denen Stechmücken gefährliche Krankheiten übertragen können.

Aber die Entwicklung von Resistenzen sei nur eine schädliche Folge von Insektiziden, so Yee. Ein anderes Phänomen ist die sogenannte Konkurrenz-Entlastung, durch die die wenigen Überlebenden einer Insektizidbehandlung binnen einer Generation die ursprüngliche Populationsgröße wiederherstellen können.

Galerie: Insekteneier: Das Ei-Bett

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    „Da man die Dichte der [Mücken-]Larven verringert hat, können die [verbleibenden] Larven größer werden, weil pro Tier nun mehr Ressourcen zur Verfügung stehen“, erklärt Yee. Größere Larven produzieren letztendlich auch mehr Eier, aus denen die nächste Generation schlüpft.

    Das von Hammill neu entdeckte Phänomen, bei dem resistente Mücken durch Insektizide von ihren Fressfeinden befreit werden, könnte die Bekämpfung krankheitsübertragender Stechmücken zusätzlich erschweren. Hammill zufolge ist noch nicht geklärt, ob Mücken der Gattung Wyeomyia Krankheiten wie das Dengue-Fieber übertragen können. Der potenziell tödliche Krankheitserreger hat sich in jüngerer Zeit verstärkt in Lateinamerika ausgebreitet.

    Yee verweist zudem darauf, dass auch andere medizinisch relevante Mücken Fressfeinde wie Libellen haben. Ob Pestizide auch ihnen auf paradoxe Weise einen Vorteil verschaffen können, wird sich womöglich erst durch künftige Studien zeigen.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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