Voyager-Sonden: Interstellarer Raum noch seltsamer als gedacht
Zum zweiten Mal verließ 2018 eine Raumsonde jenen Bereich, der uns vom Rest der Galaxie trennt – und erlebte Erstaunliches.
In der Schwärze des Weltalls, Milliarden Kilometer von zu Hause entfernt, hat die NASA-Sonde Voyager 2 einen Meilenstein der Weltraumforschung passiert: Im November 2018 wurde sie zum zweiten Raumfahrzeug der Geschichte, das den interstellaren Raum erreicht hat. Anlässlich des Jahrestags dieser Leistung haben Wissenschaftler offenbart, was genau Voyager 2 gesehen hat, als sie die galaktische Schwelle überquerte. Die Ergebnisse vermitteln uns einen neuen Einblick in einige der größten Mysterien unseres Sonnensystems.
In insgesamt fünf Studien, die in „Nature Astronomy“ erschienen, legen die Forscher dar, wie die Raumsonde zum ersten Mal Proben der elektrisch geladenen Plasmen sammelte, die sowohl den interstellaren Raum als auch die Randbereiche des Sonnensystems ausfüllen. Die Analyse ist eine weitere Premiere für Voyager 2, die im Jahr 1977 gestartet wurde und als erste und bisher einzige Sonde an den Eisriesen Uranus und Neptun vorbeiflog.
Voyager 2 folgte ihrer Schwestersonde Voyager 1 in den interstellaren Raum. Letztere erreichte diesen schon 2012. Die Daten der zwei Raumsonden weisen zahlreiche Übereinstimmungen auf, beispielsweise die Dichte der Partikel, die sie im interstellaren Raum gemessen haben. Spannenderweise entdeckten die beiden Sonden auf ihrem Weg aus dem Sonnensystem aber auch ein paar deutliche Unterschiede, die neue Fragen über die Bewegung unserer Sonne durch die Galaxie aufwerfen.
„Es war wirklich eine wundervolle Reise“, sagte der Voyager-Projektwissenschaftler Ed Stone – ein Physiker am Caltech – bei einem Pressebriefing.
„Es ist einfach aufregend, dass die Menschheit jetzt interstellar ist“, findet auch der Physiker Jamie Rankin. Der Forscher an der Princeton University war an den aktuellen Studien nicht beteiligt. „Wir sind schon seit der Grenzüberschreitung von Voyager 1 interstellare Reisende. Aber die Überquerung von Voyager 2 ist jetzt sogar noch aufregender, weil wir nun zwei sehr verschiedene Orte im interstellaren Medium miteinander vergleichen können.“
Im Inneren der Heliosphäre
Damit die jüngsten Daten von Voyager 2 Sinn ergeben, muss man sich ins Gedächtnis rufen, dass die Sonne kein unbewegter Stern ist, der still und leise vor sich hin brennt. Das Zentrum unseres Sonnensystems ist ein nuklearer Brennofen, der mit etwa 725.000 Kilometern pro Stunde durch die Galaxie rast.
Rund um die Sonne erstrecken sich unsichtbare und dynamische Magnetfeldlinien. Entlang dieser Linien entweichen konstant elektrisch geladene Partikel aus dem äußeren Bereich der Sonne. Diese Plasmaströme werden als Sonnenwinde bezeichnet. Sie bereiten sich im gesamten Sonnensystem aus und erreichen früher oder später das interstellare Medium – jene Strahlung, Magnetfelder und Partikel, die beim Urknall und den ersten Sternenexplosionen hinfort geschleudert wurden und im Raum zwischen den heutigen Sternen noch vorhanden sind.
Genau wie Öl und Wasser vermischen sich die Sonnenwinde und das interstellare Medium nicht einwandfrei. Stattdessen formen die Sonnenwinde in dem Medium eine Blase, die wir als Heliosphäre bezeichnen. Basierend auf den Daten der Voyager-Sonden erstreckt sich diese Blase von der Sonne aus etwa 18 Milliarden Kilometer weit. Damit befinden sich sowohl die Sonne wie auch alle acht Planeten und viele der äußeren Objekte unseres Sonnensystems innerhalb ihrer Grenzen. Einer der Vorteile der Heliosphäre besteht darin, dass sie alles in ihrem Inneren – beispielsweise unserer empfindliche DNA – vor einem Großteil der kosmischen Strahlung schützt.
Am äußersten Rand der Heliosphäre, den man als Heliopause bezeichnet, beginnt der interstellare Raum. Ein besseres Verständnis für diesen Grenzbereich bedeutet auch, dass wir den Weg der Sonne durch die Galaxie besser verstehen können – und damit die Situation anderer Sterne im Kosmos.
„Wir versuchen, die Natur dieser Schwelle zu begreifen, an der sich diese beiden Winde treffen und vermischen“, sagte Stone während des Briefings. „Wie genau vermischen sie sich, wie viel schwappt aus dem Inneren der Blase hinaus und von außen herein?“
Einen ersten genaueren Blick konnten die Wissenschaftler am 25. August 2012 auf die Heliopause werfen. Damals trat Voyager 1 gerade in den interstellaren Raum ein. Was sie sahen, sorgte für einige Verwirrung. Beispielsweise wissen die Forscher nun, dass das interstellare Magnetfeld etwa doppelt bis dreimal stärker ist als erwartet. Das wiederum bedeutet, dass die interstellaren Partikel bis zu zehnmal mehr Druck auf unsere Heliosphäre ausüben als zuvor vermutet.
„Das ist unsere erste Möglichkeit, das interstellare Medium tatsächlich zu erleben. Für uns ist das also im wahrsten Sinne des Wortes ein Wegbereiter“, sagt der Heliophysiker Patrick Koehn, ein Programmwissenschaftler am Hauptquartier der NASA.
Schwammiger Grenzbereich
So sehr Voyager 1 auch mit den Erwartungen gebrochen hat, so unvollständig waren ihre Offenbarungen. Schon in den Achtzigern erlitt das Instrument der Sonde, welches die Temperatur von Plasma messen sollte, eine Fehlfunktion und ist seither defekt. Dasselbe Instrument an Bord von Voyager 2 funktioniert allerdings noch. Als die Sonde am 5. November 2018 die Heliopause überquerte, erhielten die Wissenschaftler einen deutlichen detaillierteren Blick auf diesen Grenzbereich.
Zum ersten Mal konnten sie sehen, was geschieht, wenn ein Objekt sich der Heliopause auf 225 Millionen Kilometern nähert: Das Plasma rund um das Objekt verlangsamt sich, heizt sich auf und wird dichter. Auf der anderen Seite der Grenze ist das interstellare Medium fast 30.000 Grad heiß und damit deutlich heißer als erwartet. Allerdings ist dieses Plasma so dünn und diffus, dass die Durchschnittstemperatur rund um Voyager trotzdem beachtlich gering ist.
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Darüber hinaus konnte Voyager 2 bestätigen, dass Plasma von beiden Seiten der Heliopause in die jeweils andere Seite übertritt. Bevor Voyager 1 die Heliopause durchquerte, flog sie durch Ausläufer interstellarer Partikel, die sich ihren Weg in die Heliopause gebahnt hatten wie Baumwurzeln, die durch Gestein hindurchwachsen. Voyager zwei hingegen beobachtete eher ein Rinnsal niederenergetischer Teilchen, das sich mehr als 160 Millionen Kilometer jenseits der Heliopause erstreckte.
Ein weiteres Mysterium tat sich auf, als Voyager 1 sich der Heliopause auf etwa 1,3 Milliarden Kilometer genähert hatte. Dort trat die Sonde in einen vergleichsweise statischen Bereich ein, in dem sich der Sonnenwind enorm verlangsamte. Voyager 2 beobachtete vor ihrer Durchquerung der Heliopause einen völlig anderen Bereich, der aber ungefähr genauso mächtig war wie der vergleichsweise statische Bereich, den Voyager 1 durchquert hatte.
„Das ist ziemlich, ziemlich seltsam“, sagte Koehn. „Das zeigt uns wirklich, dass wir mehr Daten brauchen.“
Interstellare Folgemission?
Um dieses Rätsel zu lösen, benötigen die Wissenschaftler ein besseres Gesamtbild der Heliosphäre. Ihre Form ist aufgrund von fehlenden Daten weiterhin unbekannt. Womöglich ist sie durch den Druck des interstellaren Mediums ungefähr sphärisch. Genauso gut ist es aber möglich, dass sie einen Schweif besitzt wie ein Komet oder eher wie ein Croissant geformt ist.
Derzeit sind zwar bereits andere Raumsonden auf dem Weg aus dem Sonnensystem hinaus, allerdings werden sie keine Daten von der Heliopause senden können. Die NASA-Sonde New Horizons bewegt sich mit mehr als 50.000 km/h durch das Sonnensystem. Wenn ihr in den 2030ern die Energie ausgehen wird, versiegt auch der Datenstrom der Sonde zur Erde – mehr als 1,6 Milliarden Kilometer vom äußeren Rand der Heliosphäre entfernt. Darum möchten Wissenschaftler eine weitere interstellare Sonde auf den Weg bringen. Das Ziel: Eine 50 Jahre dauernde und mehrere Generationen überspannende Mission, welche die äußeren Regionen des Sonnensystems erforscht und in unbekannte Bereiche jenseits des Sonnenwinds vorstößt.
„Wir haben hier eine ganze Blase, die wir bisher nur an zwei Punkten durchschritten haben“, sagte der Co-Autor der Studien, Stamatios Krimigis beim Briefing. Krimigis ist der emeritierte Leiter des Weltrauminstituts für angewandte Physik an der Johns Hopkins University. „Zwei Beispiele reichen nicht.“
Eine neue Generation von Forschern ist erpicht darauf, die Aufgabe von ihren Vorgängern fortzuführen. Unter ihnen befindet sich auch Rankin, die ihre Doktorarbeit am Caltech über die interstellaren Daten von Voyager 1 geschrieben hat – mit Stone als Doktorvater.
„Es war einfach unglaublich, mit diesen topaktuellen Daten von Raumsonden zu arbeiten, die vor meiner Geburt starteten und noch immer große Beiträge zur Wissenschaft leisten“, sagt sie. „Ich bin sehr dankbar für all die Menschen, die Voyager so viel Zeit gewidmet haben.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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