Klimawandel beeinflusst das Wetter seit 2012 jeden Tag
2012 geborene Kinder haben bisher keinen einzigen Tag ohne den Einfluss des Klimawandels erlebt.
Ein Sturm mit sintflutartigen Regenfällen im Juni. Ein ungewöhnlich warmer Tag im Januar. Ein plötzlicher Kälteeinbruch im April. Der Wind, die Sonne, die Luftfeuchtigkeit und all die anderen Dinge, die wir erleben, wenn wir aus der Haustür treten: Das ist Wetter.
Klima hingegen ist das, was herauskommt, wenn man das tagtägliche Wetter in seiner Gesamtheit betrachtet, Woche um Woche um Monat um Jahr. Das Klima ist ein komplexes Gewebe aus den einzelnen Fäden des täglichen globalen Wetters.
Seit Jahren betonen Wissenschaftler immer wieder, dass das Wetter kaum etwas über das Klima aussagt. Die 21 °C im Januar? Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, die dafür verantwortlich sein könnten. Der Klimawandel könnte dabei eine Rolle spielen, aber unsere statistischen Modelle waren nicht exakt genug, um die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels auf das Wetter zu bestimmen.
Damit ist nun Schluss. Der Klimawandel hat seine metaphorischen Krallen so tief in den Planeten geschlagen, dass seine Spuren im Wetter jedes einzelnen Tages seit 2012 zu sehen sind. Ein sechs Jahre altes Kind hat somit noch nicht einen einzigen Tag ohne den Einfluss des Klimawandels erlebt.
Ein Klimawissenschaftler „könnte an Bord der ISS sitzen, auf die Erde hinabsehen und dort an jedem beliebigen Tag die Spuren des Klimawandels entdecken“, indem er einfach nur das globale Wettermuster beobachtet, sagt Reto Knutti vom Institut für Atmosphären- und Klimawissenschaften der ETH Zürich. Er ist der Autor der entsprechenden Studie, die im Januar in „Nature Climate Change“ erschien. „Wir sind mittlerweile so weit in die unbekannten Gefilde des Klimawandels vorgedrungen, dass wir ihn nun deutlich sehen können.“
Seit den späten 1970ern sind die Wissenschaftler immer besser darin geworden, die Signale des menschengemachten Klimawandels aus dem Datenwust der planetaren Observationen herauszufiltern. Gleichzeitig haben sie Techniken entwickelt, um herauszufinden, welcher Anteil dieses Signals auf Veränderungen zurückzuführen ist, die durch den menschlichen Ausstoß von Treibhausgasen in die Erdatmosphäre verursacht wurden.
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Was genau ist dieses „Signal“, das die Forscher suchen? Tatsächlich handelt es sich um eine Diskrepanz zwischen zwei Dingen: der tatsächlichen Entwicklung von Temperatur und Feuchtigkeit im Laufe der Jahre und der Entwicklung, die laut Klimamodellen stattfinden müsste, wenn es keine menschengemachte Erderwärmung gäbe. Je mehr diese beiden Entwicklungen voneinander abweichen, desto stärker ist das Signal.
In manchen Daten sind die Spuren des Klimawandels relativ einfach zu finden, beispielsweise in der Durchschnittstemperatur der Luft und des Meeres. In den letzten Jahrzehnten stiegen beide mehr oder weniger kontinuierlich an. Im Laufe des letzten Jahrzehnts war die Erdatmosphäre im Schnitt 0,7 °C wärmer als noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Das ist also grob die Hälfte des einen Grads, um das sich der Planet seit dem Beginn der industriellen Revolution erwärmt hat.
Da das Wetter aber eine große inhärente Variabilität aufweist, haben Wissenschaftler bislang gezögert, ein Signal der globalen Erwärmung in lokalem oder alltäglichem Wetter zu identifizieren.
„Das ist eine Frage von Signal und Störsignal“, erklärt Beena Balan Sarojini, eine Klimawissenschaftlerin vom Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage. „Der Klimawandel ist das Signal. Wetter und Dinge wie El Niño sind die Störsignale. Bisher konnten wir das Klimasignal in langfristigen Wetteraufzeichnungen finden, beispielsweise in der Temperatur, der Feuchtigkeit und der Ausdehnung des arktischen Meereises. Aber wenn man die großen, regionalen Veränderungen erst mal entdeckt hat, ist es nützlich, über lokale Bereiche und tagtägliche Veränderungen zu sprechen.“
Das Team aus Wissenschaftlern unter der Leitung von Sebastian Sippel, einem Forscher am Institut für Atmosphären- und Klimawissenschaften an der ETH Zürich, fand ein Muster, das sich in dem Chaos der weltweiten täglichen Wetteraufzeichnungen versteckte. An jedem beliebigen Tag seit 2012 zeigte sich in dem täglichen Wetter der glasklare Fingerabdruck des menschengemachten Klimawandels.
„Was heute normal ist, galt früher als außergewöhnlich“, sagt Balan Sarojini. „Der Extremwetterereignisse von gestern werden die neue Norm der Zukunft.“
Deutliche Signale der Erderwärmung
Noch vor zehn Jahren war das Signal zu schwach und zu ungenau, um es deutlich zu erkennen. Aber in der letzten Dekade hat es einen richtigen Sprung gemacht, sagt Frederike Otto, die Direktorin des Environmental Change Institut in Oxford.
„Das letzte Jahrzehnt war wärmer als jedes andere. Das Signal ist mittlerweile so stark, dass wir diese Muster auch ohne übermäßig komplizierte Analysen erkennen können“, sagt sie. „Es hat sich in einem ziemlich kurzen Zeitraum offenbart und stark verändert.“
Auf gewisse Weise haben Klimawissenschaftler 40 Jahre lang auf diese Ergebnisse hingearbeitet. Schon 1979 mutmaßte eine bahnbrechende Studie, dass Forscher das menschengemachte Signal in dem chaotischen Berg aus Wetterdaten irgendwann identifizieren könnten, wenn sie genügend Daten über einen ausreichend großen Zeitraum sammeln würden.
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Im selben Jahr veröffentlichte der National Research Council ein Arbeitspapier mit dem Titel „Kohlenstoffdioxid und Klima: Eine wissenschaftliche Einschätzung“. Es war eine der ersten Schätzungen darüber, wie stark die Erdatmosphäre auf das Einbringen großer Mengen zusätzlichen Kohlendioxids reagieren würde. 1979 war außerdem das Jahr, in dem die NOAA und die NASA eine Reihe von Wettersatelliten in den Erdorbit brachten. Seither zeichnen sie ununterbrochen Wetterdaten von den Landmassen und Meeren des Planeten auf und erzeugten über die Jahre einen durchgehenden Datensatz von unschätzbarem Wert.
„Aufgrund der globalen Erwärmung hat sich unser gesamtes Klima beträchtlich verschoben“, sagt Peter Scott, ein Klimawissenschaftler des britischen Met Office. „Die globalen Durchschnittstemperaturen haben sich selbst auf der Tagesebene deutlich verändert. Das ist etwas, von dem wir glaubten, dass wir es früher oder später erleben würden. Wie sich herausstellt, ist es bereits so weit.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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