Wer sind die Iren? DNA-Atlas zeigt die Genetik des Landes

Von modernen Gesundheitsrisiken bis zu Wikinger-Vorfahren offenbart das Projekt ein paar genetische Überraschungen.

Von Michelle Z. Donahue
Veröffentlicht am 9. Nov. 2020, 14:02 MEZ

Ein „DNA-Atlas“ von Irland offenbart, wie historische Königreiche die Bevölkerung auf der Insel über Jahrhunderte beeinflusst haben. Und er liefert den ersten genetischen Beweis dafür, dass sich auch die Wikinger mit alten irischen Völkern vermischt haben.

Ein Team unter der Leitung von Gianpiero Cavalleri vom Royal College of Surgeons in Dublin setzte den Atlas mit Hilfe genetischer Informationen von 536 irischen Individuen zusammen. Die Arbeit, die in „Scientific Reports“ veröffentlicht wurde, baute auf dem Projekt People of the British Isles auf, das sich zuvor mit der Genetik im ländlichen England, Schottland und Wales befasst hatte. Die Überlegung war, dass durch die Zusammenstellung einer eigenen, detaillierten genetischen Karte Irlands regionale Unterschiede offenbart würden.

Irlands genetische Eigenheiten

Ein bedeutendes Ergebnis war die Verteilung der Menschen, die eine Veranlagung für komplexe genetische Erkrankungen haben. Sowohl im Vereinigten Königreich als auch in Irland nimmt beispielsweise die Verbreitung Multipler Sklerose zu, je weiter man nach Norden kommt. Und im Vergleich zum übrigen Europa haben die Iren höhere Raten von Mukoviszidose, Zöliakie und Galaktosämie, einer schweren Stoffwechselstörung, die den Abbau von Zucker in Milchprodukten, Hülsenfrüchten und tierischen Innereien verhindert.

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Wissenschaftlerinnen suchen nach Variationen entlang zusammenhängender DNA-Abschnitte. Längere Abschnitte, die in ähnlicher Form bei mehreren Gruppen auftreten, bedeuten, dass diese Gene erst vor kurzem in das Genom gelangt sind. Je kürzer die Abschnitte sind, desto älter sind sie. Miguel Vilar von National Geographic ist der leitende Wissenschaftler des Genographic Project. Er vergleicht diese Genabschnitte mit Kuchenteig, der aus Kakaopulver, Öl und Eiern hergestellt wird. Wenn man die Zutaten nur einmal umrührt, was einer Generation entspricht, kann man die verschiedenen Schichten nach wie vor gut erkennen. Aber rührt man die Masse 50 Mal um, ist sie so stark vermischt, dass man viel genauer hinsehen muss, um die Unterschiede herauszuarbeiten.

Regionale Unterschiede – und Wikinger

Die Forschenden rechneten mit Unterschieden von Süd nach Nord und von Ost nach West, ähnlich wie bei den Abstammungslinien in Europa und im Vereinigten Königreich. Aber in Irland bündelten sich die genetischen Signaturen sehr stark innerhalb der Grenzen der vier alten Königreichen Connacht, Leinster, Munster und Ulster. Die genetische Signatur von Ulster unterscheidet sich von denen im restlichen Irland. Das ist wahrscheinlich eine Folge der Ulster Plantation im 16. Jahrhundert – damals wurden irische Katholiken von der englischen Monarchie aus der Region verdrängt, in der sich stattdessen Engländer und Schotten ansiedelten – und den Reisebewegungen zwischen Schottland und Nordirland.

Außerdem fanden die Forscher auch genetische Signaturen von Wikingern in ganz Irland.

Es gab bereits zahlreiche Hinweise darauf, dass Wikinger in Irland waren, darunter Ruinen, Artefakte und norwegische Familiennamen. Aber der Atlas lieferte den allerersten DNA-Beweis für die Vermischung der Iren und des berühmten Volks der Händler und Seefahrer. Die genetischen Signaturen, die in Irland auftauchten, sind denen von der Nord- und Westküste Norwegens am ähnlichsten, wo die Wikinger am aktivsten waren.

Das Team verglich die modernen genetischen Daten außerdem mit zwei alten Genomen aus Irland. Das eine stammte von einer Person, die vor etwa 5.000 Jahren während des Neolithikums in der Nähe von Belfast lebte. Das andere gehört zu einem Menschen, der in der späten Bronzezeit auf der Rathlin-Insel lebte, irgendwann zwischen 2000 und 1500 v. Chr. Die Wissenschaftler hofften, eine genetische Ähnlichkeit oder Verwandtschaft zwischen dem bronzezeitlichen Genom und den modernen Bewohnern derselben Region zu finden. Das war allerdings nicht der Fall. Die alten Genome dienten hauptsächlich als nette Referenz, um die Unterschiede zwischen den modernen Gruppen hervorzuheben.

DNA-Atlas hilft Forschern, Ärzten und Patienten

Die Möglichkeit, genetische Informationen mit der geografischen Herkunft in Verbindung zu bringen, hilft Forschern bei der Konzeption von Studien, die untersuchen, wie und warum eine Person oder eine Gruppe von Menschen von bestimmten genetischen Krankheiten betroffen sein kann. Es reicht nicht aus, nur zu wissen, dass jemand Ire ist. Für die Forschenden kann es auch nützlich sein zu wissen, dass seine DNA von einer einzigartigen genetischen Untergruppe aus einem bestimmten Teil von Ulster geprägt wurde.

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Bedenkt man, dass etwa 20 bis 30 Prozent der Nordamerikaner irische Abstammung vorweisen können, betrifft diese Forschung auch viele Menschen außerhalb Irlands. Wer eine Organ- oder Hauttransplantation benötigt, für den könnte seine Abstammung einen Unterschied dabei machen, wie gut sein Körper das Gewebe akzeptiert: Je größer der genetische Unterschied zwischen Spender und Empfänger ist, desto kürzer ist die Lebensdauer des Transplantats. Es kommt seltener zu Abstoßungen, wenn die Genome der Beteiligten weniger Unterschiede aufweisen.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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