Steinzeitmenschen: Fleisch war ihr Gemüse

Herrschten unsere Vorfahren schon vor zwei Millionen Jahren als Spitzenprädatoren über die Welt? Ein Forschungsteam hat die Essgewohnheiten der frühen Menschen untersucht.

Fleischliebhaber: Rekonstruktion des Turkana-Jungen, der vor rund 1,5 Millionen Jahren in Kenia lebte. Das Skelett des etwa neun Jahre alten Homo Erectus wurde 1984 in der Nähe des Turkana-Sees entdeckt. Die Nachbildung befindet sich im Neanderthal-Museum in Mettmann.

Foto von ©Neanderthal Museum
Von Jens Voss
Veröffentlicht am 19. Juli 2021, 12:42 MESZ

Pilze statt Pizza, Beeren statt Burger. Die Anhänger der Paleo-Ernährung sind überzeugt: Unsere Vorfahren in der Steinzeit lebten gesünder als wir. Fans des Food-Trends schwören auf naturbelassene Lebensmittel wie Wildfleisch, Gemüse oder Nüsse, die zumindest in ähnlicher Form schon vor Urzeiten verspeist wurden. An solche unverfälschte Nahrung habe sich der menschliche Körper seit über zwei Millionen Jahren angepasst. Verarbeitete Produkte wie Brot, Nudeln, Zucker oder Fertigessen dagegen sind den Paleo-Befürwortern ein Graus.

Doch haben sich die frühen Menschen tatsächlich gesund und ausgewogen ernährt? Forscher der Universität Tel Aviv kommen zu einem anderen Schluss. Kaum Pflanzennahrung, dafür vor allem Fleisch und tierisches Fett habe damals auf dem Speiseplan gestanden, schreiben die Anthropologen Miki Ben-Dor und Ran Barkai in einer Studie, die im Yearbook of Physical Anthropology veröffentlicht wurde. Eine zentrale Frage hat sie besonders beschäftigt: Waren Steinzeitmenschen spezialisierte Fleischfresser oder generalisierte Allesfresser?

Um die Ernährung der frühen Menschheitsgeschichte zu rekonstruieren, hat das israelische Team nicht nur in die Vergangenheit geschaut. „Das menschliche Verhalten ändert sich schnell, aber die Evolution ist langsam“, sagt Ben-Dor. „Der Körper erinnert sich.“ Die Forscher nahmen deshalb auch den Stoffwechsel, die Genetik und den Körperbau des heutigen Homo sapiens unter die Lupe. Dazu werteten sie gut 400 wissenschaftliche Arbeiten aus unterschiedlichen Forschungsgebieten aus.

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Verräterische Magensäure

„Ein auffälliges Beispiel ist der Säuregehalt des menschlichen Magens“, erklärt Ben-Dor. Verglichen mit Allesfressern beispielsweise sei der Stärkegrad ausgesprochen hoch. Dafür müsse es einen Grund geben. Immerhin sei es sehr energieintensiv für den Körper, so viel Säure zu produzieren.

„Die Existenz dieser Säure ist ein Beweis für den Verzehr von tierischen Produkten“, schlussfolgert der Anthropologe. Die Magensäure schütze den Körper vor gefährlichen Bakterien in altem Fleisch. Mit einem derart robusten Verdauungsorgan ausgestattet, hätten die prähistorischen Menschen große Tiere erlegen und wochenlang von der Beute zehren können.

Fette Beute in der Steinzeit

Ein weiteres Beweisstück hat die Evolutionsgeschichte des Menschen überdauert: die Struktur unserer Fettzellen. Dem Forschungsteam zufolge speichern Allesfresser das über die Nahrung aufgenommene Fett in relativ wenigen, aber verhältnismäßig großen Fettzellen. Bei Fleischfressern sei das genau andersherum. Ben-Dor: „Wir haben eine viel größere Anzahl an kleineren Fettzellen.“

Auch die Genetik entlarve uns als Fleischfresser. Bestimmte Teile des menschlichen Genoms seien dafür bestimmt, fettreiche tierische Nahrung zu ermöglichen. Nicht so bei unseren nächsten tierischen Verwandten: Schimpansen seien genetisch besser auf eine zuckerreiche pflanzenbasierte Ernährung eingestellt.

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    Archäologische Untersuchungen unterstützen die Fett-These. So hätten Isotopenanalysen von Frühmenschknochen gezeigt, dass unsere Vorfahren offenbar eine kulinarische Vorliebe für mittelgroße bis große Tiere mit einem hohen Fettgehalt hatten. Die Überreste großer Tiere an vielen archäologischen Fundstätten ließen ebenfalls wenig Zweifel daran, dass die Steinzeitmenschen ausgewiesene Fleischliebhaber gewesen seien.

    „Die Jagd auf große Tiere ist kein Nachmittagshobby“, betont Ben-Dor. „Es braucht ein großes Wissen. Löwen und Hyänen benötigen viele Jahre, um solche Fähigkeiten zu erlernen.“ Ben-Dor und Barkei sind sicher: Bereits vor rund zwei Millionen Jahren stand der Mensch als Spitzenprädator am Ende der Nahrungskette.

    Erst als größere Tiere am Ende der Steinzeit knapp wurden, hat der Mensch den Anteil pflanzlicher Nahrungsquellen erhöht. Zu diesem Schluss kommen zumindest Forscher der Universität Tel Aviv.

    Foto von Illustration © Miki Ben Dor

    Raubbau an der Natur schon vor Urzeiten

    Die Jagd zählte offenbar zu den zentralen Aktivitäten unserer Ahnen. Und offenbar trieben sie es schon damals zu weit mit dem Raubbau an der Natur, wie Ben-Dor unterstreicht: „Viele Forscher, die das Aussterben großer Tiere studieren, stimmen darin überein, dass die Jagd durch den Menschen dabei eine entscheidende Rolle gespielt hat.“

    Erst als größere Tiere in verschiedenen Teilen der Welt ausstarben und tierische Nahrungsquellen damit am Ende der Steinzeit knapp wurden, habe der Mensch allmählich den Anteil pflanzlicher Nahrungsquellen erhöht – bis er schließlich vor mehr als 10.000 Jahren begann, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben.

    Die Studie leugne keinesfalls „die Tatsache, dass Steinzeit-Menschen auch Pflanzen aßen“, stellt Ben-Dor klar. „Aber die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Pflanzen erst am Ende der Ära ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Ernährung wurden.“

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