Brasilien: Einzigartiges Fossil eines Flugsauriers erforscht

Eine neue Studie belegt: Der Flugsaurier Tupandactylus navigans war, anders als bisher vermutet, kein König der Lüfte – sein Kopfschmuck war beim Fliegen eher hinderlich.

Von Priyanka Runwal
Veröffentlicht am 27. Aug. 2021, 13:05 MESZ

Das neu erforschte Fossil wird einer Flugsaurierspezies zugeordnet, die im Jahr 2003 zum ersten Mal beschrieben wurde. Es ist das erste fast vollständig erhaltene seiner Art.

Foto von Victor Beccari

Die 2013 auf einem Laster in Brasilien gefundenen, in Fässern versteckten Kalksteinplatten sollten damals eigentlich außer Landes geschmuggelt werden. Sie stammten allesamt aus einem Steinbruch im Araripe-Becken im Osten des Landes, das Teil der Santana-Formation ist, einer der bedeutendsten Fossillagerstätten der Welt – und sie waren weit mehr als einfach nur irgendwelche Steinplatten. Eingeschlossen in ihrem Inneren befanden sich die fossilen Überreste von Tieren: Makellose Vermächtnisse von Lebewesen, die vor Millionen von Jahren unseren Planeten bewohnt haben.

Wäre der Plan der Plünderer aufgegangen, hätten sie die Fossilien an Museen und private Sammler auf der ganzen Welt verkauft und damit viele tausende Euros verdient. Doch eine Polizeirazzia im Rahmen von Ermittlungen unter dem Decknamen „Operation Munich“ vereitelte den illegalen Export und 3.000 der beschlagnahmten Relikte fanden ihren Weg an die Universität von São Paulo.

Unter ihnen war auch das Fossil eines bizarren Reptils mit Flügeln, dessen Kiefer ähnlich wie der Schnabel eines Vogels geformt war. Es war etwas mehr als 1,20 Meter groß und hatte einen gigantischen Kopfkamm. Wissenschaftler, die dieses Fossil untersucht haben, kommen nun in einer Studie zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um den ersten Fund eines fast vollständigen Skeletts der Flugsaurierspezies Tupandactylus navigans handelt, die in der Kreidezeit vor ungefähr 110 Millionen Jahren auf der Erde gelebt hat.

Anhand des sehr gut erhaltenen Fossils konnte belegt werden, dass die Flugsaurierspezies aufgrund des riesigen Kopfkammes nur äußerst kurze Strecken fliegen konnte.

Foto von Victor Beccari (Illustration)

„Ich habe schon einige außergewöhnliche, sehr gut erhaltene Flugsaurierfossilien aus Brasilien und anderen Ländern gesehen. Aber Relikte wie dieses, das fast vollständig erhalten ist und bei dem sogar vereinzelt Weichteile vorhanden sind, findet man äußerst selten“, sagt Fabiana Rodrigues Costa, Paläontologin an der Universidade Federal do ABC in São Paulo. Sie ist Co-Autorin der Studie, die in der Zeitschrift „PLOS ONE“ veröffentlicht wurde. „Es ist wie ein Lottogewinn.“

Erstmals beschrieben wurde die Spezies im Jahr 2003 von Wissenschaftlern aus Deutschland, basierend auf zwei fossilen Schädeln. Erst der Fund des Fossils im Jahr 2013, an dem sogar noch Gewebereste an Nacken, Flügel und Beinknochen vorhanden waren, machte es Paläontologen möglich, auch den Rest vom Körper des Tieres fundiert zu untersuchen. Ihre Forschungen könnten die laufende Debatte darüber beenden, ob der Kamm auf dem Kopf der Reptilien in Bezug auf ihre Flugfähigkeit eine Rolle gespielt hat.

„Es ist ein einzigartiges Fossil“, sagt Fabiana Rodrigues Costa.

Diese Fossilien sind seltene prähistorische Schätze

Flugsaurier waren eng mit den Dinosauriern verwandt und lebten zur selben Zeit wie sie auf unserem Planeten. Während Dinosaurier auf der Erde herrschten, war das Königreich der Flugsaurier der Himmel. Die Koexistenz der beiden Gruppen begann vor mehr als 200 Millionen Jahren in der späten Trias und endete vor 66 Millionen Jahren in der Kreidezeit mit dem Einschlag eines Asteroiden und dem darauf folgenden Massensterben.

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    Mit den modernen Vögeln gibt es heute lebende Nachfahren der Dinosaurier auf der Erde. Die Linie der Flugsaurier endete jedoch abrupt und endgültig. Wissenschaftlern bleiben heute nur ihre fossilen Überreste, um Aussehen und Leben der prähistorischen, fliegenden Kreaturen zu rekonstruieren. Die Schwierigkeit: Flugsaurierfossilien sind sehr selten. Das liegt daran, dass ihre filigranen Knochen die Zeit nicht gut überstehen – meistens werden nur Fragmente ihrer Skelette gefunden.

    Bisher entdeckte Flugsaurierfossilien stammen größtenteils aus Gestein, das zu ihren Lebzeiten von Wasser bedeckt war. Kadaver versanken schnell in dem weichen Schlamm am Boden von Meeren oder Seen, der niedrige Sauerstoffgehalt konservierte sie bis zu einem gewissen Grad.

    In prähistorischer Zeit war das Araripe-Becken von Salzlagunen bedeckt. Heute werden im Kalkstein des trockenen, kargen Geländes regelmäßig spektakuläre Fossilfunde gemacht. „Man öffnet diese Steine wie ein Buch und zwischen den Seiten findet man Fossilien“, sagt Felipe Lima Pinheiro, Co-Autor der Studie und Paläontologe an der Universidade Ferderal do Pampa in São Gabriel.

    Von den über 110 bekannten Flugsaurierarten waren 27 in der Region heimisch. Die Familie der Tapejaridae ist die größte und vielseitigste der Gruppe. Unter ihnen sticht besonders die Gattung Tupandactylus mit ihren prächtigen Kopfkämmen hervor.

    Zwar ist das Araripe-Becken überreich an Fossilien, doch laut Felipe Lima Pinheiro werden solche von Flugsauriern auch hier nur sehr selten gefunden – vollständige sind noch rarer. Der illegale Handel mit Relikten führt dazu, dass die Fossilien – statt in brasilianischen Museen und Forschungseinrichtungen – in den Händen ausländischer Kunden landen. Das erschwert die Situation zusätzlich.

    „Ein fast vollständiges Fossil ist ein äußerst relevanter Fund“, sagt Rodrigo Vargas Pêgas, Doktorand der Paläontologie an der Universidade Federal do ABC in Santo André, der an der Studie nicht beteiligt war. „Das sind wirklich aufregende Nachrichten für die brasilianischen Paläontologen.“

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    Tupandactylus navigans: Übertriebener Kopfschmuck

    Das Fossil von Tupandactylus navigans erreichte die Universität in São Paulo im Jahr 2014, eingeschlossen in sechs beigefarbene Kalksteinplatten. Das erste, was Victor Beccari, Doktorand und Leiter der neuen Studie, ins Auge fiel, war der Kopfkamm des Flugsauriers. Er macht fast drei Viertel seines Schädels aus. „Für die Größe des Tieres ist er überdimensioniert, vergleichbar mit dem Rad eines Pfaus“, erklärt er.

    Als Tupandactylus navigans im Jahr 2003 zum ersten Mal beschrieben wurden, interpretierten die Wissenschaftler den Kamm aufgrund seiner Ähnlichkeit mit einem Segel als eine Art Antriebsystem, das das Reptil beim Fliegen unterstützt haben musste. Da außer zwei Schädeln keine weiteren Körperteile des Fossils vorlagen, rekonstruierten sie den Körperbau des Flugsauriers auf Basis dieser Annahme. Demnach hätte das Tier einen kurzen Hals und knöcherne Sehnen haben müssen, die Hals und Wirbel miteinander verbunden hätten.

    Durch den Fund eines kompletten Skeletts war es Victor Beccari und seinen Kollegen möglich, die Flugfähigkeit von Tupandactylus navigans fundiert zu untersuchen. Das Team röntge hierzu die prähistorischen Knochen mithilfe eines Computertomographen und erstellte ein dreidimensionales Modell des Skeletts.

    Die Wissenschaftler fanden heraus, dass der Flugsaurier einen langen Hals, lange Beine und vergleichsweise kurze Flügel gehabt haben muss. Ihre Erkenntnisse legen nahe, dass das Tier sich eher laufend als fliegend fortbewegt haben muss. Der extravagante Kopfkamm wurde vermutlich eher als Werbemittel bei der Partnersuche eingesetzt, beim Fliegen hätte er Tupandactylus navigans wohl eher behindert als geholfen. Aufgrund dieser Einschränkung konnte der Flugsaurier wahrscheinlich nur sehr kurze Strecken fliegen, eventuell lediglich weit genug, um im Notfall einem Angreifer zu entkommen.

    Und die Forscher sind noch einem anderen Rätsel, den der vertikale Kamm aufgibt, auf der Spur: Eine andere Tapejaridae-Spezies namens Tupandactylus imperator lebte zur selben Zeit wie Tupandactylus navigans auf der Erde. Von Tupandactylus imperator existieren vier fossile Schädel, deren Form jener der Tupandactylus navigans-Schädel stark ähnelt – mit dem Unterschied, dass der Kopfkamm von imperator deutlich größer ist. Die Forscher fragen sich nun, ob es sich bei den beiden Arten möglicherweise um die zwei Geschlechter ein und derselben Spezies handelt.

    „Es ist bisher nur eine Vermutung“, sagt Felipe Lima Pinheiro. „Ein vollständiges imperator-Skelett würde uns natürlich sehr weiterhelfen.“ Möglicherweise geht dieser Wunsch bald in Erfüllung und der Kalkstein im Araripe-Becken gibt noch weitere Tapejaridae-Knochen preis, die dabei helfen, mehr über das Leben dieser rätselhaften Reptilien zu erfahren.

    Dank der Polizeirazzia im Jahr 2013 können Wissenschaftler und interessierte Öffentlichkeit sich von Tupandactylus navigans inzwischen selbst ein Bild machen: Das geheimnisvolle Skelett wird seit 2017 im Geowissenschaftlichen Museum in São Paulo ausgestellt.

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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