Sprunginnovationen: Wie Deutschlands Erfinder die Forschung auf den Kopf stellen wollen
Buchdruck, Auto, Internet: Die Geschichte steckt voller bahnbrechender Erfindungen. Was ist das nächste große Ding aus Deutschland?
Das erste vierrädrige Automobil der Welt: Gottlieb Daimler und sein Sohn Adolf auf der Motorkutsche im Jahr 1886.
Irgendwo im Weltraum, im Jahr 2365: Weil die USS Enterprise einige Tage zu früh am Treffpunkt mit einem anderen Raumschiff erscheint, vertreiben sich die Crew-Mitglieder Data und Geordi die Langeweile mit einer abenteuerlichen Zeitreise. Sie gehen aufs Holodeck, wo virtuelle Welten mit holografischer Projektion erzeugt werden. Als Sherlock Holmes und Dr. Watson verkleidet, stürzen sie sich in der Star-Trek-Folge ins viktorianische London, um knifflige Kriminalfälle durchzuspielen.
Karlsruhe, im Jahr 2022: Miro Taphanel begibt sich auf sein Holodock. Von dort aus will der Startup-Unternehmer unsere Art zu kommunizieren revolutionieren. Tatkräftige Unterstützung dafür bekommt er aus Leipzig. Vor gut zwei Jahren wurde dort die Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind) im Auftrag des Bundesforschungs- und Wirtschaftsministeriums gegründet.
Das Ziel: Hochinnovative Ideen zu finden und zu fördern, die unsere Welt grundlegend verändern könnten. Die Fachwelt spricht dabei von Sprunginnovationen. Historische Beispiele sind der Buchdruck, der elektrische Strom, das Penicillin oder das Auto. Zu den großen Sprunginnovationen der letzten Jahrzehnte zählen das Internet, das Smartphone oder zuletzt die mRNA-Technologie.
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Visionäre Denker gesucht
Ganze Märkte werden dabei auf den Kopf gestellt: Glühlampe statt Ölfunzel, Auto statt Kutsche, Smartphone statt Telefon. Sprunginnovationen werden deshalb auch disruptive – also ersetzende oder verdrängende – Innovationen genannt. Dafür braucht es visionäre Denker und Firmengründer.
Rafael Laguna de la Vera ist Deutschlands Chef-Erfinder. Er leitet die Bundesagentur für Sprunginnovationen. „Unser Auftrag ist es, aus Forschungsergebnissen und Erfindungen neue Unternehmen oder gar Industrien zu machen, die unseren Wohlstand in Deutschland und Europa sichern“, sagt der Software-Experte.
Die Agentur fördert Erfindungen, die das Zeug dazu haben, das nächste große Ding zu werden. Aktuell laufen sieben Projekte. Auch Miro Taphanels Holodeck gehört dazu. Ganz so abenteuerlich wie bei Star Trek geht es dort nicht zu. Der Karlsruher Software-Unternehmer hat sich zum Ziel gesetzt, die Remote-Kommunikation auf ein neues Level zu heben und damit die derzeitigen Videomeetings ablösen.
Konferenzen auf dem Holodeck
Wer sich aufs Holodeck der Gixel GmbH begibt, trägt eine AR-Brille, die Taphanel mit seinen Mitgründern Felix Nienstädt und Ding Luo entwickelt hat. In einem echten Raum kann man dann mit anderen Menschen kommunizieren – ohne dass alle am gleichen Ort sein müssen. Im Unterschied zur Videokonferenz fühle sich das „total echt“ an, versichert Taphanel. Gleichzeitig verliere der eigentliche Ort an Bedeutung, wenn ein „gefühlt reales“ Treffen im Holodeck jederzeit möglich sei.
Um das alles zu erzeugen, braucht es nicht nur Erfindergeist. Nötig sind jede Menge Technik und Software, darunter hochpräzise Lokalisierungs- und Videotechnologie. Jungunternehmer Taphanel ist überzeugt, dass seine Erfindung die Gesellschaft verändern wird. Den Prototypen gibt es schon.
Miro Taphanel auf dem Holodeck.
Makrolösung gegen Mikroplastik
Mit schwimmenden Müllsammlern will Roland Damann das Mikroplastikproblem lösen. Laut Weltnaturschutzunion (IUCN) gelangen Jahr für Jahr rund 1,5 Millionen Tonnen der Kunststoffpartikel in die Meere, größtenteils über die Flüsse. Der Paderborner Erfinder bekämpft sie mit winzigen Gasblasen. Mikroflotation heißt die Technik.
Damanns Apparatur ähnelt einem riesigen Korb, der im Wasser schwimmt. Unterwasserdüsen setzen winzige Luftbläschen frei. Wie ein Magnet ziehen sie die Mikroplastikpartikel an und steigen mit ihnen an die Oberfläche.
Dort kann der Schmutzfilm abgeschöpft werden. „Fünf Hektar pro Tag sind durchaus realistisch“, sagt der Ingenieur und Unternehmer. „Wir können dabei zehn bis 15 Meter in die Tiefe gehen.“ Im Frühjahr startet ein Pilotprojekt mit dem Stadtentwässerungsbetrieb Paderborn.
Roland Damann (Mitte) und sein Team.
Höher hinaus mit der Windenergie
Dass visionäres Denken keine Frage des Alters ist, stellt der 1930 geborene Horst Bendix unter Beweis. In der DDR hat er Bagger für den Braunkohleabbau konstruiert. Seit Ende der 90-er Jahre macht sich der Ingenieur und frühere Hochschulprofessor daran, die Windkraftnutzung neu zu erfinden. Und dazu will er hoch hinaus.
Erfinder mit Leib und Seele: Horst Bendix
Heutige Windräder haben meist eine Nabenhöhe von rund 150 Metern. Bendix hat ein Modell entwickelt, dass 250 Meter hoch ist. „Größere Höhen bringen größere Vorteile in der Nutzung des Windes“, erklärt der Ur-Leipziger. Denn in der Höhe weht der Wind deutlich stetiger und stärker. Bendix erwartet so bis zu zehn Mal mehr Energieertrag.
Mit der herkömmlichen Technik sei das nicht so leicht möglich. Das Maschinengehäuse, an dem auch der Rotor und der Generator sitzen, ist schwer. Würde man es weiter in die Höhe schrauben, könnte die ganze Anlage instabil oder zu teuer werden. Bendix stellt deshalb die Windradtechnik buchstäblich auf den Kopf. Bei seiner Erfindung sitzt der Generator am Boden. Ein Riemen überträgt die erzeugte Kraft vom Rotor nach unten.
So sollen deutlich höhere Türme entstehen, die aber nicht schwerer sind als die bisherigen. Bendix hat zehn Jahre an seiner Konstruktion getüftelt. Er ist sicher: „Die Zukunft wird sich weltweit auf eine solche Nutzung der Höhenwindanlagen einstellen.“
Horst Bendix und Rafael Laguna de la Vera am Windrad-Prototyp.
Wettbewerbe für Weltveränderer
Die besten Erfindungen entstehen oft im Wettbewerb der klügsten Köpfe: Neben den aktuellen Projekten setzt die Bundesagentur deshalb auf Challenges – Innovationswettbewerbe zu drängenden gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen. „Anstatt nach einer Ausschreibung einem Team eine langfristige Förderung zuzusagen, lassen wir mehrere Teams gleichzeitig an einem Thema arbeiten“, erklärt Laguna de la Vera.
Die erste Challenge soll neuen antiviralen Medikamenten zum Durchbruch verhelfen. Der zweite Wettbewerb steht im Zeichen des Klimaschutzes. Die Teams sollen Lösungen entwickeln, um CO2 zunächst aus der Luft zu ziehen und danach in neuen Produkten zu verwenden.