Affenpocken: Was wir über das Virus wissen

Kommt nach COVID-19 mit den Affenpocken nun die nächste Pandemie auf uns zu? Gesundheitsbehörden weisen auf die Unterschiede zwischen den Infektionskrankheiten hin – mahnen aber trotzdem zur Vorsicht.

Von Priyanka Runwal
Veröffentlicht am 2. Juni 2022, 09:31 MESZ
Elektronenmikroskopische Aufnahme von Partikeln des Affenpockenvirus, die aus einer menschlichen Hautprobe stammen, die während eines Ausbruchs ...

Elektronenmikroskopische Aufnahme von Partikeln des Affenpockenvirus, die aus einer menschlichen Hautprobe stammen, die während eines Ausbruchs im Jahr 2003 entnommen wurden. Links sind reife, ovale Viruspartikel zu sehen, rechts halbmondförmige und kugelförmige unreife Viren.

Foto von CDC / Cynthia S. Goldsmith / Science Source

Nicht schon wieder – das dürfte die Reaktion vieler gewesen sein, die, gebeutelt von der Coronapandemie, die aktuellen Meldungen über Affenpocken-Infektionen verfolgt haben.

Dass sich Menschen mit dem Virus infizieren, geschieht eigentlich nur selten – insbesondere außerhalb der Länder in Zentral- und Westafrika, wo es in der heimischen Tierwelt endemisch ist. Nur acht Fälle wurden seit 2018 aus Ländern gemeldet, in denen das Virus gewöhnlich nicht verbreitet ist, darunter Israel, Singapur, Großbritannien und die USA – sie alle standen in Zusammenhang mit Reiseaktivitäten der Patienten in endemischen Ländern.

Die Tatsache, dass sich inzwischen die Fälle häufen, bei denen diese Verbindung nicht besteht, alarmiert die Wissenschaftler. „So etwas beobachten wir in Hinblick auf die Affenpocken zum ersten Mal“, sagt Andrea McCollum, Epidemiologin am United States Center for Disease Control and Prevention.

Im Mai 2022 wurden in mindestens 16 Ländern in Europa und Nordamerika sowie in Australien und Israel mehr als 250 bestätigte und Verdachtsfälle bekannt. Dabei scheinen die Infektionen durch den westafrikanischen Stamm der Affenpocken verursacht worden zu sein. Die Infektion beginnt zunächst mit grippeähnlichen Symptomen, dann bildet sich ein Ausschlag im Gesicht, der sich auf andere Körperteile ausbreiten kann: Die zunächst roten Punkte werden zu Eiterblasen, die schließlich verkrusten und abfallen. Meistens verschwinden die Symptome innerhalb einiger Wochen, in etwa drei Prozent der Fälle verläuft eine Infektion jedoch tödlich.

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Neben dem westafrikanischen Stamm gibt es noch die Kongo-Variante, die einen deutlich schwereren Verlauf hat und in zehn Prozent der Infektionsfälle zum Tode führt. Der humane Pockenvirus, der seit 1979 als ausgerottet gilt, war noch gefährlicher: Rund 30 Prozent der Patienten starben daran.

Die aktuelle Infektionswelle hat glücklicherweise noch keine Todesopfer gefordert. Doch was sie ausgelöst hat und wo sie begann, ist weiterhin ungeklärt. Andrea McCollum zufolge gibt es derzeit noch viele offene Fragen – doch die Informationslage zu den Affenpocken ist weitaus besser als sie es zu Beginn der COVID-19-Pandemie war.

Bisherige Fälle

Der erste Fall von Affenpocken dieses Ausbruchs wurde bei einem Patienten am 7. Mai 2022 festgestellt. Seitdem steigen die Infektionszahlen in Ländern, in denen das Virus nicht endemisch ist. Die Gesundheitsbehörden versuchen die Fälle zurückzuverfolgen und Verbindungen zwischen ihnen zu finden, die Hinweise auf die Ursache des Ausbruchs geben könnten.

Eine große Zahl der bisher bestätigten Fälle wurde in Europa registriert, insbesondere in Großbritannien, Spanien und Portugal. Am häufigsten waren Männer betroffen, darunter viele, die auch oder ausschließlich Sex mit anderen Männern haben. Laut Dr. David Heymann, Berater der WHO, gibt es eine Theorie, die vermuten lässt, dass der aktuelle Ausbruch seinen Ursprung in zwei kürzlich stattgefundenen Raves in Spanien und Belgien hat

Wie werden Affenpocken übertragen?

Laut Andy Seale, Berater des HIV, Hepatitis und Geschlechtskrankheiten-Programms der WHO, gelten Affenpocken nicht als Geschlechtskrankheit, obwohl sie durch sexuellen Kontakt übertragen werden können. Um in diese Kategorie zu fallen, müsste eine Ansteckung über Sperma oder Vaginalsekret für die Infektion typisch sein – bisher gibt es darauf aber keine Hinweise. Genauso wenig kann eine bestimmte Gruppe von Menschen identifiziert werden, die sich typischerweise mit dem Virus infiziert. „Wirklich jeder kann sich anstecken, wenn er mit einem Infizierten engen Körperkontakt hat,“ sagt Seale.

Da das Virus durch Körperflüssigkeiten – Speichel und Eiter – übertragen wird, sind außerdem Bettwäsche und Kleidung, die mit diesen Flüssigkeiten in Kontakt gekommen sind, potenzielle Infektionsquellen.

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    Wie werden Affenpocken behandelt?

    Nicht alle Patienten müssen im Krankenhaus behandelt werden: Viele verbringen die Infektionszeit in 21-tägiger Isolation zu Hause. In manchen Ländern – Deutschland inbegriffen – wird diese Isolationszeit auch Kontaktpersonen von Infizierten empfohlen.

    Laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) schützen Impfstoffe, die zum Schutz vor den echten Pocken entwickelt wurden, auch vor Affenpocken. In der EU ist seit 2013 der Pocken-Impfstoff Imvanex zugelassen, der besser verträglich ist, als vorherige Mittel. Ist es bereits zu einer Infektion gekommen, wird diese in erster Linie symptomatisch und unterstützend therapiert, um bakterielle Superinfektionen zu verhindern. Zudem kann das Medikament Tecovirimat zum Einsatz kommen, dass zur Behandlung von Orthopockenvirus-Infektionen entwickelt und vor Kurzem in der EU für die Behandlung von Affenpocken zugelassen wurde.

    Wie unterscheiden sich Affenpocken und SARS-CoV-2?

    Anders als SARS-CoV-2 – das RNA-Virus, das COVID-19 auslöst – sind die Affenpocken ein DNA-Virus. Das Genom des Virus umfasst rund 200.000 genetische Einheiten, das Genom von SARS-CoV-2 lediglich etwa 30.000. Laut Rosamund Lewis, Vorsitzende des Pocken-Sekretariats der WHO, sind DNA-Viren stabiler als RNA-Viren und neigen eher nicht zu Mutationen. Außerdem findet die Übertragung von SARS-CoV-2 über kleinste Tröpfchen in der Luft statt, während bei den Affenpocken für eine Ansteckung enger Körperkontakt vorausgesetzt ist. Die Verbreitung schreitet somit langsamer voran und kann leichter kontrolliert und vermieden werden.

    Seit wann sind die Affenpocken bekannt?

    Das Virus wurde erstmals im Jahr 1958 von Forschenden in Dänemark identifiziert, die auf der Haut von Javaneraffen aus Singapur einen pockenartigen Ausschlag feststellten. In den folgenden Jahrzehnten gab es weitere Meldungen von Ausbrüchen bei Affen, die aus asiatischen Ländern in die USA importiert worden waren und dort in Gefangenschaft lebten.

    Die erste Infektion eines Menschen mit den Affenpocken wurde im Jahr 1970 bei einem neun Monate alten Baby in der Provinz Équateur in der damaligen Republik Kongo festgestellt. Bis zum Jahr 1985 registrierte die WHO insgesamt 310 Fälle von Affenpocken in den ländlichen Regionen Westafrikas.

    “Wir wussten, dass die Affenpocken eine Krankheit sind, die wir wegen ihres enormen epidemischen Potenzials im Auge behalten müssen. Aber was jetzt gerade passiert, ist schon äußerst seltsam.”

    von Laurens Liesenborghs, Experte für Infektionskrankheiten
    Laurens Liesenborghs, Experte für Infektionskrankheiten

    Im selben Jahr wurden in diesen Gebieten auf der Suche nach dem Ursprung des Virus 383 Wildtiere untersucht – darunter Affen, Nagetiere und Fledertiere. In den Blutproben zweier Thomas-Rotschenkelhörnchen – einer Tierart, die vermutlich für den menschlichen Verzehr gejagt wird – fanden sich spezifische Antikörper gegen die Affenpocken. Eines der Hörnchen wies zudem die typischen Hautveränderungen auf. Den Wissenschaftlern gelang es schließlich, das Virus zu isolieren und zu zeigen, dass es mit dem identisch ist, das in menschlichen Patienten gefunden wurde.

    Laut Joachim Mariën, Ökologe an der Universität Antwerpen in Belgien, gibt es bisher keine konkreten Beweise dafür, dass Nagetiere Menschen mit dem Virus anstecken können – obwohl sie auf der Suche nach dem Ursprungswirt der Affenpocken als Hauptverdächtige gelten.

    Wieso häufen sich Fälle von Affenpocken?

    In den Zentral- und Westafrikanischen Ländern, in denen das Virus endemisch ist, steigen die Fallzahlen seit den Siebzigerjahren: Schätzungen zufolge hat sich die Summe der bestätigten und Verdachtsfälle in den vergangenen fünf Jahrzehnten mindestens verzehnfacht. Am dramatischten ist diese Entwicklung in der Demokratischen Republik Kongo, wo zwischen 2000 und 2019 rund 28.000 Fälle registriert wurden.

    Dabei dürfte ausgerechnet die Ausrottung des humanen Pockenvirus ein Grund für die gesteigerte Infektionsraten mit den Affenpocken sein. Nachdem die WHO diesen Erfolg im Jahr 1980 verkündete, endete die globale Impfkampagne gegen die humanen Pocken. Ein Nebeneffekt der Impfung war, dass sie einen 85-prozentigen Schutz gegen eine Affenpocken-Infektion bot. Eine Studie aus dem Jahr 2010, die in der Provinz Kongo Central in der Demokratischen Republik Kongo durchgeführt wurde, zeigte, dass Geimpfte ein fünfmal niedrigeres Risiko hatten, sich mit Affenpocken zu infizieren als Ungeimpfte. Das Wegfallen der Impfung begünstigte somit die Ausbreitung der Affenpocken.

    Ein anderer Treiber für die Infektionszahlen ist die fortschreitende Entwaldung, die Menschen und infizierte Wildtiere näher zusammenbringt. Im Jahr 2014 wurde in einer Studie über eine Variante des Virus im Kongobecken berichtet, die eine genetische Veränderung aufwies, die entstanden sein könnte, um die Übertragung von Mensch zu Mensch zu begünstigen.

    „Wir wussten, dass die Affenpocken eine Krankheit sind, die wir wegen ihres enormen epidemischen Potenzials im Auge behalten müssen“, sagt Laurens Liesenborghs, Experte für Infektionskrankheiten am Institut für Tropenmedizin in Antwerpen, Belgien. „Aber was jetzt gerade passiert, ist schon äußerst seltsam.“

    Wurde der aktuelle Ausbruch durch eine ansteckendere Variante verursacht?

    In Anbetracht der auffällig hohen Zahlen von Neuinfektionen gehen Epidemiologen und Virologen der Frage nach, ob eventuell eine Mutation für die erhöhte Übertragungsrate des Virus von Mensch zu Mensch verantwortlich ist. Genetische Untersuchungen des Virus in Proben, die von Patienten in Portugal, Belgien und den USA stammen, sprechen laut Gustavo Oalacios, Virologe an der Icahn School of Medicine in New York, jedoch dagegen. Analysen des Virus-Genoms in Proben von aktuellen Patienten weisem ihm zufolge kaum Unterschiede zu dem Virus-Genom in Proben früherer Ausbrüche auf. Um zuverlässig selbst die kleinsten Veränderungen im genetischen Aufbau der Affenpocken zu erkennen, müssen die Forscher allerdings die Virus-DNA von mehr Patienten sequenzieren und Regionen im Genom vergleichen, die sich möglicherweise von den Sequenzen früherer Ausbrüche unterscheiden.

    Auch wenn das Virus noch nicht mutiert ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es neue Varianten bilden wird mit der Dauer des Ausbruchs: Je länger es zirkuliert, desto mehr Gelegenheit hat es, zu mutieren.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht. Zusätzliche Berichterstattung in Deutschland von Katarina Fischer.

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