Lepra in Freiburg: Skelette von Aussätzigen auf mittelalterlichem Friedhof untersucht

Lepra, Syphilis und Rachitis – die Skelette, die in der Nähe eines einstigen Leprahospizes in Freiburg entdeckt wurden, erzählen grausame Leidensgeschichten. Doch die Analyse der Knochen zeigt, dass man sich im Mittelalter gut um die Erkrankten kümmerte.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 29. Apr. 2022, 12:46 MESZ
Mehrere Lepraerkrankte, dargestellt durch die Beulen in ihrem Gesicht, werden von Gesunden behandelt.

Lepraerkrankte – sogenannte Aussätzige –, die von Gesunden behandelt werden: Miniatur aus dem Jahr 1474.

Foto von Wikimedia Commons

Lebendige Tote – so wurden Leprakranke im Mittelalter, der Hochphase der Krankheit, oft bezeichnet. Denn der sogenannte Aussatz konnte nicht geheilt werden und brachte einen schrecklichen Verlauf mit sich. Gefühlsstörungen der Haut, geschwulstartige Knoten im Gesicht und letztendlich der Befall der Organe. Da die Krankheit zur damaligen zeit unheilbar war, war das Schicksal der Betroffenen besiegelt: Ihnen blieb nur die Isolation und ein Leben außerhalb der Gesellschaft – in eigens dafür errichteten Hospizen.

Eine der heute bekanntesten Einrichtungen dieser Art befand sich zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert in Freiburg. In direkter Nähe zu ihrem ehemaligen Standort stieß man im November 2021 beim Bau einer Tiefgarage auf mehrere Skelette. Hinzugezogene Archäologen stellten fest: Bei den Skeletten handelt es sich um die Überreste der ehemaligen Bewohner des einstigen Leprahospizes.

Mittlerweile wurden mehr als 400 Skelette freigelegt  – doch das ist erst der Anfang. Die Dimensionen des Leprafriedhofs sind noch immer nicht vollständig erschlossen. „Etwa zehn Prozent der Fläche wurde erfasst“, so das Landesamt für Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Man gehe davon aus, dass insgesamt mindestens 2.000 Menschen auf dem Friedhof bestattet wurden. Weitere Überreste sollen bei zukünftigen Grabungen freigelegt werden.

Gräber der älteren Belegungsphase mit drei Skeletten: Bisher wurden erst 429 der schätzungsweise 2.000 Individuen freigelegt.

Foto von Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart/AAB Archäologie, Jana Noll

Erstaunlich gut ernährt

Lepra grassiert auf der Welt schon seit Tausenden von Jahren und ist eine der ältesten bekannten Infektionskrankheiten. In Mitteleuropa breitete sie sich vor allem im 13. Jahrhundert flächendeckend aus – auch in Deutschland. Spätestens zu dieser Zeit etablierten sich Heime für Leprakranke, die sogenannten Aussätzigen, in denen sie getrennt vom Rest der Gesellschaft zusammenlebten. Diese Heime waren oft die einzigen Orte, an denen Leprakranke Zuflucht finden konnten. 

Bekannt waren sie auch unter dem Namen Gutleuthäuser – eine Bezeichnung, die von dem damals für Leprakranke genutzten Begriff Gutleute abgeleitet ist. Er hat seinen Ursprung in dem Glauben, dass andere Menschen sich durch Wohltaten an den Erkrankten vor Gott als gute Menschen beweisen können.

Tatsächlich scheinen sich die Menschen jener Zeit erstaunlich gut um die „Aussätzigen“ gekümmert zu haben. Laut Bertram Jenisch, Archäologe und Leiter der Grabungen vom Landesamt für Denkmalpflege Stuttgart, ist dies durch bei Untersuchungen der Skelette deutlich geworden. Zwar weisen diese Spuren von Lepra-, Syphilis- und Rachitis-Erkrankungen auf, darüber hinaus aber keine Mangelerscheinungen. „Das heißt, die Bewohner waren gut und regelmäßig versorgt,“ sagt Jenisch.

Zudem seien einige Skelette älter als man zunächst vermutet hatte: Ihre Knochen wurden mithilfe der Radiokarbonmethode auf die Zeit vor der erstmaligen schriftlichen Erwähnung des Leprahospiz Freiburg im Jahr 1251 datiert. „Dreißig Skelette wurden C14-datiert, was neue Erkenntnisse zur Belegungszeit des Friedhofs erbrachte”, sagt Jenisch. „Die ältesten Bestattungen liegen vor der ersten urkundlichen Erwähnung.”

BELIEBT

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    Die Bestimmung der bisher gefundenen 429 Skelette zeigte, dass es sich bei über 90 Prozent der Individuen um Männer handelte. „Das kann nicht der realen Belegung des Gutleuthauses entsprochen haben“, so Jenisch. Daher gehe man davon aus, dass der Friedhof nach Geschlechtern getrennt wurde. Besonders auffällig sei außerdem, dass auch Skelette von Kinder gefunden wurden. „Das bedeutet, dass im Bereich des Leprosoriums auch Kinder lebten und geboren wurden.“ 

    Da laut Betram Jenisch biografische Daten zu den einzelnen Individuen fehlen und keine Grabbeigaben gefunden wurden, liegen die Hoffnungen nun auf zukünftigen Untersuchungen, um mehr über die medizinische Geschichte und Lebensumstände der Erkrankten zu erfahren. Doch auch die bisherigen Erkenntnisse liefern bereits faszinierende Einblicke in das Leben und Sterben mit Lepra im Mittelalter – und den Umgang der gesunden Bevölkerung mit den Betroffenen.

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