Wie Blinde dank Implantaten aus Schweinehaut wieder sehen können
Das Augenlicht verlieren: für die meisten Menschen eine große Angst – für viele gar Alltag. Nun gibt es neue Hoffnung für einige Blinde und Menschen mit Sehbehinderung – durch neuartige Hornhautimplantate aus Schweinehaut.
Die Augenkrankheit Keratokonus verdünnt die Hornhaut und verformt sie kegelartig. Transplantationen können Abhilfe gegen eine einhergehende Sehbehinderung schaffen, sind allerdings mit Risiken verbunden – oder schwer zugänglich. Dies wollen Forschende der Universität Linköping nun ändern.
Nur bis zu einem Millimeter dick, lichtdurchlässig und trotzdem hart wie Horn: Die Hornhaut des Auges gilt als sprichwörtliches “Fenster zur Welt”. Durch sie fällt Licht in unser Auge – und bringt damit den Sehvorgang ins Rollen. Krankheiten, die die Kornea betreffen, stellen daher eine häufige Ursache von Blindheit dar. Weltweit warten Millionen Menschen auf Heilung durch gespendete Hornhäute. Vor allem in Ländern mit niedrigem Einkommen bleibt dem Großteil der Betroffenen diese Hilfe jedoch oftmals verwehrt.
Das könnte sich allerdings bald ändern. Forschende der schwedischen Universität Linköping wecken Hoffnung: Durch ihre neu entwickelten Hornhautimplantate könnte bald womöglich eine Vielzahl an Menschen ihr Augenlicht zurückerlangen. Ihr Ziel: einen künstlichen, sicheren und weltweit verfügbaren Ersatz für die menschliche Kornea herzustellen. In ihrer Pilotstudie, die in der Zeitschrift Nature Biotechnology erschien, gelang dies dem Team um Bio- und Chemieingenieur Mehrdad Rafat bereits äußerst erfolgreich: Alle 20 Probanden und Probandinnen erlangten nach dem Einsetzen ihrer Biotech-Implantate ihre Sehkraft zurück.
“Das Zugangsproblem ist komplex und umfasst wirtschaftliche, kulturelle, technologische, politische und ethische Barrieren.”
Implantate aus Schweinehaut schenken Sehkraft
Hornhautimplantate sind ein rares Gut, denn Organspender für diese gibt es wenige. Deutschlandweit ist die Hornhaut mit jährlich rund 4800 Transplantationen das am häufigsten übertragene Gewebe, doch „das Zugangsproblem ist komplex und umfasst wirtschaftliche, kulturelle, technologische, politische und ethische Barrieren“, erklärt die Studie aus Schweden. Auf 70 benötigte Spenden komme meist nur eine verfügbare Hornhaut. Bei steigenden Zahlen von jährlich etwa einer Million neuen Fällen seien vor allem Regionen mit niedrigem und mittlerem Einkommen in Asien, Afrika und dem Nahen Osten betroffen.
Um dieses Spenderproblem zu umgehen, setzte das Team um Rafat für ihre Forschung und Entwicklung auf biotechnologisch hergestellte Hornhautimplantate – gefertigt aus dem Ausgangsmaterial Schweinehaut. Diese ist als Abfallprodukt der Fleischindustrie nicht nur in Massen vorhanden, sondern auch nachhaltig und preiswert erhältlich. Die aus ihr gewonnenen und verdichteten Kollagenmoleküle liefern einen robusten, langlebigen und lichtdurchlässigen Stoff. Dieser entspricht dem Hauptprotein der menschlichen Hornhaut und eignet sich daher in der Theorie perfekt für eine künstliche Kornea.
Um ihr entwickeltes Material auch in der Praxis am Menschen zu testen, halfen den Forschenden vorangegangene tierische Studien zur Entwicklung einer minimalinvasiven Methode für die Einsetzung der Implantate. Nähte werden dadurch überflüssig, Nerven und Zellschichten bleiben intakt – was wiederum die Wundheilung beschleunigt und Risiken von Komplikationen gering hält. Dies bestätigte daraufhin auch die Pilotstudie, welche im Iran und in Indien durchgeführt wurde. Die zwanzig Patienten und Patentinnen, die allesamt bereits im fortgeschrittenen Stadium an Keratokonus litten – einer Erkrankung, bei der es zu einer kegelförmigen Verformung der Kornea kommt – und als sehbehindert oder blind galten, erhielten ihre Sehkraft zurück, einige sogar vollständig. Auch das Tragen von Kontaktlinsen zur zusätzlichen Unterstützung der Sehkraft konnte einigen wieder ermöglicht werden.
Doch damit nicht genug: Während bei einer gewöhnlichen Transplantation zur Prävention einer Abstoßung von Spenderhornhäuten eine mehrjährige Einnahme von Medikamenten vonnöten ist, war dank der neuartigen Implantate lediglich eine achtwöchige Nachbehandlung mit Augentropfen ausreichend. Auch zwei Jahre nach der Behandlung waren alle Probanden und Probandinnen frei von sämtlichen Komplikationen. Ein großer Erfolg im Hinblick auf bislang gängige Techniken, die laut der Studie nicht nur abhängig von Spenderhornhäuten seien, sondern auch eine Vielzahl von Risiken mit sich bringen würden wie beispielsweise eine Transplantatabstoßung sowie verschiedenste postoperative Komplikationen oder Infektionen.
Hornhautblindheit: Ein weltweites Problem
Für Länder wie Iran oder Indien, wo besonders viele Menschen von Sehschwäche und Blindheit betroffen sind, die auf Erkrankungen der Hornhaut zurückgehen, stellt die Forschung aus Schweden eine besondere Möglichkeit für mehr Lebensqualität dar. Denn dort fehlt es nicht nur an Organspenden oder am Zugang zu medizinischen Behandlungen, sondern auch an der nötigen Infrastruktur und sogenannten Biobanken.
Besonders hier möchten Rafat und sein Team mit ihrer Forschung für Veränderung sorgen. Dass ihr entwickeltes Implantat ohne Qualitätsverlust für bis zu zwei Jahre gelagert werden kann, spielt dabei eine wichtige Rolle. Dies sei unter anderem durch spezielle Verpackungs- und Sterilisationsprozesse möglich. Auch wenn noch weitreichende und umfangreiche Studien benötigt werden: Rafat und sein Team scheinen mit BPCDX, wie das neuartige Material genannt wird, auf einem hoffnungsvollen Weg in die Zukunft einer weltweit zugänglichen Augenmedizin zu sein.