Neue Dinosaurierart entdeckt: So kam es zu dem Fund in Tübingen
Dinosaurierarten werden meist bei Ausgrabungen entdeckt. Anders Ingmar Werneburg und Omar Regalado Fernandez: Die Forscher stießen in der Paläontologischen Sammlung der Universität Tübingen auf einen unbekannten Dinosaurier: Tuebingosaurus maierfritzorum.
Dieses Ölgemälde ließen die Forscher anfertigen. Es zeigt, wie die Umwelt des Tuebingosaurus ausgesehen haben könnte und wie das Tier, dessen Skelett gefunden wurde, gestorben sein könnte. Von dem Raubsaurier Teratosaurus wurden ebenfalls Knochen bei Trossingen gefunden. Sicher ist aber lediglich, dass der Tuebingosaurus auf die rechte Seite fiel und seine linke mehrere Jahre an der Oberfläche lag. Im Hintergrund sind Plateosaurier zu sehen.
Im Jahr 1922 entdeckte Friedrich von Huene, einer der bedeutendsten Wirbeltierpaläontologen des frühen 20. Jahrhunderts, in einer Ausgrabungsstätte bei Trossingen in der Schwäbischen Alb Knochen von Plateosauriern. Sie gelten als Vorfahren der großen Langhälse, der sogenannten Sauropoden, und lebten vor rund 200 Millionen Jahren. Seine Fundstücke werden seitdem in der Paläontologischen Sammlung der Universität Tübingen aufbewahrt. 100 Jahre sollten vergehen, bis sich herausstellte, dass nicht alle dieser Fossilien tatsächlich Plateosaurier waren.
Eine unbekannte Dinosaurierart lagerte im Museum
Im Rahmen seiner Doktorarbeit über die Diversität der Plateosaurier war Paläontologe Omar Regalado Fernandez 2016 auf der Suche nach vergleichbaren Skeletten in Europa und wollte sich dafür auch die Sammlungen der Universität Tübingen ansehen. Einige der Stücke, die von Huene entdeckt hatte, lagerten jahrzehntelang im Keller, ohne dass ihnen ein besonderer wissenschaftlicher Wert zugesprochen wurde. Gemeinsam mit PD Dr. Ingmar Werneburg, Wirbeltiermorphologe und Kustos der Tübinger Sammlung, entdeckte der gebürtige Mexikaner Regalado Fernandez dabei eine Hüfte, die bislang als Plateosaurus-Hüfte beschrieben wurde. Doch die Forscher bemerkten schnell: Diese Hüfte gehört nicht zu einem Plateosaurus. „Es war eine Überraschung, als wir aus unserem Archiv diese riesige Hüfte aus der Schublade holten“, sagt Werneburg. „So ein Fund ist relativ selten. Es passiert so gut wie nie, dass Material, das vor 100 Jahren schon einmal beschrieben wurde und das man immer als eins von vielen betrachtet hat, plötzlich so im Fokus steht - das ist schon etwas Besonderes.“
Diesen Hüftknochen fanden die Forscher im Archiv der Universität Tübingen, wo zahlreiche Stücke aufbewahrt werden. Das Material geriet in den vergangenen Jahrzehnten in Vergessenheit.
Werneburg und Regalado Fernandez suchten alle zur Hüfte gehörigen Knochen zusammen - dabei handelte es sich um den hinteren Teil eines Skeletts, das bislang als Plateosaurus klassifiziert wurde. Über vier Jahre hinweg tauschten sich die beiden Forscher über die Ferne aus, durchsuchten Archive und überprüften 100 Jahre alte Aufzeichnungen aus dem Feld. Nachdem Dr. Regalado Fernandez seine Dissertation abgeschlossen hatte, kehrte er nach Tübingen zurück und die beiden Wissenschaftler untersuchten das Teilskelett noch einmal ganz genau: Ein Jahr lang beschrieben sie die Knochen neu, verglichen anatomische Merkmale, machten Fotos, erstellten Stammbäume und stellten schlussendlich fest, dass sie in den Tiefen der Tübinger Paläontologischen Sammlung eine neue Dinosaurierart entdeckt hatten. Im September 2022 erschien ihr Artikel in der Fachzeitschrift „Vertebrate Zoology“, in dem sie ihre Arbeit und ihren neu entdeckten Dinosaurier Tuebingosaurus maierfritzorum vorstellten: Ein etwa 1,5 Meter hoher, pflanzenfressender Dinosaurier, der vor etwa 203 bis 211 Millionen Jahren lebte.
Vergleich Tuebingosaurus – Mensch. Von Tuebingosaurus wurde nur das hintere Teilskelett gefunden.
Wieso wurden die Knochen ‚falsch‘ zugeordnet?
Natürlich kam die Frage auf, warum die Knochen ‚falsch‘ zugeordnet wurden. Grund war die Ähnlichkeit der Knochen des Tuebingosaurus und des Plateosaurus: So haben sie beispielsweise eine ähnliche Größe, gleich viele und gleich große Wirbel und insgesamt einen sehr ähnlichen Aufbau. Da das Skelett in derselben Schicht gefunden wurde wie andere Plateosaurier-Skelette und diese Tiere in Teilen Europas häufig vorkamen, wurden die Knochen zunächst den Plateosauriern zugeordnet.
„Die Fragestellungen in der Wissenschaft haben sich mit der Zeit verändert“, sagt Regalado Fernandez. Als von Huene die Knochen fand, stellte er andere Fragen als die Wissenschaftler heute. Man ging von der Wahrscheinlichkeit aus, dass ähnliche Skelette, die in derselben Umgebung gefunden werden, zur selben Art gehören. Doch das Verständnis von Taxonomie und Arten in der Paläontologie habe sich mit der Zeit gewandelt, so Werneburg: „Heute haben wir einen sehr detaillierten Ansatz, bei dem wir jedes Detail beschreiben und versuchen zu deuten“.
Unterschiede zwischen Plateosaurus und Tuebingosaurus
Auch wenn es sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Plateosaurus und dem Tuebingosaurus gibt, fielen den Forschern bei genauerer Betrachtung schnell Unterschiede auf: „Die Hüfte ist breiter, das Schienbein in der Mitte schmaler“, erklärt Regalado Fernandez. Auch die Muskeln setzten anders an. Obwohl der vordere Teil des Skeletts fehlt, konnten die Forscher so feststellen, dass sich Tuebingosaurus auf vier Beinen fortbewegte, während Plateosaurier Zweibeiner waren. „Der ganze Körperbau verändert sich, wenn ein Tier auf vier Beinen läuft“, erklärt Regalado Fernandez. „Nicht nur die vorderen Beine.“
Sowohl Plateosaurus als auch Tuebingosaurus sind sogenannte Prosauropoden, die Vorgänger der großen Langhälse, die als Sauropoden bezeichnet werden. Da Tuebingosaurus bereits auf vier Beinen lief, kamen Werneburg und Fernandez zu dem Schluss, dass er weiter entwickelt war als die Plateosaurier und sich im Stammbaum näher an den Sauropoden befand. Dennoch lebten die Dinosaurier-Arten zur selben Zeit – in der späten Trias. Man könne sich das in etwa so vorstellen wie Halbaffen, Schimpansen und Menschen, sagt Werneburg - diese würden ebenfalls gleichzeitig leben und doch unterschiedlich nah miteinander verwandt sein. Da sie in denselben Schichten gefunden wurden, könnten Plateosaurier und Tuebingosaurier sogar in lockeren Herden zusammengelebt haben, erklären die Wissenschaftler – ähnlich wie Zebras und Gnus heute.
Die beiden Wissenschaftler Ingmar Werneburg (links) und Omar Regalado Fernandez (rechts) mit dem Oberschenkel von Tuebingosaurus maierfritzorum.
Tuebingosaurus maierfritzorum – der Name als Hommage an Tübingen
Die Paläontologische Sammlung der Universität Tübingen gehört zu den größten Universitätssammlungen der Paläontologie weltweit. In den Ausstellungen können Besucher Fossilien aus den verschiedensten Regionen der Erde bestaunen - zum Beispiel einen Flugsaurier aus den USA oder einen Stegosaurier aus Tansania. Auch aus der Schwäbischen Alb sind viele Fossilien in Tübingen zu finden. Darunter marine Reptilien wie der Ichtyosaurier oder Prosauropoden wie der Plateosaurus – und nun auch der Tuebingosaurus. Sein Name ist eine Hommage an die Stadt Tübingen, die Paläontologische Sammlung und an die Tübinger Bevölkerung, die großes Interesse an der Ausstellung zeigt. Mit dem Artnamen maierfritzorum dankt Werneburg einem wichtigen Mentor, dem Zoologen Professor Wolfgang Maier aus Tübingen sowie dem Professor Uwe Fritz von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden, der auch Herausgeber der Fachzeitschrift „Vertebrate Zoology“ ist.
Es kommt nicht oft vor, dass in einer bestehenden paläontologischen Sammlung eine neue Art entdeckt wird. Es sei allerdings sehr gut möglich, dass sich in mehreren Sammlungen falsch klassifizierte Knochen befänden, so Werneburg: „Es gibt viel Material, das völlig neu betrachtet werden muss“. Man könne sicher noch viel Neues finden, wenn man neue Fragen stelle. „Wir sind gerade dabei, noch viel tiefer in die Sammlung einzusteigen“, so der Wissenschaftler. Denn neben dem Fund einer neuen Dinosaurierart ist für die beiden Forscher vor allem der Wert der wiederentdeckten Sammlung eine Besonderheit. „Jede Sammlung repräsentiert die Arbeit und die Mühe von jemandem. Und das ist eigentlich die Hauptgeschichte hinter allem“, schließt Regalado Fernandez daraus.