Bewegung, Beziehungen und die richtige Stadtplanung: Das braucht der Mensch im Alter

Was braucht es, damit Menschen gut altern können? Vieles hängt von sozialen Faktoren ab, die wir gesellschaftlich bestimmen können, meint der Psychologe Clemens Tesch-Römer im Interview.

Von Iris Röll
Veröffentlicht am 18. Jan. 2023, 13:21 MEZ
Im Alter glücklich: Beziehungen und Bewegung sind wichtige Faktoren

Entwicklungsgeschichtlich ist der Mensch auf Bewegung programmiert, weshalb ein vorwiegend sitzender Lebensstil im Alter Risiken birgt.

Foto von Jasper Doest

Herr Tesch-Römer, was braucht der Mensch, damit er gut altern kann? 

Auf der individuellen Ebene ist das zum einen regelmäßige Bewegung – einige Male pro Woche zumindest leicht ins Schwitzen kommen. Dann soziale Beziehungen und sinnvolle Aktivitäten – etwas, woran das Herz hängt und wodurch man eine Zukunftsperspektive entwickelt. Außerdem bringen einen viele Aktivitäten mit anderen Menschen zusammen. Wenig überraschend spielen Einkommen und Vermögen eine Rolle: Reichere Menschen werden älter – und altern gesünder, weil sie sich gute Lebensumstände und eine ebensolche medizinische Versorgung leisten können. Und schließlich wirkt sich die Einstellung aus: Wer dem Alter positive Seiten abgewinnen kann, lebt länger. 

Wie bekomme ich aber so eine optimistische Einstellung hin? 

Das weiß leider keiner. Am ehesten hilft es vielleicht, wenn man die Möglichkeit zur Begegnung mit alten Menschen hat. Die US-Forscherin Becca Levy hat untersucht, mit welchen Begriffen das Thema Alter in englischsprachigen Zeitungstexten in den vergangenen 100 Jahren in Verbindung gebracht wird. Die Konnotationen sind im Laufe der Zeit immer negativer geworden. Woran liegt das? Möglicherweise daran, dass früher einfach nur wenige Menschen ein hohes Alter erreicht haben. Je mehr es wurden, desto mehr wurde das Alter offenbar auch als gesellschaftliche Bürde betrachtet. Im Übrigen ist das noch ein recht junges Thema. Denn bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Erhöhung der Lebenserwartung vor allem dadurch erreicht, dass die Kindersterblichkeit drastisch zurückging. Erst seitdem werden tatsächlich immer mehr Menschen wirklich alt. 

Wie muss eine Gesellschaft aussehen, in der Menschen gut altern können? 

Je mehr gesellschaftlicher Wohlstand und je weniger soziale Ungleichheit, desto besser. Bildung in Kindheit und Jugend hat einen hohen Einfluss. Wir sprechen in dem Zusammenhang vom „langen Arm der Kindheit“. Wobei mir wichtig ist: Es ist nie zu spät! Verhaltensänderungen haben bis ins hohe Alter positive Effekte. Sehr bedeutend ist natürlich ein gutes Gesundheitssystem, denn ein Alter ohne chronische Krankheiten wird es wohl nie geben. Schließlich die Umwelt: Gibt es Gefahrenquellen, etwa Stolperfallen in der Wohnung, Lärm- oder Schadstoffbelastung, zu viel Hitze im Sommer? Oder leben wir in einem gesundheitsfördernden Wohnumfeld, das zu Spaziergängen und zum Sport einlädt? 
 

Der Psychologe Clemens Tesch-Römer ist außerplanmäßiger Professor an der FU Berlin. Er leitet das Deutsche Zentrum für Altersfragen. Dort läuft u. a. der Deutsche Alterssurvey, der seit 1996 Menschen beim Älterwerden begleitet.

Foto von Christoph Söder

Wie müssen unsere Städte sich verändern, wenn wir im Alter gut dort leben wollen? 

Es müssen gute Städte für alle sein – für Großväter mit Kinderwägen ebenso wie für Menschen in Rollstühlen oder mit Rollatoren. Denken Sie nur an viel zu kurze Ampelphasen! Zudem brauchen wir altersgerechte Wohnungen – Schätzungen dazu reichen von drei bis zehn Millionen in Deutschland. Dann natürlich Infrastruktur: fußläufig erreichbaren öffentlichen Nahverkehr, Geschäfte, Ärzte. Und Treffpunkte … 

… gegen die Einsamkeit. 

Ja, wobei ich persönlich altersgetrennte Zentren völlig falsch finde. Aus Studien wissen wir, dass speziell Jugendliche und alte Menschen jeweils vom Kontakt zueinander profitieren. Aber wir werden auch Dienste brauchen, die einsame Menschen zu Hause aufsuchen. Einsamkeit macht krank, einerseits weil sie einen Menschen permanent unter Stress setzt, mit negativen Folgen für Herz-Kreislauf- und Immunsystem, andererseits weil einen niemand vom Sofa hochholt und nach draußen mitnimmt oder auch zum Arzt schickt, wenn es nötig ist. Im Deutschen Alterssurvey, mit dem wir 40- bis 85-Jährige begleiten, sehen wir allerdings in unseren jüngsten Daten, dass die Einsamkeit im Alter im Vergleich zu jüngeren Lebensphasen kaum mehr ansteigt. Das war vor 25 Jahren noch anders. Wir scheinen das Alter also in puncto Einsamkeit schlechter zu reden, als es ist.

 

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Foto von National Geographic

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