Ewige Chemikalien: Warum wir PFAS nicht mehr loswerden

Ob in Jacke, Pfanne oder Verpackungen: PFAS sind überall. In den letzten Jahren wurde immer deutlicher, dass sie eine Gefahr für Umwelt und Gesundheit darstellen. Kommen Verbote zu spät?

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 27. Jan. 2023, 08:38 MEZ
Ein Feuerwehrmann löscht ein Feuer: Löschschaum steigt um ihn herum auf.

In unzähligen Produkten des täglichen Gebrauchs sind PFAS enthalten und oft schwer zu ersetzen. Aufgrund ihrer thermischen Stabilität sind sie zum Beispiel wichtiger Bestandteil von Löschschaum. Bei Brandeinsätzen gelangen große Mengen der Chemikalien in die Umwelt.

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Die Studie der Environmental Working Group (EWG), die im Januar 2023 in der Zeitschrift Science Direct veröffentlicht wurde, ist die neueste in einer immer länger werdenden Reihe. Sie beschäftigt sich mit den negativen Auswirkungen von Stoffen aus einer bestimmten Gruppe menschengemachter Industriechemikalien: per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, kurz PFAS.

Im Mittelpunkt der Studie stehen Süßwasserfische, die in nordamerikanischen Flüssen und Seen für den Verzehr gefangen wurden. Mehr als 500 Proben aus den Jahren 2013 bis 2015 wurden von dem Forschungsteam untersucht. Das Ergebnis: Die wild gefangenen Fische waren fast 280-mal stärker mit PFAS belastet als Fische aus kommerzieller Zucht. Insgesamt überschritt der Gehalt der Chemikalien in den Proben den von der US-Umweltschutzbehörde empfohlenen Grenzwert um das 2.400-fache.  

„Die Testergebnisse verschlagen einem den Atem“, sagt Scott Faber, Leiter der Abteilung für Regierungsangelegenheiten bei der EWG. „Der Verzehr eines einzigen Wolfsbarsches kann mit dem einmonatigen Konsum von PFOS-verunreinigtem Wasser gleichgesetzt werden.“

PFOS, also Perfluoroctansulfonsäure, ist einer von vielen Stoffen aus der PFAS-Gruppe. In der Natur gibt es für diese Verbindungen keine natürliche Quelle. Sie müssen industriell hergestellt werden, indem in Kohlenstoffketten die Wasserstoffatome vollständig oder teilweise durch Fluoratome ersetzt werden. PFAS sind wasser-, fett- und schmutzabweisend und thermisch stabil. Aufgrund dieser Eigenschaften werden sie seit ihrer Entdeckung in den Vierzigerjahren in unzähligen Gegenständen des täglichen Gebrauchs verarbeitet: vom Kochgeschirr über Textilien und Kosmetika bis hin zu Verpackungen, Pflanzenschutz- und Feuerlöschmitteln.

Warum sind PFAS gefährlich?

Durch ihr riesiges Anwendungsfeld haben PFAS sich schnell und in großen Mengen in der Umwelt angereichert. Über kontaminierte Böden und Gewässer gelangen sie in die Nahrungskette, in das Blut und Gewebe von Menschen und Tieren – und bleiben dort, denn die Verbindungen sind extrem langlebig. Im menschlichen Körper dauert es je nach Art 4,4 bis 8,7 Jahre, bis Stoffe aus der PFAS-Gruppe zur Hälfte abgebaut sind. Ausgeschieden werden sie kaum. Sie tragen darum den Beinamen „ewige Chemikalien“.

Während ihr Nutzen relativ schnell erkannt wurde, kam man den negativen Auswirkungen der Industriechemikalien erst spät auf die Spur. Obwohl PFAS inzwischen überall sind, ist das Wissen über ihre Wirkung noch immer sehr begrenzt. Nach heutigem Stand der Forschung können sie jedoch mit einer ganzen Reihe von schwerwiegenden Gesundheitsproblemen in Zusammenhang gebracht werden: von Krebserkrankungen und Schädigungen des Immunsystems und der Leber über Unfruchtbarkeit und Schwangerschaftskomplikationen bis hin zu einem erhöhten Diabetesrisiko und Lernproblemen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern.

Ungebremste Verbreitung: Es regnet PFAS

Inzwischen wird das Ausmaß des Problems immer deutlicher. Nachdem die Chemikalien zuvor bereits in Muttermilch festgestellt worden waren, wies sie eine Studie aus dem Jahr 2020, die deutsche Kinder im Alter zwischen drei und 17 Jahren untersuchte, im Blut aller Probanden nach.

BELIEBT

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    “PFAS verschwinden nicht, wenn Produkte weggeworfen oder weggespült werden. ”

    von Tasha Stoiber
    wissenschaftliche Leiterin bei der EWG

    Im Jahr 2022 fanden Forschende der Universität Stockholm und der ETH Zürich heraus, dass auch Regen gefährlich hoch mit den Schadstoffen belastet ist. Durch den Wasserkreislauf gelangen die Chemikalien selbst in die entlegensten Regionen der Erde und wurden bereits in der Antarktis und der Tibetanischen Hochebene nachgewiesen. „Basierend auf den neuesten US-Richtlinien für PFOA – also Perfluoroctansäure – im Trinkwasser, müsste Regenwasser überall als nicht trinkbar eingestuft werden“, sagt Ian Cousins, Umweltwissenschaftler an der Universität Stockholm und einer der Hauptautoren der Studie. 

    Auch in der EU gibt es Grenzwerte für die Summe an PFAS im Trinkwasser. Diese werden jedoch regelmäßig überschritten, weil die Stoffe weiterhin produziert und der ohnehin stark mit den Chemikalien belasteten Umwelt zugeführt werden. Weil sie nicht von allein verschwinden, müssen sie aktiv aus Wasser und Boden entfernt werden, doch „wir können nur sehr wenig tun, um die PFAS-Kontamination zu verringern“, sagt Studienautor Martin Scheringer, Chemiker an der ETH Zürich.

    Sanierung: teuer und kompliziert

    Verunreinigte Böden und Grundwasser von PFAS zu befreien ist ein schwieriges Unterfangen. Herkömmliche Sanierungsverfahren zeigen aufgrund der besonderen Eigenschaften der Stoffe keine nennenswerten Effekte. „PFAS verschwinden nicht, wenn Produkte weggeworfen oder weggespült werden“, erklärt Tasha Stoiber, wissenschaftliche Leiterin bei der EWG. „Unsere Forschung zeigt, dass die gängigsten Entsorgungsmethoden am Ende sogar die Umweltverschmutzung erhöhen können."

    Eine vollständige Beseitigung der Chemikalien ist laut Umweltbundesamt nur in hochtemperierten Sonderabfallverbrennungsanlagen möglich. Abgesehen davon, dass diese und geeignete Deponien nicht ausreichend zur Verfügung stehen, ist das Verfahren zudem mit hohen Kosten verbunden.

    “Es kann nicht sein, dass einige wenige wirtschaftlich profitieren, während sie das Trinkwasser von Millionen Menschen verschmutzen.”

    von Jane Muncke
    Umwelttoxikologin

    Wer die übernehmen muss, liegt für Jane Muncke, Umwelttoxikologin und Geschäftsführerin der gemeinnützigen Stiftung Food Packaging Forum Foundation in Zürich, auf der Hand. „Es kann nicht sein, dass einige wenige wirtschaftlich profitieren, während sie das Trinkwasser von Millionen Menschen verschmutzen“, sagt sie. „Die enormen Summen, die es kosten wird, PFAS im Trinkwasser auf ein Niveau zu senken, das nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand unbedenklich ist, müssen von der Industrie bezahlt werden, die diese giftigen Chemikalien herstellt und verwendet.“

    Warum werden PFAS nicht einfach verboten?

    Bevor ein Stoff verboten werden kann, müssen zunächst aufwendige Nachweise über seine Umwelt- und Gesundheitsgefährlichkeit erbracht werden. Im Fall der PFAS kommt erschwerend hinzu, dass es sich bei manchen von ihnen um essenzielle Bestandteile von unverzichtbaren Produkten wie Löschschäumen, technischer Schutzkleidung und Medizinprodukten handelt, die nicht ohne Weiteres ersetzt werden können. Es muss also ihr Nutzen gegen den Schaden, den sie anrichten, abgewogen werden – ein Prozess, der Jahre dauert.

    Die Teflonfabrik des Unternehmens Chemour im niederländischen Dordrecht ist die größte Europas. Im Jahr 2022 klagte Chemour beim Europäischen Gericht (EuG) gegen die Aufnahme eines Ersatzstoffs für PFOA auf die Liste besonders besorgniserregender Stoffe – und scheiterte.

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    Verboten sind in der EU darum zurzeit nur solche PFAS, deren negative Auswirkungen auf Umwelt und menschliche Gesundheit klar bewiesen werden konnten – darunter seit dem Jahr 2020 mit Einschränkungen auch PFOA. Meist tauscht die Industrie in diesen Fällen die regulierten Stoffe direkt gegen andere PFAS aus, über die nicht genug oder noch keine Informationen zu ihrer Gefährlichkeit vorliegen und die demnach noch nicht reguliert sind. Dieses Spiel könnte ewig so weitergehen, denn nach heutigem Stand sind über 10.000 verschiedene PFAS bekannt.

    Weil in den vergangenen Jahren immer offensichtlicher geworden ist, dass die gesamte PFAS-Gruppe problematisch ist, haben Deutschland, Dänemark, Norwegen, Schweden und die Niederlande gemeinsam ein „Beschränkungsdossier“ ausgearbeitet, das den unnötigen Einsatz der Stoffe unterbinden soll. Über den Vorschlag, der im Januar 2023 bei der Europäischen Chemikalienagentur eingereicht wurde, muss diese innerhalb von einem Jahr entscheiden.  

    Den Autoren der Regenwasserstudie geht das nicht weit genug. Da die PFAS-Kontamination ein weltweites Problem ist, wäre ihnen zufolge ein global geltender Höchstwert für die Chemikalien sinnvoll. Allerdings, sagt Martin Scheringer, „ist diese Grenze, wie wir in unserer Studie festgestellt haben, bereits überschritten.“

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