Die Muttersprache bestimmt die Musikalität

Was macht uns musikalisch? Einer neuen Studie zufolge hat die Sprache, mit der wir aufwachsen, einen erheblichen Einfluss auf unser Gespür für Rhythmus und Melodie.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 3. Mai 2023, 08:46 MESZ
Erhobene Hände vor einer Bühne auf einem Konzert.

We will rock you! Einfache Melodien, zu denen man gut mitklatschen kann: Das ist das Metier von Menschen mit nicht nicht-tonaler Muttersprache.

Foto von bernardbodo / Adobe Stock

Jeder Mensch hat mindestens eine Muttersprache: ein Werkzeug zur Kommunikation, das wir so selbstverständlich nutzen, dass wir daran kaum einen Gedanken verschwenden. Die erste Sprache, die wir lernen, beeinflusst offensichtlich, mit wem wir uns austauschen können. Sie bestimmt aber auch, wie musikalisch wir sind und wie wir Melodien und Rhythmen wahrnehmen.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie amerikanischer Forschenden, die in der Zeitschrift Current Biology erschienen ist. Für sie hat das Studienteam die melodischen und rhythmischen Fähigkeiten von fast einer halben Million Menschen aus aller Welt miteinander verglichen. Dabei zeigte sich, dass Muttersprachler einer Tonsprache besser zwischen subtilen Melodien unterscheiden können. Bei denen, die als erste Sprache eine nicht-tonale Sprache gelernt haben, ist hingegen das Rhythmusgefühl besser ausgeprägt.

Tonsprachen: Feines Gespür für Tonhöhen

Bei nicht-tonalen Sprachen – dazu zählen zum Beispiel Englisch oder Deutsch – wird die Tonhöhe von Silben abgesenkt oder angehoben, wenn eine Frage gestellt wird oder Emotionen ausgedrückt werden sollen. Anders bei Tonsprachen: Verändert sich hier das Klangmuster einer Silbe, ändert sich dadurch die Bedeutung des Wortes. Wer eine Tonsprache spricht, braucht also ein sehr feines Gespür für Tonhöhen, um den Sinn des Gesprochenen richtig zu verstehen – oder um keinen Unsinn zu erzählen. „Sonst beschimpft (ma) man statt seinem Pferd (mă) seine Mutter (mā)“, sagt Erstautorin Jingxuan Liu, Psychologin an der Duke University in North Carolina, deren Muttersprache Mandarin, also eine Tonsprache, ist.

Sinfonie für unsere Erde

Daten für die Studie sammelte das Forschungsteam mithilfe eines webbasierten Citizen-Science-Experiments. 459.066 Menschen aus 203 Ländern nahmen daran teil. Insgesamt waren 54 verschiedene Sprachen vertreten, darunter 19 tonale Sprachen.

Die Forschenden ließen die Probanden verschiedene musikalische Aufgaben lösen. Ob sie fähig waren, subtile Unterschiede in Melodien zu erkennen, wurde getestet, indem ihnen zwei Melodien vorgespielt wurden, von denen sie sagen mussten, ob sie gleich oder verschieden sind. Außerdem sollten sie bestimmen, ob eine Trommel im Takt eines Liedes schlug oder ob ein Sänger die richtigen Töne traf. Je nachdem, wie gut die Teilnehmenden abschnitten, wurde der Schwierigkeitsgrad erhöht.

Tonfolgen vs. Taktgefühl

BELIEBT

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    “Menschen, die eine Tonsprache als Muttersprache haben, sind im Durchschnitt besser in der Lage, zwischen Melodien zu unterscheiden, als Sprecher nicht-tonaler Sprachen.”

    von Jingxuan Liu
    Psychologin an der Duke University in North Carolina

    Das Ergebnis: „Menschen, die eine Tonsprache als Muttersprache haben, sind im Durchschnitt besser in der Lage, zwischen Melodien zu unterscheiden, als Sprecher nicht-tonaler Sprachen“, sagt Liu. Bei rhythmus-basierten Aufgaben schnitten sie jedoch insgesamt schlechter ab.

    Die Forschenden führen das darauf zurück, dass Tonsprachensprecher gelernt haben, diesen akustischen Merkmalen ihre Aufmerksamkeit zu schenken. „Es ist möglich, dass tonale Sprecher weniger auf den Rhythmus und mehr auf die Tonhöhe achten, weil Tonhöhenmuster für die Kommunikation in ihrer Sprache wichtiger sind“, sagt Studienautorin Courtney Hilton, Kognitionswissenschaftlerin an der Yale University.

    Die Studie ist nicht die erste, die untersucht hat, ob Sprecher tonaler Sprachen musikalischer sind. Bisher wurde jedoch nur jeweils eine Sprache mit einer anderen – meist Englisch mit Mandarin oder Kantonesisch – verglichen. „Englische und chinesische Sprecher unterscheiden sich aber auch in ihrem kulturellen Hintergrund und möglicherweise in der Art, wie sie in der Schule mit Musik in Berührung gekommen sind“, sagt Liu. Diese Faktoren auszuschließen, sei sehr schwer.

    Einfluss kultureller Faktoren

    Der Aufbau des Experiments hat es nun ermöglicht, eine Vielzahl von Sprechern verschiedener Sprachen, deren kultureller Hintergrund sich stark unterscheidet, neutral zu vergleichen. Die Ergebnisse stützen Liu zufolge die These, dass das ausgeprägte Melodiegefühl bei Sprechern von Tonsprachen durch ihre gemeinsame Spracherfahrung und nicht durch kulturelle Unterschiede bedingt ist.

    Das Sprechen einer bestimmten Sprache sei jedoch kein Ersatz für Musikunterricht. „Der musikalische Vorteil, den Tonsprachensprecher gegenüber nicht-tonalen Muttersprachlern haben, entspricht im Schnitt etwa 50 Prozent dessen, was man sich durch Musikunterricht aneignen kann“, sagt Hilton. Außerdem sei auch der Rhythmus ein essenzieller Bestandteil von Musik.

    Nicht-tonale Muttersprachler können den musikalischen Vorsprung der Tonsprachensprecher also mit dem richtigen Training aufholen – oder sich einfach damit zufriedengeben, dass sie besser im Takt mitklatschen können.

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